Die Bayerische Staatsforstverwaltung beschloss im Jahr 1970, für möglichst alle heimischen Waldgesellschaften ein Netz von natürlichen und naturnahen Waldbeständen auszuweisen. 1978 wurden 135 Naturwaldreservate (NWR) eingerichtet, in denen künftig jegliche Nutzung unterbleiben sollte. Im Jahr 2013 gibt es in Bayern bereits 160 Naturwaldreservate mit einer Fläche von über 7.000 Hektar.
Der Blick zurück
Schon in der Vergangenheit waren bayerische Förster darum bemüht, Reste alter und ursprünglicher Waldungen zu erhalten. Neu war der Gedanke, ein Netz repräsentativer Naturwaldreservate verteilt über alle Waldstandorte des Landes anzulegen und damit:
- die natürlichen Dynamik der Lebensgemeinschaft Wald zu erforschen und daraus Erkenntnisse für die optimale Waldbehandlung abzuleiten,
- die Grundlagenforschung für die Landschaftspflege zu unterstützen und
- Reliktbestockungen als Anschauungsobjekte zu erhalten.
Die gesteckten Ziele
Die Forschung hat daraufhin Ziele formuliert, die sich vier Bereichen zuordnen lassen:
- Eigenschaften der NWR: Untersuchung statischer Eigenschaften, z.B. die natürliche Zusammensetzung und der ursprüngliche Aufbau der Wälder; alle Standortfaktoren beobachten und dokumentieren
- Dynamik der NWR: Entwicklungsabläufe und Sukzessionen beobachten (Lebensvorgänge im Ökosystem mit Energie- und Stoffumsatz, Dynamik von der Naturverjüngung bis zur Zerfallsphase, Sukzession vom Wirtschafts- zum Naturwald, Entwicklung von Boden- und Waldfauna)
- Vergleich mit bewirtschafteten Wäldern: Vergleich der NWR mit Wirtschaftswäldern gleicher Standorte hinsichtlich statischer und dynamischer Eigenschaften, z.B. auch deren Widerstandsfähigkeit gegenüber Forstschädlingen
- Veränderung des Landschaftsbildes: NWR als Maßstab für die Einschätzung kulturbedingter Landschaftsveränderungen
Ein wesentliches Merkmal der Naturwaldreservatsforschung ist der auf Dauer angelegte Charakter der Untersuchung, es handelt sich hierbei um eine sehr langfristige Investition.
40 Jahre Dauerbeobachtung und Forschung
Im Sommer 1977 wurde damit begonnen einhundert Aufnahmeflächen zur Erfassung des lebenden Bestandes anzulegen. Das sind die heute rund ein Hektar großen Repräsentationsflächen. Hier werden seither konstant Aufnahmen durchgeführt, seit Mitte der 1990er Jahre ergänzt durch Totholzaufnahmen. Durch diese Daten und die bisher gelaufenen Projekte konnte die Naturwaldreservatsforschung schon zahlreiche Erkenntnisse gewinnen und belegen:
- Dokumentation der Vielfalt an Totholz gebundener Arten in zahlreichen bayerischen Waldgesellschaften
- Erkenntnisse zur qualitativen Bedeutung vorkommender Arten im Vergleich von genutzten und ungenutzten Flächen
- Definition von Naturnähezeigern und Urwaldreliktarten, die sich nicht nur durch ihre Seltenheit auszeichnen (wie Rote-Liste-Arten), sondern an Habitat- und Strukturtradition gebunden sind
- Erfassung der Schmetterlinge der bayerischen NWR inklusive Beschreibung einer neuen Art
- Ermittlung von Charakterarten (Schmetterlinge) zur Bewertung der Naturnähe von Waldlebensräumen
- Bedeutsamkeit von Baumgattungen für die biologische Vielfalt der Schmetterlingsfauna sowie Bedeutung der Waldlebensräume für seltene Spezialisten
- Beleg eines Rückzugs der Kiefer auf wenige Sonderstandorte und Vormarschs der Buche bei einer natürlichen Sukzession in Buchenwäldern der Rhön und der Oberpfalz
- Bedeutung von Strukturmerkmalen und Schwellenwerten als Impuls für die naturnahe Forstwirtschaft
- Daten zur Absicherung eines Modells zum Kohlenstoffhaushalt der Wälder
- Grundlage für eine pflanzensoziologische Untersuchung der Schattentoleranz von Baumarten
- Informationen zur Entwicklung der Lebend- und Totholzvorräte, zur Veränderung der Baumartenanteile und zur Mortalität in den Beständen
Ergebnisse für die Praxis
Das Ziel, die natürliche Entwicklung der Bestände zu verfolgen, wurde bis heute nur teilweise erreicht. Ausgangszustand der NWR waren Wirtschaftswälder und nach drei Jahrzehnten ist die "natürliche Dynamik" noch immer von den ehemals erfolgten Eingriffen überprägt. Dennoch sind zahlreiche Ergebnisse aus der Naturwaldreservatsforschung in die forstliche Praxis eingegangen, beispielsweise das Wissen um die natürliche regionale Waldzusammensetzung Bayerns als Basis für einen naturnahen Waldbau oder die Artenlisten als Grundlage bei der Erstellung von Naturschutzkonzepten oder Managementplänen in FFH-Gebieten. Auch in der Umweltbildung können die NWR eingesetzt werden, sie können das Verständnis von Nachhaltigkeit fördern.
Langfristiger Charakter
Auch wenn schon zahlreiche praktisch verwertbare Ergebnisse aus der Naturwaldreservatsforschung gewonnen werden konnten, hat sich nichts an deren langfristigem Charakter geändert. Wälder entwickeln sich über Jahrhunderte, viele Fragen können erst nach mehreren Forschergenerationen beantwortet werden. Das Waldmonitoring in den NWR braucht einen langen Atem und zeigt nur Ergebnisse, wenn es langfristig angelegt und gelebt wird.