Bereits vor über einem Vierteljahrhundert benannte Scherzinger (1996) die entscheidenden “Urwaldmerkmale” mit einer erstaunlichen Klarheit: Nach der Unversehrtheit des Waldbodens nennt er schon an zweiter Stelle die Präsenz von Totholz als bedeutendes naturschutzrelevantes Kriterium. Er zitiert Franklin (1992), der betont, “dass auf natürlichen Freiflächen Unmengen an Strünken, Bruchholz, liegenden Stämmen sowie Jungpflanzen übrigbleiben, die als biologisches Erbe einen ausreichenden Anteil der biologisch-ökologisch wirksamen Substanz aus dem ehemaligen Waldbestand in den Folgebestand hinüberretten. Damit ist sichergestellt, dass die Reorganisation des neuen Waldes sehr viel rascher erfolgt." Seither wurden zu diesem Thema enorm viele Forschungsarbeiten durchgeführt (Lachat et al. 2013; Lettenmayer et al. 2022;.Pietsch et al. 2023; Seibold et al. 2018; Zahner 1999), welche alle die Wichtigkeit von Totholz hinsichtlich Biodiversität im Wald untermauern. Durch Zersetzung liefert Totholz Calcium und Magnesium, speichert Wasser und kann den ph-Wert im Oberboden unter dem Totholz um bis zu einer pH-Stufe erhöhen, wovon v.a. Schnecken (Mollusken) in bodensauren Buchenwäldern profitieren. Vielen Arten wie Amphibien oder Laufkäfern dient Totholz ferner als Tages- und Überwinterungsversteck.

Neuere Untersuchungen zeigen auch, dass Totholz nicht nur dem Artenschutz dient, sondern zu anderen wichtigen Funktionen wie dem Rückhalt von Wasser oder zum Erhalt von Nährstoffkreisläufen im Ökosystem Wald beiträgt.

Bei der Analyse von Hochstümpfen fand man im Totholz einen soliden Grundbestand an Antagonisten (Gegenspieler zu Schädlingen), der dazu beitragen kann, Kalamitäten abzupuffern. Zahner et al. (2020) schlussfolgert daraus: "Hochstümpfe tragen also auch zur Resilienz von Wirtschaftswäldern bei". Totholz im Wald ist also nicht nur praktizierter Naturschutz, sondern ein wichtiger Baustein zur Verbesserung der Ausgangssituation für waldbauliche Maßnahmen und resilientere Wälder. Adelmann et al. (2020) haben mit dem Slogan "Fördern was da ist – Zulassen, was entsteht – Schaffen was fehlt!" diese Aspekte sehr griffig zusammengefasst. Entscheidend ist, wie die Schaffung und der Erhalt von Totholz in allen Phasen eines Bestandeslebens umgesetzt werden kann.

Wege zur Anreicherung von Totholz

Fördern und Belassen von Strukturen wird in der bayerischen Forstwelt weithin akzeptiert und praktiziert, was auch die ständig steigende Fördersumme und das breite Interesse am Bayerischen Vertragsnaturschutzprogramm Wald (VNP Wald) belegt.

Biotopbäume als Aspiranten für künftiges Totholz zu fördern bedeutet, sie in ihren unterschiedlichsten Erscheinungsformen in die Bestände zu integrieren und sie je nach ihrer ökologischen Bedeutung sogar gezielt durch Entnahme von Bedrängern zu sichern. Je älter und stärker Biotopbäume sind, umso mehr Strukturen (Spalten, Rindentaschen oder Höhlen) weisen sie in der Regel auf. Die ökologische Wertigkeit eines Baumes steigt mit seinem Alter, seiner Dimension und seinen Strukturen. Mit zunehmendem Alter erhöht sich auch der Anteil von Totholz an lebenden Bäumen. Werden lebende Biotopbäume vom Wind geworfen bzw. brechen Baumteile davon ab, wird per Definition aus diesen Teilen Totholz. Biotopbäume stellen damit eine wichtige Quelle für Totholz dar. Der Übergang von Biotopbaum zu Totholz ist daher in der Realität fließend.

Abb. 3: Deutliche Zeichen für eine bereits erfolgte Besiedlung durch Ameisen oder xylobionte Käfer sind die Hackspuren des Schwarzspechts (links). Rechts: Nest des Zaunkönigs im Hackstollen. Fotos: Norbert Wimmer, LWF

Da Biotopbäume meist bereits von Insekten oder Pilzen besiedelt wurden, sollte ihr Holz nach unvermeidbaren Eingriffen wie Verkehrssicherungsmaßnahmen, wenn möglich, im Wald verbleiben. Es muss grundsätzlich in Erwägung gezogen werden, dass sich unter den im Holz lebenden Insekten streng geschützte Arten befinden können. Zum Schutz dieser Arten sollten auch Stammteile mit deutlichen Faulstellen (D-Holz), welche vielfach bei der Holzernte (z. B. in Beständen mit Rotfäule) anfallen, im Bestand verbleiben. Das ist ebenso auf Käferbäume übertragbar, bei denen die abfallende Borke ein sicherer Hinweis ist, dass die Borkenkäfer bereits ausgeflogen sind (Belassen von “Dürrständern”).

Eine besondere Form von Totholz stellen vom Wind geworfene Bäume mit aufgeklapptem Wurzelteller dar. Sie sind ein wichtiges Strukturelement in unseren Wäldern, da sie rohbodenbesiedelnden Insektenarten sowie z. B. dem Zaunkönig oder auch dem Rotkehlchen Brutmöglichkeiten bieten. Viele der Wurzelteller klappen mangels eines Gegengewichts zurück, sobald der Stamm abgetrennt wird. Belässt man jedoch mehrere Meter oder den ganzen Stamm am Wurzelteller, so bleibt er dauerhaft aufgeklappt. Diese in Urwäldern sehr häufige Struktur ist in Wirtschaftswäldern selten und sollte wo immer möglich erhalten werden.

Proaktiv Strukturen und Totholz schaffen

Vielerorts können durch zielgerichtetes Handeln wichtige Strukturelemente geschaffen werden, von denen nicht nur Arten, sondern auch biologische Prozesse profitieren. Mit der Sensibilität der Bewirtschafter ist dies bei vielen forstlichen Eingriffen leicht realisierbar, wie Abbildung 5 übersichtlich zusammenfasst.

Jungbestandspflege

Bei der Jungbestandspflege können die zu entnehmenden Bäume in ergonomisch günstiger Arbeitshöhe unter Beachtung der Sicherheitsvorschriften gekappt werden. Die so geköpften Bäume treiben je nach Baumart wieder aus, verbessern eine Zeitlang als temporärer Unter- und Zwischenstand die Bestandesstruktur, fördern ggf. die astfreie Stammlänge der Auslesebäume und bilden früher oder später das erste Totholz in der sonst eher totholzarmen Jungbestandsphase. Zudem entstehen ideale Nistmöglichkeiten für verschiedene Singvögel.

Eine ebenso bewährte Methode ist das Ringeln von Bedrängern. Bei verspäteten Pflegeeingriffen lässt sich eine geeignete Bestandesstruktur damit stabil halten, da die geringelten Bäume nur langsam absterben. Ringeln eignet sich vor allem bei sehr starken Entnahmebäumen, da so die Freistellung allmählich erfolgt. Eine der genannten Pflegemethoden – Köpfen oder Ringeln – könnte in der Jungbestandsphase zum Beispiel an jedem Pflegepunkt bei mindestens einem Entnahmebaum angewendet werden.

Ältere Bestände

In älteren Bestandesphasen können mit dem Harvester sehr effektiv Strukturen geschaffen werden, indem einige Stämme in Höhen von drei bis sechs Metern gekappt werden. Dazu eignen sich Bäume, deren Erdstämme bereits Pilz- oder Insektenbefall aufweisen oder Bäume mit Hackspuren von Spechten. Diese Individuen sind von wirtschaftlich geringem Wert, sollten aber wegen ihrer hohen ökologischen Wertigkeit nach Möglichkeit im Wald verbleiben. Aus Biodiversitätssicht sind v.a. Laubbäume wie Weichlaubholz und Eiche für eine hohe Anzahl von Insektenarten wertvoll.

Mit Hilfe der Hochstümpfe kann es zeitweise gelingen, eine “Basisausstattung” an Mikrohabitaten und Totholz zu schaffen, um das Fehlen von Biotopbäumen zu überbrücken. Bei regulären maschinellen Durchforstungen sollte daher den Maschinenführern die Anweisung gegeben werden, oben beschriebene Bäume nicht bodennah zu fällen, sondern auf einer Höhe von drei bis sechs Metern zu kappen und somit die bereits durch Insekten und Pilze besiedelten Stammabschnitte stehend zu belassen. Bereits Bäume ab ≥ 30 cm BHD liefern so einen deutlichen Beitrag zum Artenschutz.

Wo möglich, sollte bei Laubbäumen oberhalb einzelner grüner Äste gekappt werden. So bleibt der Baum noch einige Zeit am Leben und bietet eine eigene Nische für xylobionte Arten. In Beständen mit hohen Rotfäuleanteilen können dadurch konzentriert kleine Totholzinsel geschaffen werden. Gerade in Beständen mit wenigen oder fehlenden Biotopbäumen entstehen durch die Hochstümpfe schnell geeignete Strukturen für xylobionte Käferlarven, welche wiederum als neue Nahrungsquellen für Vögel dienen. Spechte nutzen die Hochstümpfe als Nahrungshabitat und bauen zudem darin auch Bruthöhlen für sich und nachfolgende Arten. Die an Hochstümpfen entstehenden Mikrohabitate haben damit einen positiven Einfluss auf die Biodiversität. Vor allem Hochstümpfe von Laubhölzern in größerer Dimension weisen die höchste Biomasse an Insekten und zahlreiche Mikrohabitate auf.

Der Verbleib von Totholz erfüllt neben Aspekten des Waldnaturschutzes zahlreiche weitere Funktionen. Wie Thermalaufnahmen des Landesbetriebs Wald und Holz Nordrhein-Westfalen zeigen, beeinflussen Hochstümpfe und Dürrständer die Bodenfeuchtigkeit und -temperatur positiv. Tiebel et al. (2017) betonen zudem, dass beerenfressende Vögel wie Drosseln stabile, erhöhte Strukturelemente wie Wurzelteller oder eben Hochstümpfe auf Kahlflächen bevorzugt als Rastplätze annehmen. Sie führen weiter aus, “dass eine komplette Räumung dieser Schlüsselstrukturen vermieden werden sollte, da durch den Sameneintrag von Vögeln die Sukzession beschleunigt wird”. 

Totholz im Wald ist nicht nur praktizierter Naturschutz, sondern auch ein wichtiger Baustein zur Verbesserung der Ausgangssituation für waldbauliche Maßnahmen. Auch wenn Habitate wie Hochstümpfe meist nur “Allerwelts-Waldarten” nutzen, werden dadurch zumindest grundlegende Nahrungskreisläufe in Gang gesetzt. So kann der konsequente Einsatz des Harvesters für Naturschutzzwecke die immer noch sehr kritische Sicht der Öffentlichkeit auf die vollmechanisierte Holzernte verbessern.

Kalamitätsflächen

Auf Kalamitätsflächen – seien es ehemalige Fichtenbestände im Frankenwald oder geschädigte Kiefernbestände in Mittel- und Unterfranken – ist eine gezielte Totholzanreicherung besonders wichtig. Es ist eine Chance, einen Vorrat an Totholz für xylobionte Arten und biologischen Prozesse zu sichern (Humusbildung, Wasserspeicherung, Erosionsschutz, usw.). Auch auf Schadflächen muss die Schaffung von Totholz in Form von Hochstümpfen, Querliegern, Wurzeltellern und Dürrständern ein Maßnahmenziel sein und sollte im Arbeitsauftrag entsprechend formuliert werden. Genauso selbstverständlich sollte der Verbleib von Stammstücken mit Pilz- und Insektenbesiedelung oder Weichlaubhölzern auf den Kalamitätsflächen sein.

Diese Maßnahmen erhalten und schaffen schnell wertvolle Totholzvorräte auf den Schadflächen, sie vermindern aber auch Rückekosten und sparen wertvolle Zeit bei der Aufarbeitung, da es sich meist um Defizitsortimente oder Kleinmengen handelt, die bestenfalls kostendeckend vermarktet werden können.

Zusammenfassung

Totholz ist eine wichtige Struktur unserer heimischen Wälder, welche nicht nur der Biodiversität dient, sondern unsere Wälder insgesamt resilienter werden lässt. Die verschiedenen Formen von Totholz können durch Alterungsprozesse oder dynamische Ereignisse natürlich entstehen und in den Waldbeständen belassen werden. An anderer Stelle bieten sich im Rahmen forstlicher Maßnahmen einfache Wege zur Totholzanreicherung an – beispielsweise die Schaffung von Hochstümpfen. Auf Kalamitätsflächen können Hochstümpfe eine unterstützende Wirkung für Jungpflanzen (Wasser, Schatten) haben und als Ansitzwarte für Vögel und Versteckmöglichkeit für Eichelhähervorräte indirekt die natürliche Wiederbewaldung unterstützen.