Ein wichtiger Lebensraumtyp für die Artenvielfalt in Wäldern sind sogenannte Mulmhöhlen – Faulhöhlen in lebenden Bäumen, die sich in der Regel in alten Laubbäumen entwickeln (Nadelbäume erschweren aufgrund des starken Harzflusses die Bildung von Höhlen).
Mulmhöhlen bilden sich vor allem in höherem Baumalter, ihre Entwicklung dauert viele Jahre. Bei Eichen zum Beispiel nimmt die Wahrscheinlichkeit der Höhlenbildung ab einem Alter von etwa 200 Jahren stark zu.
Xylobionte Mulmhöhlenbewohner – der Wohnraum ist knapp
Tiere, die in mindestens einer Phase ihres Lebens direkt oder indirekt auf Totholz angewiesen sind, werden als xylobiont bezeichnet. Schätzungsweise 34 % aller in mitteleuropäischen Wäldern vorkommenden Arten gelten als xylobiont, bei den Käfern sogar über 50 %. Xylobionte Arten machen somit einen großen Teil der Artenvielfalt im Wald aus. Sie sind darüber hinaus wichtig für den Nährstoffkreislauf im Wald, da sie maßgeblich an der Zersetzung von Totholz beteiligt sind.
Mulmhöhlen bieten Lebensraum für zahlreiche Tiergruppen. Die größte Gruppe bilden die Gliederfüßer (Arthropoden), hiervon vor allem Fliegen und Mücken (Dipteren), Käfer (Coleopteren), aber auch Milben (Acari) und Springschwänze (Collembola). Mulmhöhlen sind außerdem ein Habitat für höhlenbrütende Vögel und Säugetiere, wie z. B. Fledermäuse. Folglich stellen Mulmhöhlen Schlüsselstrukturen für eine hohe Artenvielfalt im Wald dar. Da alte Höhlenbäume aufgrund des geringen wirtschaftlichen Werts in der Vergangenheit häufig entfernt wurden, zählen Mulmhöhlen heute zu den seltensten Strukturen in mitteleuropäischen Wäldern. Diese Lebensraumknappheit hat zur Folge, dass vor allem die Mulmhöhlenspezialisten unter den Käfern, also Arten, die nur in Mulmhöhlen ihre Larvalentwicklung vollziehen können, zu den gefährdetsten Tiergruppen gehören. Etwa 75 % von ihnen stehen auf der Roten Liste.
So vielfältig wie ihre Bewohner sind Mulmhöhlen auch in Bezug auf ihre Eigenschaften. Es gibt große und kleine Mulmhöhlen, Höhlen mit großflächigem oder kleinem Eingang, feuchte und weniger feuchte Höhlen, Höhlen mit grobem, wenig zersetztem Mulm oder solche mit dunklem, stark zersetztem Mulm. Auch die Habitatansprüche der Mulmhöhlenbewohner sind sehr unterschiedlich. Manche Arten besiedeln nur sehr feuchte Höhlen, andere nur tiefgelegene Höhlen mit Kontakt zum Waldboden oder ausschließlich große Höhlen. Diese besonderen Ansprüche vieler Arten verringern das Angebot an passenden Mulmhöhlen zusätzlich.
Forstliche Forschung: Vergleich dreier Waldgebiete
Das Projekt »Arthropodengemeinschaften in Mulmhöhlen im Landschaftskontext: Einfluss der Wald- und der Landschaftsstruktur auf Diversität und Ausbreitungsdistanzen im regionalen Vergleich« bezieht sich auf insgesamt drei Betriebe der Bayerischen Staatsforsten (BaySF) mit unterschiedlicher Baumartenzusammensetzung. Zielsetzung war es, auf größeren räumlichen Skalen die Auswirkungen der Landschafts- und Waldstruktur (z. B. Totholzmenge, Baumartenzusammensetzung, Altersstruktur) auf die Artenvielfalt von Arthropoden in Mulmhöhlen sowie deren Ausbreitungsdistanzen mit Hilfe von regelmäßig erhobenen BaySF-Forstinventur- und Fernerkundungsdaten zu untersuchen. Darüber hinaus wurden Erkenntnisse aus bisherigen Studien, die sich vor allem mit lokalen Faktoren der Mulmhöhlen und Höhlenbäume beschäftigten, in den drei Waldgebieten validiert.
Neben dem Forstbetrieb Ebrach, der sich durch Eichen- und Buchenbestände auszeichnet, wurde der Forstbetrieb Kelheim untersucht, der gemischte Laub- und Nadelwälder aufweist, sowie der Forstbetrieb Fichtelberg, der durch montane, fast reine Fichtenbestände mit gelegentlichen Laubbaumvorkommen charakterisiert ist (Abbildung 2). In jedem der drei Waldgebiete wurden in den Jahren 2018 und 2019 jeweils einmal 40 bis 50 Mulmhöhlen in Rotbuchen mit Emergenzfallen beprobt. Dabei wurden die von April bis September aus den Mulmhöhlen entweichenden Insekten gefangen. Die Larvalentwicklung von mulmhöhlenbewohnenden Käfern erstreckt sich in der Regel über mehrere Jahre – folglich sind Larven, die im Jahr der Beprobung ihre Entwicklung noch nicht vollendet hatten, in den Höhlen verblieben und können in den Folgejahren schlüpfen.
Abb. 2: Umweltfaktoren, die die Artenvielfalt xylobionter Käfer in den untersuchten Mulmhöhlen beeinflussen. Grüner Pfeil = positiver Einfluss (z. B. je größer der Höhleneingang, desto höher die Artenvielfalt), roter Pfeil = negativer Einfluss (z. B. je höher der Zersetzungsgrad des Mulms, desto geringer die Artenvielfalt). Die jeweilige Baumartenzusammensetzung der drei Waldgebiete wird durch das Verhältnis von Laub und Nadelbäumen in den Kreisen visualisiert.
Lokale Eigenschaften der Mulmhöhlen von großer Bedeutung
In den 134 beprobten Mulmhöhlen der drei Untersuchungsgebiete wurden insgesamt 283 xylobionte Käferarten aus 48 Familien gesammelt (5.880 Individuen). Davon stehen 62 Arten auf der Roten Liste, was einem Anteil bedrohter Arten von 22 % entspricht. 16 Arten wurden als Mulmhöhlenspezialisten identifiziert, die alle auf der Roten Liste stehen. Die Anzahl nachgewiesener Arten sowie die Zusammensetzung der Artengemeinschaften unterschied sich teilweise deutlich zwischen den drei untersuchten Waldgebieten (Abbildung 3 und 4).
Mulmhöhlen im Forstbetrieb Ebrach wiesen die größte Artenvielfalt pro Höhle auf (im Durchschnitt 13,2 Käferarten pro Höhle, Fichtelberg: 4,6, Kelheim: 7,9), wie auch die höchste Anzahl gefährdeter Arten und Mulmhöhlenspezialisten. Es zeigte sich, dass die Artenvielfalt besonders von den lokalen Eigenschaften der Mulmhöhlen selbst sowie der Höhlenbäume beeinflusst wurde (Abbildung 2). So fanden sich z. B. mehr Käferarten in Mulmhöhlen mit großflächigen Höhleneingängen und in bodennahen Höhlen. Weiterhin waren in Höhlen mit noch gering zersetztem und dementsprechend hellerem und grobkörnigerem Mulm mehr Käferarten als in Höhlen mit bereits stärker zersetztem Mulm. Der noch frische Mulm kann wahrscheinlich von einer größeren Zahl auch generalistischer xylobionter Arten genutzt werden, während den stark zersetzten, dunklen Mulm vorwiegend wenige Spezialisten dieser Zersetzungsstadien annehmen.
Bedeutung der Waldstruktur
Die Artenvielfalt in den Mulmhöhlen wurde vor allem im Hinblick auf den Einfluss der Waldstruktur im Umkreis von bis zu 500 m um die Mulmhöhlen untersucht. Zu diesem Zweck konnten wir die regelmäßig erhobenen Forstinventurdaten der BaySF nutzen, die über ein Raster an Inventurpunkten (200 m x 200 m) zahlreiche Parameter der Waldstruktur erfassen (z. B. Totholzmenge, Brusthöhendurchmesser der umgebenden Bäume, Baumartenzusammensetzung). Nach Interpolation der Punkt-Daten und Auswertung der eigens dafür erstellten Karten zeigte sich, dass der oben beschriebene Einfluss lokaler Mulmhöhleneigenschaften auf die Artenvielfalt in den Höhlen immer auch von der Waldstruktur des betreffenden Gebietes abhängt. In den Waldgebieten mit einem höheren Anteil an Laubbäumen (Ebrach und Kelheim) war der Einfluss der lokalen Mulmhöhleneigenschaften ausgeprägter als in dem von Nadelbäumen dominierten Forstbetrieb Fichtelberg.
In Fichtelberg gab es nur vereinzelte Laubholz-Mulmhöhlen. Sind Mulmhöhlen in einem Gebiet selten und isoliert, scheint die Qualität der einzelnen Höhlen kaum noch eine Rolle zu spielen – Mulmhöhlenbewohner nehmen, was sie kriegen können. Dementsprechend beeinflusste im Nadelwald einzig der Anteil an Buchen in der näheren Umgebung der untersuchten Mulmhöhlen die Artenvielfalt in den Höhlen positiv (Abbildung 2). Da Buchen im Forstbetrieb Fichtelberg zumeist isoliert in einer Umgebung aus Nadelbäumen stehen, war das Vorhandensein weiterer Buchen im näheren Umkreis der Höhlenbäume (bis zu einem Radius von 100 m) der wichtigste Einflussfaktor für mulmhöhlenbewohnende Käfer in diesem Waldgebiet.
Totholz ist nicht gleich Totholz
Im Steigerwald (Forstbetrieb Ebrach), dem Gebiet mit dem höchsten Laubholzanteil in unserer Studie, hatte neben den lokalen Mulmhöhleneigenschaften vor allem die Totholzmenge in der Umgebung der Mulmhöhlen (bis zu einem Radius von 100 m) einen positiven Einfluss auf die Artenvielfalt in den Höhlen (Abbildung 2). Dies könnte auf den großen Anteil an Totholzgeneralisten unter den Käfern in den Höhlen zurückzuführen sein, die im Gegensatz zu den Mulmhöhlenspezialisten vielfältige Totholzstrukturen als Lebensraum nutzen können und von einem größeren Totholzangebot in der Umgebung profitieren. In Fichtelberg und Kelheim, die geringere Laubbaumanteile aufweisen, ließ sich dagegen kein Zusammenhang zwischen der Totholzmenge in der näheren Umgebung und der Käferartenvielfalt in den Höhlen nachweisen. Neben einer hinreichenden Menge an Totholz war auch die Zusammensetzung des Totholzes in Bezug auf Baumart, Durchmesser, Zersetzungsgrad oder Sonnenexposition von großer Bedeutung für die xylobionte Artenvielfalt.
Insekten, die Mulmhöhlen besiedeln, profitieren in der Regel nicht von Nadelbaumtotholz, sondern ausschließlich von Laubbaumtotholz. Dies erklärt, warum in unserer Studie kein Zusammenhang bestand zwischen der Totholzmenge im Forstbetrieb Fichtelberg und der Artenvielfalt in den Mulmhöhlen.
Einfluss der Landschaftsstruktur auf Mulmhöhlenbewohner
Neben den lokalen Mulmhöhleneigenschaften und der Waldstruktur (im Umkreis bis 500 m) wurde auch der Einfluss der Landschaftsstruktur auf größeren räumlichen Skalen bis 5.000 m um die Mulmhöhlen untersucht. Anhand von Satellitendaten wurde das Verhältnis von Habitat (Laubwald) zu Nichthabitat (Nadelwald und Offenland) in der die Mulmhöhlen umgebenden Landschaft analysiert. Dabei konnten wir zeigen, dass der Einfluss der Landschaftsstruktur auf die Artenvielfalt in den Mulmhöhlen deutlich geringer ausfällt als der Einfluss der lokalen Mulmhöhleneigenschaften oder von Waldstrukturelementen wie z. B. der Menge an Totholz. Bemerkenswert war allerdings, dass der Einfluss der Landschaftsstruktur bei den Rote-Liste-Arten stärker ausgeprägt war. Folglich reagieren gefährdete xylobionte Käferarten sensibler auf das Habitatangebot der umgebenden Landschaft als nicht gefährdete Arten. Für äußerst seltene »Urwaldreliktarten« (in unserer Studie der Schnellkäfer Crepidophorus mutilatus) ist bekannt, dass sie Lebensräume mit hochwertiger Habitatausstattung benötigen.
Geringe Ausbreitungsfähigkeit von Mulmhöhlenspezialisten?
Die Ausbreitungsfähigkeit der meisten mulmhöhlenbewohnenden Käferarten ist noch unbekannt. Im Rahmen unserer Studie führten wir deshalb für zwei ausgewählte xylobionte Käferarten populationsgenetische Analysen durch. Die zwei Mulmhöhlenspezialisten, der Kammkäfer Eucnemis capucina und der Kurzflügelkäfer Hesperus rufipennis, wiesen – anders als bei zuvor von uns populationsgenetisch untersuchten Totholzgeneralisten – bereits innerhalb eines Waldgebiets wie dem Forstbetrieb Ebrach eine deutliche genetische Strukturierung auf. Diese könnte einerseits durch ein geringes Ausbreitungsvermögen der Käfer, die an das langlebige Habitat Mulmhöhle angepasst sind, bedingt sein. Andererseits weisen gerade solche Spezialisten häufig auch eine sehr kleine Populationsgröße auf, die zu ähnlichen Mustern führen würde.
Fazit
Als Konsequenz der Studie für die forstliche Praxis ergeben sich der Schutz und Erhalt von jeder sich entwickelnden und bestehenden Mulmhöhle, da jede dieser Höhlen in ihrem spezifischen Aufbau und ihrer Ausgestaltung eine einzigartige Bandbreite an wertvollen Kleinsthabitaten enthält. Angesichts der Seltenheit von Mulmhöhlen in Wirtschaftswäldern und der sehr unterschiedlichen Habitatansprüche ihrer Bewohner sollten sämtliche bestehenden Mulmhöhlen geschützt werden. Darüber hinaus sollten im Hinblick auf die jahrzehntelange Entwicklungszeit von Mulmhöhlen alle Bäume bewahrt werden, die Strukturen (z. B. großflächige Rindenverletzungen, Astabbrüche) enthalten, aus denen sich Mulmhöhlen entwickeln könnten.
Die Studie belegt, dass neben der Qualität der einzelnen Mulmhöhlen auch die Waldstruktur von Bedeutung für die Artenvielfalt der Mulmhöhlenbewohner ist. Folglich ist auch die Anreicherung von Totholz in Wirtschaftswäldern förderlich für den Schutz von Lebensgemeinschaften in Mulmhöhlen.
Insbesondere sollte Totholz von Laubbaumarten angereichert werden, da xylobionte Käfer nicht nur auf die Menge, sondern auch auf die Baumart sowie den Durchmesser, den Zersetzungsgrad und die Sonnenexposition von Totholz sensibel reagieren. Darüber hinaus hat sich die Baumartenzusammensetzung des jeweiligen Waldgebiets als sehr einflussreich für die xylobionte Artenvielfalt in Mulmhöhlen erwiesen. Deshalb würde auch eine Erhöhung des Laubbaumanteils in nadelholzdominierten Wirtschaftswäldern helfen, die Artenvielfalt xylobionter Käfer in Mulmhöhlen zu erhöhen.
Zusammenfassung
Im Rahmen der vorgestellten Studie wurden die Auswirkungen der Landschafts- und Waldstruktur auf die Artenvielfalt von Arthropoden in Mulmhöhlen sowie deren Ausbreitungsdistanzen untersucht. Dies erfolgte unter anderem mit Hilfe von Forstinventur- und Fernerkundungsdaten auf größeren räumlichen Skalen.
Die Studie zeigt, dass für die Artenvielfalt in den Mulmhöhlen insbesondere die Qualität der einzelnen Mulmhöhlen, die Waldstruktur sowie die Baumartenzusammensetzung von Bedeutung sind. Da Mulmhöhlen Schlüsselstrukturen für eine hohe Artenvielfalt im Wald darstellen, sollte besonderes Augenmerk auf den Schutz und Erhalt dieses Lebensraums gelegt werden.
Das Projekt »Arthropodengemeinschaften in Mulmhöhlen im Landschaftskontext: Einfluss der Wald- und der Landschaftsstruktur auf Diversität und Ausbreitungsdistanzen im regionalen Vergleich (L58)« (Laufzeit: 01.04.1918–31.12.2021) wurde, ebenso wie das Vorgängerprojekt L56, durch das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie die Oberfrankenstiftung finanziert.