Die Erhaltung und Entwicklung alter Waldstandorte mit Habitattradition ist unerlässlich
Zwei alte Huteeichen am Scheerweiher bei Ansbach sind Lebensraum für über 80 Holzkäferarten, darunter 22 gefährdete Arten der Roten Liste Bayerns, und fünf Urwaldreliktarten. Stehendes und liegendes Totholz im klassischen Sinn ist auf den Flächen nicht vorhanden. Was macht die Flächen trotzdem für Holzinsekten so attraktiv?
Die Antwort lautet: Alte Bäume mit Habitattradition. Altwaldstandorte mit ungebrochener Habitattradition sind bei uns inzwischen extrem selten geworden. Die Fenster in die Vergangenheit drohen für immer geschlossen zu werden.
Eine einschneidende Veränderung der Waldlandschaft verursachte bereits die große fränkische Landnahme, die im 8. und 9. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichte. Schon damals wurde die im Prinzip heute noch bestehende Wald-Offenlandverteilung hergestellt. Das Offenland war jedoch nicht baumfrei, sondern noch durchgängig mit Hute-, Mast- und Schneitelbäumen – also mit Elementen der alten, ursprünglichen Wälder – bestockt. Diese Elemente hielten die Habitattradition alter Bäume und Bestandesteile aufrecht.
Weitgehend baumfreies Offenland entstand erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts durch Vorläufer der Flurbereinigung sowie Aufgabe und Ablösung der Waldweide. Dies führte zum endgültigen Bruch der Habitattradition. Lediglich die Integration der alten Bestockung in Landschaftsparks nach englischem Vorbild erhielt an einigen wenigen Standorten die Habitattradition. Dies erklärt auch, warum viele mitteleuropäische Reliktstandorte exklusiver Arten nicht im Wald, sondern in alten Parkanlagen liegen.
Der Wald verändert sich
Seit dem 12. Jahrhundert gibt es in Zentraleuropa kaum noch ursprünglichen, naturbelassenen Wald. Bereits Anfang des 14. Jahrhunderts waren große Waldflächen ausgebeutet und verwüstet. Die Wiederbestockung dieser Flächen durch die Erfindung der Nadelholzsaaten war zwar eine forstliche Großtat, veränderte aber nun sukzessive die bisher noch natürliche Baumartenzusammensetzung. So finden sich anspruchsvolle Arten im Nürnberger Reichswald heute nicht an den dort standortfremden Kiefern, sondern an den Relikten der alten Bestockung, den Uralteichen.
Von einem radikalen Bestockungswandel verschont blieben nur Bannwälder, einige Hutewälder (=lichte Wälder mit Waldweidenutzung, Anm. d. Redaktion) oder abgelegene Gebirgswälder. Sie sind heute die wichtigsten "Urwaldreliktstandorte" in Deutschland. Zwei Eichengenerationen im uralten Hutewald Rohrberg im Spessart schaffen Kontinuität bis in die Zeit Kaiser Karls des Großen.
Ab dem 19. Jahrhundert führte die Bodenreinertragslehre nochmals zu einem flächigen Bestockungswandel hin zu standortfremden Nadelbaumarten.
Habitattradition:
Darunter versteht man die Kontinuität eines Wald- oder Baumbestandes hinsichtlich seiner Baumartenzusammensetzung und seines Totholz- und Strukturangebots. Der wirtschaftende Mensch jedoch unterbricht seit über einem Jahrtausend diese Tradition.
Stimmen aus der Holzproduktion: "Das Leben ist kurz" und "Der Schlechte fällt zuerst"
Ökonomisch orientierte Umtriebszeiten unterbrechen kontinuierlich die Strukturtradition in den Wäldern. Erst an Buchen über 180 Jahren und Eichen über 300 Jahren kommt es verstärkt zur Ausbildung der Strukturen der Alters- und Zerfallsphase. Auch die Naturgemäße Waldwirtschaft ist in ihrem Ursprung ökonomisch orientiert, wer immer den "Schlechten" zuerst fällt, wird sehr schnell alle Biotopbäume "herausgepflegt" haben und verhindert in seinem Wald das Überleben anspruchsvoller Arten.
Alter Baum – junges Leben
Je älter ein Baum wird, desto vielfältiger wird sein Strukturangebot: Großhöhlen, Spechthöhlen, Vogel-, Säugetier- und Hautflüglernester, verschiedene Holzpilze, Flechten- und Mistelbesatz, Kampfzonen zwischen intaktem Holz und Faulholz, Spalten und Risse, alte Bohrgänge, starkes Ast- und Kronentotholz. Dies alles bietet Lebensraum für eine artenreiche Fauna. Gerade deshalb beherbergen alte Bestände, wie beispielsweise die bis zu 600 Jahre alten Traubeneichen des Rohrbergs im Spessart, den höchsten Anteil hochgradig gefährdeter Arten.
Lange Zeit hielt man die Mittelwälder Nordbayerns für totholzarm und war irritiert über ihre Artenvielfalt. An alten Oberholzeichen wurden jedoch bis zu einem Festmeter Totholz pro Baum gemessen, was einer Totholzmenge von bis zu 20 Festmetern pro Hektar am lebenden Baum entspricht.
Alte Bäume sind ein stabiler Lebensraum. Deshalb sind viele ihrer Bewohner hinsichtlich ihrer Biologie sehr konservativ. Geringe Reproduktionsraten und geringe Ausbreitungsfähigkeit, das alles war im Urwald mit seinem kontinuierlichen Angebot an Bäumen der Alters- und Zerfallsphase ausreichend. Man geht davon aus, dass der Eremit (Osmoderma eremita Scop.) Einzelbäume über Hunderte von Jahren besiedelt. Eine fahrlässig gefällte "Eremiteneiche" besiegelt deshalb unter Umständen das Ende einer im Gebiet seit Jahrtausenden existierenden Faunentradition.
Abb. 2: Der Eremit: eine Population kann über viele Jahrhunderte hinweg ein und dieselbe Uralteiche besiedeln (Foto: P. Bilan).
Nachhaltigkeit nicht nur in Festmetern messen
Die über 200-jährige Erforschung der xylobionten (=holzbewohnende bzw. vom Holz lebende Arten) Käferarten in Bayern erlaubt es, Waldgebiete zu identifizieren, die noch Reste der ursprünglichen Habitattradition aufweisen. In Bayern sind nur noch zehn Gebiete bekannt, in denen nennenswerte Vorkommen von Urwaldreliktarten existieren. Bezeichnenderweise sind von den zehn Gebieten acht Mittel- und Hutewälder sowie alte Parkanlagen und lediglich zwei Standorte sind alte Hochwälder.
Der Waldnaturschutz muss Prioritäten setzen. Die Erhaltung und Entwicklung der letzten alten Waldstandorte mit Habitattradition im Rahmen einer naturnahen Forstwirtschaft hat aus Artenschutzgründen größte Bedeutung. Ob uns dies gelingt, daran wird sich die moderne Forstwirtschaft messen lassen müssen.
Urwaldreliktarten zeichnen sich durch folgende Kriterien aus:
- nur noch reliktäre Vorkommen in Deutschland
- Bindung an Kontinuität der Strukturen der Alters- und Zerfallsphase bzw. Habitattradition
- hohe Ansprüche an Totholzqualität und –quantität
- Populationen in den kultivierten Wäldern Mitteleuropas verschwindend oder ausgestorben