Wald genießt gerade in den Verdichtungsräumen als Ort der Ruhe, des Ausgleichs und für sportliche Aktivitäten besondere Wertschätzung. Mit dieser oder ähnlich pauschalen Aussagen beschreiben wir gemeinhin die Bedeutung stadtnaher Wälder. Recht viel genauer wissen wir es auch meistens nicht. Zwar haben Forstbetriebe detaillierte Karten von den Standortsverhältnissen, den Baumarten und Altersklassen, sie wissen auch, wo Biotope und Schutzgebiete verortet sind. Den sozialen und kulturellen Wert von Wald beschreiben wir aber eher großflächig und pauschal unter der Leitfunktion "Erholung".

Für das politische Ziel der Walderhaltung ist die entsprechende Information aus der Erholungswaldkartierung vielfach ausreichend. Wer aber den verschiedenen Bedürfnissen von Besuchern wirklich gerecht werden oder Konflikten systematisch vorbeugen will, benötigt auch bei den sozialen Fragen der Waldnutzung detaillierte, ortsbezogene und aktuelle Informationen.

In drei staatlichen Forstbetrieben in Baden-Württemberg liegen diese Daten nun vor. Im Rahmen des Projekts Urbane Waldwirtschaft der Abteilung Wald und Gesellschaft an der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt in Freiburg wurde in den letzten beiden Jahren erhoben, wo sich Stadtbewohner in angrenzenden Waldgebieten besonders gerne aufhalten, welche Wege sie nutzen und warum das der Fall ist. Das Projekt wird von ForstBW und der Eva Mayr-Stihl Stiftung finanziell und personell unterstützt und liefert den Forstbetrieben inzwischen die räumlichen Informationen, die zur Berücksichtigung gesellschaftlicher Interessen bei Planungs- und Entscheidungsprozessen im Waldmanagement nötig sind.

Urbane Waldwirtschaft: Ökonomische, ökologische und soziale Aspekte

Wälder sind Orte der Holzproduktion, Lebensräume für eine Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten und nicht zuletzt Erholungsräume für den Menschen. Diese verschiedenen wirtschaftlichen, ökologischen und gesellschaftlichen Funktionen in der Bewirtschaftung von Wäldern gleichermaßen zu fördern, ist eine Herausforderung. Insbesondere im Kommunalwald und dem Staatswald in dicht besiedelten Räumen spielt die Berücksichtigung der Bevölkerungsinteressen an benachbarten Waldgebieten eine zentrale Rolle in der Eigentümerzielsetzung. Die Bedeutsamkeit von Naturerholungsräumen nimmt in Zeiten zunehmender Verstädterung, wie sie aktuell zu verzeichnen ist, vor allem in und um die Städte zu. Die 2018 vorgestellte neue Erholungswaldkartierung brachte in Baden-Württemberg eine erste Verbesserung der Entscheidungsgrundlage für das Management. Dieses Werkzeug durch eine differenziertere Visualisierung des Erholungswerts von Wald weiterzuentwickeln und mit repräsentativen Bevölkerungsumfragen zu untermauern, ist Ziel des Projekts Urbane Waldwirtschaft. Hierfür wurden Online Befragungen in drei dicht besiedelten Regionen Baden-Württembergs durchgeführt, bei denen die Teilnehmer genutzte Wege und kulturelle Ökosystemleistungen selbst kartiert und bewertet haben. Letztere sind Leistungen der Natur, die den Menschen einen gesundheitlichen Gewinn (körperlich und psychisch) bringen. Hierzu zählen Erholung, ästhetisches Empfinden, spirituelle Erfahrungen, Umweltbildung, Inspiration, Heimatgefühl, sozialer Austausch und kulturelle Identität.

Studie: Kartierung kultureller Ökosystemleistungen und Wegenutzung

Zwischen Mai und Oktober 2017 wurden Online Umfragen in Karlsruhe, Stuttgart und im Raum Schwetzingen durchgeführt. Dabei haben die Teilnehmer ihre Nutzungsgewohnheiten (Wege) in den jeweiligen Projektgebieten (Karlsruher Hardt, Stuttgarter Rotwildpark, Schwetzinger Hardt) auf Karten, die in der Online Umfrage integriert waren, eingezeichnet. Ebenso haben sie die oben genannten kulturellen Ökosystemleistungen der persönlich genutzten Wälder kartiert. Zusätzlich wurden die Teilnehmer dazu befragt, wie stark ihr Wohlbefinden beim Waldbesuch durch verschiedene Faktoren (s. Abb. 4) eingeschränkt ist. Insgesamt haben 3.360 Personen an der Studie teilgenommen, von denen 15.000 Waldorte markiert wurden.

Die Studienteilnahme wurde über verschiedene Kanäle beworben. Mithilfe der jeweils zuständigen Behörden wurden je Projektregion 3.000 Haushalte zufällig ausgewählt und postalisch angeschrieben. Die Adressaten waren zwischen 16 und 75 Jahre alt und das Geschlechterverhältnis war ausgeglichen. Über dieses Verfahren hinaus wurden Schulen und Vereine per E-Mail zur Studienteilnahme eingeladen. Des Weiteren wurde die Studie mithilfe von Plakaten und Flyern beworben sowie bei öffentlichen Veranstaltungen, in Lokalzeitungen und im Rundfunk.

Die Datenauswertung umfasste das Erstellen von Hotspot-Karten der markierten kulturellen Ökosystemleistungen und die Untersuchung von Zusammenhängen zwischen diesen Hotspots und menschengemachten Infrastrukturen (z. B. Gebäude, Grillhütten, Tiergehege), natürlichen Merkmalen (z. B. Gewässer) und Bestandseigenschaften (z. B. Artenzusammensetzung, Bestandsdichte, Baumhöhen).

Visualisierung kultureller Hotspots

Die Ergebnisse der Kartierung kultureller Ökosystemleistungen sind am Beispiel der Schwetzinger Hardt in Abb. 2 dargestellt. Sie veranschaulichen, wie sich Bezüge zwischen kulturellen Hotspots und der jeweils vor Ort vorhandenen Infrastruktur, Bestandsart oder Naturschutzfläche herstellen lassen. So zeigt sich, dass die Studienteilnehmer eine Vielfalt an Infrastrukturen und Merkmalen des Waldgebietes als kulturell wertvoll erachten. Sowohl Gewässer (Teich-Biotop, Hardtbach), Naturschutzflächen und Dünenlandschaften (ehemalige Ostkurve, Zugmantel-Biotop) als auch Infrastruktur zum Rasten (Hütte), zur Umweltbildung (Waldlehrpfad, Dünenlehrpfad), Tierbeobachtung (Wildgehege) und Sport (Golfplatz, Trimm-Dich-Pfad) sind Anziehungspunkte im Wald.

Die erhobenen Daten ermöglichen darüber hinaus, einzelne Ökosystemleistungen in den Projektgebieten differenziert zu betrachten. Dabei zeigt sich einerseits, dass an manchen Waldorten eine Vielfalt dieser Leistungen gleichzeitig wahrgenommen wird und andererseits, dass sich einige Leistungen in ihrer räumlichen Lage unterscheiden. So veranschaulicht Abb. 3 jene Orte, an denen die Besucher aussagen, dass sie dort etwas über die Natur lernen und Abb. 4 Gebiete, die für den Gast historisch oder kulturell eine wichtige Bedeutung haben. Damit liegen Karten vor, die sich nicht an den Kriterien der Anbieter orientieren, sondern solche, die die Wahrnehmung, Bewertung und Nutzung von Waldorten beziehungsweise Angeboten zur Grundlage haben.

Die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen den markierten kulturellen Ökosystemleistungen und menschengemachten Infrastrukturen, natürlichen Merkmalen und Bestandseigenschaften hat ergeben, dass die Nähe zu Sehenswürdigkeiten, Gewässern und Infrastrukturen für Sport und Bildung wichtige Parameter für die Attraktivität von Waldorten sind. Spezifische Eigenschaften wie die Baumartenzusammensetzung, Kronenschlussgrad und Baumhöhen spielen für die Beliebtheit von Waldorten eine weniger wichtige Rolle.

Die Ergebnisse der Bewertung der Faktoren, die beim Waldbesuch als unangenehm empfunden werden können, sind in Abb. 5 dargestellt. Demnach ist das Wohlbefinden der Studienteilnehmer am stärksten durch andere Waldbesucher eingeschränkt, gefolgt von Verkehrslärm und eingewanderten Pflanzen. Forstliche Aktivitäten wurden im Vergleich dazu als wenig störend empfunden. Das Wohlbefinden beim Waldbesuch ist am wenigsten durch die Faktoren "eingeschränkte Sicht", "Angst vor Wildtieren" und "Allergie" beeinträchtigt.

Visualisierung der Wegenutzung in urbanen Wäldern

Die Ergebnisse der Kartierung von genutzten Wegen in der Schwetzinger Hardt ist in Abb. 6 veranschaulicht. Es zeigt sich, dass die am stärksten genutzten Wege Verbindungsstrecken zwischen den umliegenden Ortschaften (z. B. zwischen Hockenheim und Oftersheim bzw. Sandhausen und Reilingen und Sandhausen) sind. Ein intensiv genutzter Weg, der nicht direkt zwei Gemeinden verbindet, ist jener zwischen dem Hockenheimring und dem Bannwald "Kartoffelacker". Diese Strecke ist – neben der Nähe zu Walldorf, Reilingen, dem Saupfergbuckel und Parkplätzen – durch Schutzhütten, eine Vesperhütte und eine Wegkreuzung charakterisiert.

Anwendungen in der Praxis: Bewirtschaftung und Besucherlenkung

Das Verschneiden von Karten der kulturellen Ökosystemleistungen und Wegenutzung mit solchen, die forstwirtschaftliche und naturschutzfachliche Informationen abbilden, kann die gemeinsame Schnittmenge sowie potenzielle Konflikte zwischen ökonomischen, ökologischen und sozialen Zielsetzungen aufzeigen. Dies ermöglicht es dem Management, Kompromisse auszuarbeiten, bei denen mehrere Aspekte berücksichtigt werden. Die im Rahmen des Projekts erarbeitete räumliche Darstellung gesellschaftlicher Interessen stellt eine Weiterentwicklung und Differenzierung der bisherigen Waldfunktionenkartierung dar und kann bei Planung und Management als zusätzliches Entscheidungstool zum Beispiel für die Entwicklung von Besucherlenkungskonzepten und zur Priorisierung von Betriebszielen herangezogen werden. Die Wegenutzungskarten im Besonderen können den Forstbetrieben Hinweise geben, welche Wege besser erhalten und schneller wiederhergestellt werden sollten, um den Bedürfnissen und dem Freizeitverhalten der örtlichen Bevölkerung gerecht zu werden. Darüber hinaus können die Wegenutzungskarten, wenn sie von der städtischen Verkehrsplanung einbezogen werden, zur Entwicklung von regionalen oder kommunalen Mobilitätskonzepten beitragen. Zusätzlich liefert das Wissen darüber, dass andere Besucher der schwerwiegendste Störfaktor beim Waldaufenthalt sind, einen wichtigen Beitrag für die Besucherlenkung und Wegekonzeption. So ist es wichtig, ein ausreichend dichtes Wegenetz zur Verbindung attraktiver Waldorte zu pflegen und zu konzipieren, um Besuchern die Möglichkeit zu geben, "sich aus dem Weg zu gehen".

Ausblick

Die im Rahmen des Projekts Urbane Waldwirtschaft erhobenen Daten können eine Grundlage für die Vorhersage beliebter Waldorte in weiteren Regionen Baden-Württembergs bilden. Die Studie zeigt, dass die Nähe zu Sehenswürdigkeiten, Gewässern und Infrastrukturen für Sport und Bildung die Attraktivität von Waldorten besser erklärt als spezifische Bestandseigenschaften. Oder anders formuliert: Die Attraktivität des Erholungswaldes beruht nicht nur auf waldbaulichen Maßnahmen, sondern muss kulturelle und soziale Angebote einschließen. Die Menschen suchen im stadtnahen Wald nicht nur das Naturidyll als Gegenwelt zu ihrem städtischen Umfeld, wie oft gesagt wird. Sie präferieren in ihrer Mehrheit innerhalb des Waldes vor allem jene Orte, an denen das Treffen mit Gleichgesinnten sicher möglich ist, Anregungen für sportliche Aktivität besteht, Geschichte erlebbar wird oder Waldwissen ansprechend aufbereitet wurde. Die Bewirtschaftung von Wäldern wird von den allermeisten Freizeitnutzern weniger negativ wahrgenommen als zuvor von den zuständigen Forstleuten angenommen.

Danksagung

  • Unser herzlicher Dank gilt ForstBW und der Eva Mayr-Stihl Stiftung für die finanzielle Förderung des Projekts.