Wochenlang arbeiteten wir im Homeoffice. Ein gelegentlicher Blick durchs Fenster in den Garten oder über die Strassenallee, vielleicht genehmigten Sie sich auch einen kleinen Spaziergang an der frischen Luft (Abb. 1 und 2). Der Kontakt mit der grünen Umwelt tut gut und ermöglicht einen kurzen Entspannungsmoment. Doch was genau macht die Natur eigentlich so erholsam? Und wie kann die Praxis diese Erkenntnisse anwenden?
Abb. 2 – Es muss nicht Wildnis sein: Auch städtisches Grün kann erholsam wirken. Foto: alex.ch (CC BY 2.0) creativecommons.org/licenses/by/2.0
Der Wald – ein Lieblingserholungsort der Schweizer Bevölkerung
Der Wald ist bei der Schweizer Bevölkerung ein beliebter Erholungsort. Dies hat unter anderem damit zu tun, dass der Wald ein weit verbreitetes Landschaftselement darstellt. Rund 30% der Schweizer Landesfläche ist mit Wald bedeckt. Für Erholungssuchende ist der Wald einer der wichtigsten, für die breite Öffentlichkeit frei zugänglichen Naturräume. Die Covid-19-pandemiebedingten Einschränkungen und Massnahmen im öffentlichen Leben wirkten sich auch auf die Nutzung von Grünräumen aus. Eine Studie zum Besucherverhalten der Bevölkerung in Wäldern zeigte deutliche Verhaltensunterschiede der Waldbesuchenden vor, während und nach dem Lockdown im Frühjahr 2020 (Abb. 3). Während des Lockdowns gingen die Personen, die sich auch vor der Pandemie sehr häufig im Wald aufhielten, beinahe täglich dorthin. Personen, die nur wenig Zeit im Wald verbrachten, besuchten diesen während des Lockdowns noch seltener. Insgesamt nahm die wöchentliche Besuchshäufigkeit in dieser Zeit leicht zu sowie die jeweilige Aufenthaltsdauer leicht ab.
Unabhängig von der Pandemielage haben Wälder für über 90% der Schweizer Bevölkerung eine hohe Bedeutung im alltäglichen Leben. In Zahlen ausgedrückt wird der Wald für mehr als 80 Sportarten regelmässig genutzt (Abb. 4) und dient damit sowohl der psychischen als auch der physischen Regeneration. Die Erholungsfunktion der Schweizer Wälder hat einen ökonomischen Wert von rund drei Milliarden Schweizerfranken.
Abb. 4 – Mountainbike Downhill-Strecke im Wald. Foto: BASPO.
Je näher desto besser
Menschen, die während der Pandemie im Homeoffice arbeiteten, gingen häufiger in den Wald als vor dem Lockdown. Dabei wurden Erholungsorte bevorzugt, die innert weniger Gehminuten erreichbar sind. 72% der Leute, die vor und während der Pandemie regelmässig in den Wald gingen, besuchten diesen zu Fuss. Auch zu nicht-Pandemie Zeiten erreichen rund zwei Drittel der Schweizer Bevölkerung den Wald präferiert ohne Transportmittel, etwa 19% nehmen das Auto oder Motorrad, ungefähr 9% das Fahrrad und lediglich 5% benutzen die Öffentlichen Verkehrsmittel(WaMos3). Diese mieden viele Menschen in den Pandemiezeiten bewusst und bewegten sich lieber zu Fuss oder auf zwei Rädern fort.
Im Durchschnitt ergeben sich Wegzeiten von maximal fünf bis zehn Minuten. Naherholungsgebiete, also wahrgenommene Naturräume vor der eigenen Haustüre, scheinen folglich einen besonders hohen Stellenwert zu haben. Dies gilt für Bewohnerinnen und Bewohner von ländlichen Regionen und der Stadt (Abb. 5). Diese Untersuchung unterstreicht die Bedeutung des Waldes als Ort der Erholung für die Gesellschaft. Die Erholungsnutzung ist als grundlegender Bestandteil in das Waldmanagement zu integrieren, wobei der Einfluss von Krisensituationen auf bestimmte Nutzungsmuster zwingend berücksichtigt werden muss.
Abb. 5 – Unterschiedliche Besuchshäufigkeiten im Wald. Die hellen Balken zeigen jeweils das Besuchsverhalten vor-, die dunklen Balken während Corona, jeweils für ländliche, peri-urbane und städtische Regionen. Auffällig ist, dass während Pandemiezeiten die tägliche Besuchshäufigkeit im Wald für Personen mit städtischem Wohnsitz am deutlichsten zunahm. Grafik: Wunderlich et al. (2021).
Was macht eine Landschaft erholsam?
Es gibt die These, dass die Naturverbundenheit ein Urinstinkt ist, der sich früh in der Kindheit entwickelt und mit jedem Naturkontakt wächst. Die positive Wirkung der Natur auf die Gesundheit und das menschliche Wohlbefinden ist bekannt, obwohl der Ursprung dieser Beziehung bis heute nicht vollumfänglich geklärt ist. Mit dem Wandel der Zeit, der zunehmenden Verstädterung und der ständigen Hektik des Alltags wurde diese ursprüngliche Naturverbundenheit aber lange vernachlässigt und entwickelte sich dadurch vermehrt zu einem Outdoorsport-Boom. Die COVID-19-Pandemie hat das Grundbedürfnis der Naturnähe in einem Grossteil der Bevölkerung wieder – oder weiter – gestärkt. Das Verlangen, die eigenen vier Wände zu verlassen und in die Natur zu flüchten, war in Zeiten des Lockdowns besonders ausgeprägt. Entsprechend populär war auch der Trend, Alltagslandschaften für Freizeit, Erholung und Sport zu nutzen.
Das Interesse für die Zusammenhänge zwischen Natur und menschlicher Gesundheit ist aber keineswegs erst mit Covid-19 erwacht, sondern wird seit rund 20 Jahren intensiv erforscht. Das Ehepaar Kaplan dokumentierte bereits 1989 mittels ihrer „Attention Restoration Theory“ (ART) erste beobachtete Effekte von Naturerfahrungen auf die menschliche Regenerationsfähigkeit. Nach dieser Theorie bietet die Natur u.a. die Möglichkeit, sich sowohl physisch als auch psychisch vom Stress zu distanzieren („being away“). Aktuelle Studien bestätigen, dass Bewegung als auch Naturaufenthalt einen wichtigen Stellenwert für den Stressabbau haben. Sie unterstreichen auch die Notwendigkeit, Grünflächen in der Stadt zu erhalten, wo sich die Bewohnerinnen und Bewohner bewegen können.
Wie misst man «Erholungsnutzung»?
Die Erholung ist eine von vielen für die Bevölkerung sehr wertvolle Landschaftsleistung, welche das Landschaftsbeobachtungsprogramm Schweiz (LABES) zum Beispiel mit dem Indikator Erholungsnutzung misst. Nebst diesem Indikator misst LABES aber auch die Veränderung der physischen Landschaft und erfasst die von der Bevölkerung wahrgenommene Landschaftsqualität anhand einer Anzahl ausgewählter Parameter, wie beispielsweise Schönheit, Authentizität, Ortsbindung oder Besonderheit der Landschaft. Aber nicht nur LABES erfasst die Erholungseignung der Landschaft. Mithilfe eines durch die WSL entwickelten Modells, kann mit einfachen Mitteln abgeschätzt werden, wie gross die Erholungseignung eines Gebiets ungefähr ist. Dabei spielen die Zugänglichkeit (Distanz in Metern), aber auch Landschaftselemente wie Wald, Wasser oder Aussicht eine wichtige Rolle. Die Bewertung verschiedener Naturräume durch oben genannte Parameter liefert grundlegende Informationen für die Gestaltung und Pflege erholsamer Landschaften.
Gute Kommunikation hilft dabei, das Konfliktpotential zu minimieren
Das Bedürfnis nach Naherholung ist nicht nur eine Nebenerscheinung der Pandemie, sondern ein grundsätzliches Bedürfnis. Kommunale Naherholungsgebiete werden aber primär entweder landwirtschaftlich oder forstlich genutzt und erfüllen oft diverse andere Funktionen, deren wir uns nicht immer bewusst sind. Im modernen Waldmanagement muss der Wald als multifunktionales Ökosystem diversen Ansprüchen gerecht werden. Er ist Lebensraum für Flora und Fauna, Energie- und Rohstofflieferant, sichert die Trinkwasser- und Luftqualität und dient eben als Ort der frei zugänglichen und individuellen Naherholung. In Realität ist diese Erholungsfunktion fast ausnahmslos sekundär und tangiert mit bekanntermassen grossem Konfliktpotential die anderen Funktionen.
Abb. 6 – Schneesport abseits der Pisten, Teil der Kampagne «Respect Wildlife». © natur-freizeit.ch
Lenkungs- und Naturschutzmassnahmen, wie kantonal geregelte Wildruhezonen oder Kampagnen helfen dabei, das Verhalten der Erholungssuchenden positiv zu beeinflussen. Die Kampagne «Respect Wildlife» (seit 2013, Abb. 6) beispielsweise richtete sich dabei an Schneesportlerinnen und -sportler und insbesondere die Freerider. Die wissenschaftliche Evaluation dieser Kampagne ergab vielversprechende Ergebnisse, die zu ähnlichen Kampagnen in verwandten Problemfeldern ermutigen. Dabei zu berücksichtigende Erfolgsfaktoren sind die enge Zusammenarbeit mit der Zielgruppe, die bewusste Anwendung von spezifischen Überzeugungstechniken und die Langfristigkeit der Kampagne. Ein nachhaltiges Management von Naturräumen soll eine Balance zwischen Bewirtschaftung und Naturbelassenheit schaffen, sodass sämtliche Funktionsrollen der Landschaft gewährleistet werden können.