Geografische Verbreitung
Die Vogelbeere (Sorbus aucuparia) ist nahezu in ganz Europa verbreitet. Ihr grosses Areal erstreckt sich tief nach Sibirien und erreicht in Skandinavien die nördliche Waldgrenze.
Ihre auch bezüglich Höhenlage weite Verbreitung ist auf die ausserordentlich grosse Standorttoleranz zurückzuführen. Nach Leibundgut (1984) fehlt diese oft strauchförmige Baumart einzig in Sumpfgebieten, auf Schwarzerlenstandorten und auf Rohböden.
Die Vogelbeere ist in der ganzen Schweiz verbreitet, was sich auch in den vielfältigen schweizerdeutschen Bezeichnungen widerspiegelt:
Deutsch | Vogelbeere, Vogelbeerbaum, Eberesche |
Schweizerdeutsch | Vogelbeeri, Vogeleschli, Eberesche, Äbarescha, Schwiiesche, Stinkösche, Wielesche, Wüelesche, Wildesche, Welesche, Wielerche, Büelesche, Nielesche, Gürmsch, Girmsch, Gürgetsch, Göretsch, Gürratsch, Girigitsch, Girrätsch, Gürütsch, Bärwid, Eschvogelbeerbom, Gaisseleiterli, Güggelhödis, Lischme, Mooseisch, Moosesch, Wiissmehlbomm |
Rätoromanisch | culaischen, culeschem |
ltalienisch | sorbo degli uccellatori, tamarindo, sorbo selvatico |
Französisch | sorbier des oiseleurs |
In den niederschlagsarmen Gebieten der Regionen Jura und Mittelland ist sie allerdings selten anzutreffen oder fehlt kleinräumig, etwa bei Basel oder in Tieflagen des westlichen Mittellandes (Abb. 2). Die Hauptverbreitung liegt in den westlichen und zentralen Gebieten der nördlichen Randalpen und des Juras sowie im Unterwallis. Am grössten ist der Anteil der dickeren Vogelbeeren (BHD ≥ 12 cm) in den westlichen Alpen mit 1,8 % (Abb. 3).
Standörtliche Vorkommen
Vogelbeerbäume wachsen zu 90 % in der oberen Montan- und der unteren Subalpinstufe, die Hälfte der Bäume oberhalb von 1300 m ü. M. (Abb. 4). Die höchstgelegene Probefläche des Schweizereischen Landesforstinventars LFI mit Vogelbeere liegt aktuell auf 2167 m ü. M. ob Saas-Balen im Wallis. Zusammen mit der Alpenerle (Grünerle) soll die Vogelbeere bis maximal 2300 Meter steigen. Unter den Laubbäumen zeigt sie die grösste Höhenverbreitung, knapp vor Birke und Weisserle (Abb. 4). Das Vorkommen dieser lichtbedürftigen Pionierart ist weitgehend durch die Konkurrenz bedingt. Überdurchschnittlich häufig ist sie im aufgelösten Gebirgswald, im plenterartigen und ungleichförmigen Hochwald, im Jungwuchs und im lückigen, gleichförmigen Hochwald.
Die Vogelbeere gedeiht meist in Hanglagen (Seitenlicht) ab 10 ° Neigung. In tieferen Lagen bevorzugt sie das frische und feuchte Klima der Nordwest- bis Nordosthänge, ganz im Gegensatz zur Mehlbeere. Wie die Fichte bevorzugt die Vogelbeere einen sauren Untergrund, ist aber auch auf basischen Böden vertreten. Sie ist in zahlreichen Waldgesellschaften beigemischt und nur im sehr seltenen Grünerlen- Vogelbeerwald dominierend. Hauptsächlich und mehr als jede andere Laubbaumart ist die Vogelbeere im Nadelwald verbreitet. Zwei Drittel der Vogelbeeren besiedeln Fichtenbestände, die restlichen stehen in Tannen-, Lärchen-, Buchen- und Ahornwäldern.
Häufigkeit
Mit einer Stammzahl (BHD ≥ 12 cm) von 2,7 Millionen und einem Anteil von 0,5 % wirkt die Vogelbeere eher unbedeutend. Werden aber auch die Pflanzen ab 10 cm Höhe in Betracht gezogen, so ist sie auf 31 % der LFI-Flächen vertreten. Diese weitverbreitete, aber kurzlebige Baumart erreicht ein Alter von höchstens 80 bis 100, maximal 150 Jahren. Baumhöhen von mehr als 15 bis 20 Meter (LFI1: max. 24 Meter) und Durchmesser von mehr als 25 bis 30 cm (LFI1: max. 37 cm) sind bei der Vogelbeere selten.
Als Gefahr für eine nachhaltige Population wird oft der Wildverbiss hervorgehoben. Dieser (Vorjahresverbiss) hat in den letzten 20 Jahren gemäss LFI an Vogelbeeren von 10 bis 129 cm Höhe gesamtschweizerisch von 44 % auf 35 % abgenommen. Trotz dieser hohen Verbissbelastung hat gleichzeitig die Anzahl junger Vogelbeeren in dieser Höhenklasse deutlich zugenommen. Auch in der gesicherten Verjüngung (Klassen 0,1 – 3,9 cm und 4,0 – 7,9 cm BHD) hat sie gesamtschweizerisch deutlich zugenomme. Diese überwiegend positiven Durchschnittswerte dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Verbissschäden lokal oft erheblich höher sind und die Population gefährdet sein kann.
Bedeutung
Aus dem vierten LFI 2009/2017 resultieren für die Vogelbeere ein Vorratsanteil von 0,08 % und ein mittlerer Stamminhalt von 0,1 m3. Damit ist sie, wie etwa auch die Mehlbeere, der Feldahorn, die Traubenkirsche oder die Weisserle, eine typische Nebenbaumart mit geringem holzwirtschaftlichem Stellenwert. Nach einem raschen Jugendwachstum sinkt der Zuwachs nach zwanzig Jahren.
Das Holz erlangt einzig im Norden Eurasiens, etwa als Möbelholz, eine wirtschaftliche Bedeutung. Dünne Stämmchen ergeben gute Spazierstöcke und Werkzeugstiele, dickere Exemplare sind als Drechsler- und Schnitzerholz geschätzt. Früher fand das zähe Holz auch für Zahnräder, Dübel oder Achsen Verwendung. Heute wird es allenfalls noch als Brennholz verkauft.
Waldbaulich spielt die Vogelbeere eine wichtige Rolle als natürliche Vorwaldbaumart bei der Verjüngung subalpiner Fichtenwälder oder in der natürlichen Sukzession des Hochstauden-Tannenwaldes. Sie ist widerstandsfähig gegen Frost oder Schneelast und bietet als Erstbesiedler auf Windwurf- oder Kahlflächen den Schlusswaldarten den notwendigen Schutz. Für die Aufforstung von Bergstürzen sowie als Schutzwaldbaumart bei der biologischen Wildbach- und Lawinenverbauung ist sie in der Subalpinstufe unentbehrlich: Einerseits ist sie in der Jugend sehr elastisch und anderseits kann sie sich nicht nur durch Samenbildung, sondern auch durch Wurzelbrut, Ableger und Stockausschläge vermehren (Abb. 6).
Abb. 6 - Die Vogelbeere kann sich nicht nur durch Samenbildung, sondern auch durch Wurzelbrut, Ableger und Stockausschläge vermehren. Foto: Thomas Reich (WSL)
Der ökologische Wert der Vogelbeere im Gebirgswald ist sehr hoch. Unter den Gehölzpflanzen steht sie zuoberst auf der Beliebtheitsskala der Vögel. Sie dient als Schlaf- und Futterstelle für seltene Raufusshühner und gilt als Futterpflanze für über 60 Vogelarten. Wertvoll ist sie auch als Bienenweide, Lebensraum für Insekten und Äsungspflanze für das Wild. Die leicht abbaubare Streu des oft einzigen Laubbaums der Subalpinstufe fördert die Humusbildung.
Die Vogelbeere, eine landschaftliche Zierde des Bergwaldes, eignet sich auch als Alleebaum in montanen Lagen, nicht zuletzt wegen ihrer Resistenz gegen Luftverschmutzung. Zudem hat die Vogelbeere in der Naturheilkunde und Volksmedizin ihren festen Platz. Die frischen Früchte sind reich an Vitamin C und wirken abführend, in gekochter Form dagegen stopfend. Sie werden bei mangelhafter Nierentätigkeit, Gicht, Rheumatismus, Husten und Heiserkeit sowie zur Blutreinigung verwendet.
(TR)