Vor 30 Jahren war der Speierling selbst in Fachkreisen wenig bekannt. Noch 1994 gab es Forstdienste im Jura, die überrascht waren, in ihren Bestandesflächen Speierlinge vorzufinden. Eigentlich ist das nicht verwunderlich, denn der Speierling bildet wie auch die in seiner Gesellschaft lebende Elsbeere keine reine Bestandesflächen. Speierlinge sind Einzelgänger mit vorzüglichen Eigenschaften was die Holz und Fruchtverwendung betrifft. Wer je einen Speierling (Sorbus domestica) voll behangen mit zierlichen Früchten gesehen hat, ist staunend und freudig beeindruckt von dem farbenfrohen Gruss aus dem Reich der Natur.
Warum ist dies ein so seltener Baum? In der Jugend gleicht der Speierling mit seinem Blattwerk dem weit verbreiteten Vogelbeerbaum (Sorbus aucuparia). Er wird deshalb leicht verwechselt und im Baumbestand des Waldes nicht beachtet. Diese je nach Kanton geschützte Baumart erreicht eine Höhe bis gegen 30 m und wird 500 bis 600 Jahre alt.
Trotz hoher Lichtbedürftigkeit wächst der Speierling sehr langsam und kann gegen die wüchsige Buche nicht bestehen. Deswegen bedarf es nebst der richtigen Standortwahl der entsprechenden Pflege (wiederholtes Freistellen), um diese interessante Baumart zu erhalten. Der Speierling vermehrt sich in der Natur sehr schlecht. Die jungen Triebe sind zudem für das Wild ein begehrter Leckerbissen. Die Nachzucht des Speierlings ist aufwendig, sein wertvolles, schönes Möbel und gutes Drechslerholz war von Kennern aber schon immer sehr gefragt. Doch holen und nehmen war stets einfacher als vermehren, pflanzen und pflegen. Die Befürchtung, dass dieser prachtvolle und in vieler Hinsicht wertvolle Baum vom Aussterben bedroht ist, ist leider berechtigt.
In den Wäldern im Raum Basel bis Schaffhausen schätzt man den Bestand an Speierlingen auf rund 100. Mindestens 60 Stück dieser seltenen Baumart wachsen in Schaffhauser Wäldern, wo sie unter Schutz stehen und nicht gefällt werden dürfen. Zur Erhaltung des Speierlings trägt auch die Eidgenössische Forschungsanstalt WSL bei. Seit 1985 erproben Forscher im Versuchsgarten die Vermehrungstechniken für diese Baumart. Bis heute wurden etwa 1000 nachgezogene Speierlinge an verschiedene schweizerische Forstbetriebe ausgeliefert.
Abb. 2- Aus den Früchten lässt sich Schnaps brennen. Das Obst ist aber auch roh geniessbar. Foto: Arnold Storrer
Der Methusalem der Speierlinge
Der grosse und älteste aller Speierlinge stand in Frankreich. In einem Buch wird er mit einer erstaunlichen Beschreibung erwähnt:
Ein Monsieur H. Massé, Gärtner in Westfrankreich, berichtet in der Revue horticole von 1900 über einen "Géant Cormier", einen Riesen Speierling, der in 1 m Höhe 5 m und am Boden 7 m Umfang messe. Der Stamm sei aufgespalten, innen hohl, und der nur noch auf einem dicken Rindenteil stehende Baum trage stets noch jeden Herbst zahlreiche schöne Früchte. Seine ehrwürdige Krone vermittle sogar einen lieblichen, beeindruckenden Anblick. Niemand wisse, wie alt er sei. Seit hundert Jahren sähen ihn die Einheimischen stets in derselben ehrwürdigen Gestalt eines Methusalem. Vermutlich hat er mehr als vier Jahrhunderte seinen ihm eigenen Früchtesegen, der bis tausend Kilo und mehr pro Ernte betragen kann, grosszügig gespendet.
Dieser bis jetzt stärkste bekannte Riese von 1,6 m Durchmesser, wie lange mochte er noch gelebt haben? Vielleicht noch 20, 30 oder mehr Jahre? Von 1900 bis 1950, oder lebt er noch? Hat er vielleicht das biblisch erwähnte Höchstalter Methusalems erreicht? Ein Mitarbeiter der Forschungsanstalt WSL wollte das wissen und machte sich auf die Suche nach Frankreich. Vom "Géant Cormier" fehlte aber jede Spur. Immerhin entdeckte der WSL-Forscher ein ähnlich grosses Exemplar. Dieser Riesen-Cormier mit dem respektablen Durchmesser von 1,10 m erwies sich als ein heute noch lebender Bruder des gesuchten Methusalems.
Abb. 3 - Der Bruder des "Géant Cormier" Foto: Arnold Storrer
Förderkreis Speierling
Am 9. April 1994 wurde in Frankfurt/M der Förderkreis Speierling gegründet. Die Vereinigung setzt sich für die Erhaltung und Förderung bedrohter Baumarten ein und veröffentlicht zweimal jährlich das Mitteilungsblatt CORMINARIA. Mit dieser Zeitschrift will man Interessenten der beiden Sorbus Arten Speierling (Sorbus domestica) und Elsbeere (Sorbus torminalis) über alle neuen Forschungsergebnisse und Bemühungen unterrichten und zugleich zu neuen Forschungen anregen. Die Schrift will für die Erhaltung und Förderung dieser Baumarten, deren Nachzucht und Vermehrung und auch für die vielseitige Verwendung des Holzes sowie der aus den Früchten hergestellten Produkte werben.
Abb. 4 - Verbreitung des Speierlings in der Schweiz. Quelle: infoflora.ch
(TR)