Der Schwarze Holunder (Sambucus nigra) ist von Europa bis Kleinasien und über den Kaukasus bis nach Westsibirien beheimatet. Auch in Nordafrika sind Vorkommen bekannt. Bei uns ist die Art weit verbreitet und kommt in den Alpen bis 1600 m ü. NN vor. In Mitteleuropa sind drei Holunder-Arten heimisch: der Schwarze Holunder (Sambucus nigra), der Trauben-Holunder (Sambucus racemosa) – auch Roter Holunder oder Hirschholunder genannt – sowie der Stauden- oder Zwerg-Holunder (Sambucus ebulus). Dabei ist besonders der Schwarze Holunder zu einer typischen Begleitpflanze menschlicher Siedlungen geworden und hier eine häufige Gehölzart, v. a. in ländlichen Gebieten.
Der Schwarze Holunder ist ein Strauch, der entlang von Waldrändern, auf Lichtungen, in Gebüschen und Hecken sowie in Misch- und Auwäldern vorkommt. Neben den natürlichen Standorten tritt die Art außerdem auf anthropogen beeinflussten Standorten wie z. B. auf Halden, Brachflächen, ehemaligen Rieselfeldern und Deponien auf. Der Schwarze Holunder wächst zwar fast auf jedem Substrat, bevorzugt aber eindeutig nährstoffreiche, mäßig trockene bis feuchte Böden. Er gilt als Zeigerpflanze für nährstoffkräftige Böden und ist ein typisches Element nitrophiler Pflanzengesellschaften.
Botanische Merkmale
Beim Schwarzen Holunder stehen wie bei allen Geißblattgewächsen (Caprifoliaceae) die 10–30 cm langen Blätter gegenständig. Sie sind unpaarig gefiedert und setzen sich aus 5–7 gesägten Einzelblättchen zusammen (Abbildung 1). Die Art treibt – wie z. B. die Traubenkirsche (Prunus padus) – sehr früh aus. Nicht selten brechen die Knospen bereits Ende Februar/Anfang März auf. Der Austrieb ist im Gegensatz zum violetten Austrieb von Sambucus racemosa frisch grün. Das Mark junger Zweige ist weiß gefärbt, im Gegensatz zum braunen Mark beim Trauben-Holunder.
Holunderblüten und blütenbesuchende Insekten
Die einfach gebauten fünfzähligen Blüten stehen in breiten tellerförmigen Trugdolden (Abbildungen 2 und 3), die erst lange nach dem Laubaustrieb im Juni aufblühen. Sie werden überwiegend von Fliegen und Käfern bestäubt. Der Schwarze Holunder hat allgemein für Insekten, die sich von Pollen und/oder Nektar ernähren, große Bedeutung. Viele Käferarten aus verschiedensten Familien sind auf den Blüten anzutreffen, darunter auch große Bockkäfer wie Buchenbock (Cerambyx scopolii), Zangenböcke, Blütenböcke, Rosenkäfer und Wollkrautblütenkäfer. Für diese Arten ist auch wichtig, dass die Blütezeit des Schwarzen Holunders nach der Blüte der Weißdorne liegt und somit eine “zeitliche Lücke” füllt. In den Holunderblüten können drei Gallmückenarten vorkommen. Blasig angeschwollene Blütenknospen, die sich nicht mehr öffnen, gehen auf den Befall durch die Gallmücke Placochela nigripes zurück. Meist sind im Blütenstand mehrere Knospen betroffen. Im Inneren der Blütengalle befindet sich dann die gelb-orange gefärbte Made der Gallmücke. Eine weitere Gallmückenart Contarinia lonicerarum verursacht Blütengallen, in denen mehrere gelbe, springende Larven zu finden sind. Sie tritt auch auf Blüten von Heckenkirschen (Lonicera sp.) und Schneeball (Viburnum sp.) auf. Die weißen Larven der Gallmückenart Arnoldiola sambuci führen zu Missbildungen an den Blüten.
Holunderfrüchte und Vogelwelt
Die purpur-schwarzen, kugeligen Holunder-“beeren“ sind botanisch gesehen Steinfrüchte (Abbildung 4). Ihr Durchmesser beträgt 5–6 mm und sie enthalten meist drei Steinkerne. Sie reifen je nach Standort manchmal schon ab September, meist aber erst im Oktober. Die Fruchtreife des Schwarzen Holunders zeigt den Beginn des Frühherbstes an. Die Früchte sind in dieser Zeit eine wichtige Nahrungsquelle für eine große Anzahl von Vogelarten. TURCEK führt 62 Vogelarten auf, die die Früchte des Schwarzen Holunders fressen.
Während der Hauptreifezeit der Holunderbeeren werden auch die meisten Vogelarten – darunter Star, Amsel und Singdrossel – beim Verzehr von Holunderbeeren beobachtet. Aufgrund ihrer geringen Größe können Holunderbeeren auch von kleineren Singvögeln wie Rotkehlchen, Mönchsgrasmücke und Zilpzalp im Ganzen verschluckt werden (Abbildung 5). Die Samenkerne werden beim Fressen nicht zerstört und verlassen nach der Verdauung mit dem Kot den Körper. So tragen diese Vogelarten zur Ausbreitung des Schwarzen Holunders wie auch anderer Sträucher bei. Es besteht hier eine ökologische Beziehung zum gegenseitigen Nutzen der Partner. Die Vögel bekommen Nahrung (Fruchtfleisch) und verbreiten im Gegenzug mit ihren Ausscheidungen die genutzte Gehölzart (Endozoochorie). Die Vogelarten, die nur an den Samen interessiert sind, wie z. B. viele Finkenarten, verbreiten dagegen Gehölze nicht.
Phytophage Insekten- und Milbenarten am Holunder
Bei den phytophagen Insektenarten ist der Holunder – wahrscheinlich aufgrund seiner Inhaltsstoffe – nicht so beliebt. Ob das in Blättern, unreifen Früchten und frischer Rinde enthaltene Sambunigrin, ein cyanogenes Glykosid, dafür verantwortlich ist, muss noch geklärt werden. Aufgrund dieses Glykosids sind aber alle Teile der Art als schwach giftig einzustufen. Es finden sich daher in unserer Fauna nur 13 phytophage Insekten- und Milbenarten am Schwarzen Holunder. Phytophage Käfer fehlen völlig.
Löffelartig aufgebogene Ränder der Fiederblätter – oft bleich entfärbt – gehen auf die Tätigkeit der Gallmilbe Epitrimerus trilobus zurück. Oft wird dabei die gesamte Triebspitze völlig deformiert. Die Gallmilbe tritt an verschiedenen Holunderarten auf und ist recht häufig. An jungen Holundertrieben treten im Frühjahr und Frühsommer dichte Kolonien von graugrünen Läusen auf, die häufig von Ameisen besucht werden. Es handelt sich dabei um die wirtswechselnde Schwarze Holunderblattlaus Aphis sambuci. Ihr Haupt- und Winter-wirt ist der Schwarze Holunder, aber im Sommer wechselt sie auf die Wurzeln bestimmter Kräuter wie z. B. die der Ampferarten Rumex spp. und Gräser. Von den am Schwarzen Holunder vorkommenden Insekten ist die Holunderblattlaus (Aphissambuci) am häufigsten und auffälligsten. Sie überwintert als Ei.
Es gibt auch nur wenige Falterarten, deren Raupen am Schwarzen Holunder fressen. Die bekanntesten sind der Holunderspanner oder Nachtschwalbenschwanz (Ourapteryx sambucaria) und der Holunderzünsler (Anania coronata). Beide Arten kommen bevorzugt am Holunder vor, sind aber nicht streng monophag, sondern können auch andere Gehölze nutzen. Die Raupe des in Europa weit verbreiteten und nicht seltenen Holunderspanners frisst hauptsächlich an Holunder, kann aber auch an Flieder oder Waldrebe auftreten. Die Falter, die ca. 40–50 mm Flügelspannweite aufweisen, fliegen in der Zeit von Mai bis August. Die Raupen treten ab August auf. Die Art überwintert im Raupenstadium. Die verlängerten Spitzen der Hinterflügel führten bei der Art zum deutschen Namen Nachtschwalbenschwanz (Abbildung 6).
Der Holunderzünsler erreicht nur ca. 26 mm Flügelspannweite und bleibt damit deutlich kleiner als der Holunderspanner. Auch diese Art ist in Europa von Skandinavien bis Sizilien weit verbreitet. In Mitteleuropa bildet sie zwei sich überlappende Generationen aus. Die Raupen der ersten Generation erscheinen im Juni, die der zweiten Generation im Herbst. Sie fressen auch am Roten Holunder, an Flieder, Liguster oder Schneeball. Manchmal kommen auch die Raupen des eher polyphagen Ebereschen-Blattwicklers (Choristoneura hebenstreitella), die in einem selbst gefertigten Blattwickel leben, am Holunder vor. Meist leben die Raupen an Sorbus-Arten und Eichen, aber auch an Haselnuss, Salweide und eben Holunder. Ab und zu wird die Raupe der polyphagen Flohkraut-Eule (Melanchra per-sicariae), die an 38 Pflanzenarten vorkommen kann, auch am Schwarzen Holunder aufgefunden. Die hell-graue bis hellbraune Raupe erreicht bis 45 mm Größe.
Die durch die Minierfliege Liriomyza amoena hervorgerufenen oberseitigen Gangminen in den Blättern des Holunders sind sehr augenfällig. Die Art bildet zwei Generationen im Jahr aus, die im Juni/Juli und August/September erscheinen. Gelegentlich tritt auch die Grüne Stinkwanze (Palomena prasina) am Schwarzen Holunder auf. In Holunderplantagen ist sie nicht gerne gesehen, da sie den Fruchtwert, besonders durch ihren unangenehmen Geruch, schmälert.
Judasohr und Schwarzkäfer
Das Judasohr (Auricularia auricula-judae), eine Pilzart mit gallertartigen bis knorpeligen Fruchtkörpern, die an eine menschliche Ohrmuschel erinnern, wächst in Mitteleuropa sehr häufig auf alten Holunderstämmen (Abbildung 7).
Der Pilz wird daher auch "Holunderpilz" genannt. Seine Fruchtkörper sind das ganze Jahr hindurch zu entdecken. Besonders in frostfreien, feuchten Wintermonaten fallen sie ins Auge. Die Außenseite des gallertartigen und knorpeligen Pilzes ist rötlichbraun, violettgrau bis olivbraun. Selten treten auch reinweiße Fruchtkörper auf. Der Pilz ist auch roh essbar. Tatsächlich erscheint das Judasohr häufig an älteren und geschwächten Stämmen und Ästen des Schwarzen Holunders. Als Saprobiont ernährt sich der Pilz vom Holz, das er allmählich abbaut. Das Judasohr kommt aber auch auf anderen Laubhölzern vor. Die Frage, warum das Judasohr aber den Holunder eindeutig bevorzugt, ist noch nicht geklärt.
Eine Gallmückenart (Campto-diplosis auriculariae) hat sich sogar auf die Fruchtkörper spezialisiert. Wo das Judasohr am Holunder wächst, kommt auch der Schwarzkäfer Platydema violacea vor. Diese Käferart lebt unter der Rinde von pilzinfizierten Bäumen mit einer Vorliebe für vom Judasohr befallenen Holunderstämmen. Die nah verwandte und seltene Art Platydema dejeani gilt als Urwaldreliktart. Über die Biologie dieser Art ist wenig bekannt. Man nimmt aber an, dass sie eine ähnliche Lebensweise mit einer Vorliebe für pilzinfizierte Bäume hat wie Platydema violacea. Ebenfalls sehr häufig zeigt sich am Schwarzen Holunder der Holunder-Rindenpilz (Hyphodontia sambuci), dessen Fruchtkörper an einen weißen Kalkanstrich des freiliegenden Holzkörpers erinnern.
Fazit
Der Schwarze Holunder bietet aufgrund seiner Häufigkeit für den interessierten Naturfreund und Biologen auch im heimischen Garten, in städtischen Parks, in Feldhecken oder an Waldrändern spannende Beobachtungen von ökologischen Beziehungen zwischen dem Gehölz und verschiedenen Tierarten. Besonders eindrucksvoll ist die Bedeutung des Schwarzen Holunders als Nahrungsgrundlage für eine Vielzahl von Vogelarten.
Der Schwarze Holunder wurde vom Naturheilverein Theophrastus zur Heilpfanze des Jahres 2024 ausgerufen. Wirkstoffe wie Flavonoide und ätherische Öle, ein hoher Vitamin-C-Gehalt der Früchte sowie Gerb- und Mineralstoffe sind ursächlich für die Verwendung als Heilpfanze.