Der Graue Lärchenwickler (Zeiraphera griseana) kommt in ganz Mittel- und Nordeuropa und im Osten bis nach Sibirien vor. Er ist ein kleiner, graubraun gefleckter Falter von zwei Zentimeter Flügelspannweite (Abb. 1).
Seine Raupen erreichen eine Länge von anderthalb Zentimetern und sind unterschiedlich gefärbt. Die sogenannten Lärchenform (mehr dazu siehe weiter unten) hat eine schwarze Kopfkapsel und ist anfänglich hell, später grauschwarz gefärbt, während die gelblichgraue Arvenform eine orangegelbe Kopfkapsel aufweist (Abb. 2).
Abb. 2. Die grauschwarzen Raupen der Lärchenform (links) ernähren sich fast ausschliesslich von Lärchennadeln. Die gelblichgrauen Raupen der Arvenform (rechts) fressen vor allem an den neuen Trieben der Arve, kommen aber auch auf Lärchen, Föhren oder Fichten vor. Fotos: Beat Wermelinger und Beat Forster (WSL)
Der Lärchenwickler hat einen einjährigen Lebenszyklus. Mitte Mai schlüpfen die jungen Raupen und durchlaufen mehrere Larvenstadien. Für ihre Entwicklung benötigt eine Raupe zwischen 10 und 20 Nadelbüschel, wovon jeweils nur die Hälfte der Nadelmasse verzehrt wird (sogenannter Luxusfrass). Am Schluss der rund vierwöchigen Entwicklung begibt sich die Raupe an den Boden und verpuppt sich in der Streu. Ab Ende Juli bis in den September hinein schlüpfen die Falter und schwärmen in der Abenddämmerung bis Mitternacht. Auf diesen Flügen findet die Paarung statt, und die Weibchen legen anschliessend bis 300 Eier ab.
Die Populationszyklen
In den tieferen Lagen der Alpen und auch im Schweizer Mittelland bleiben die Populationen des Lärchenwicklers stets unauffällig niedrig, nur in höher gelegenen Tälern mit eher kontinental geprägtem Klima tritt eine mehr oder weniger regelmässige Massenvermehrung (Gradation) auf. Ab 1949 wurde die Populationsdynamik des Lärchenwicklers speziell im Oberengadin intensiv untersucht (Abb. 3).
Abb. 3. Zyklische Populationsschwankungen des Lärchenwicklers im Oberengadin. Die Periodizität liegt bei durchschnittlich 8,5 Jahren, die Schwelle für eine sichtbare Verfärbung eines Lärchenbestandes bei 100 Raupen pro Kilogramm Zweige (blaue Linie). Die ausgezogene rote Kurve basiert auf Daten von Baltensweiler (1993a) und Baltensweiler und Rubli (1999), die gestrichelte Linie auf visuellen Schätzungen im Feld.
Es zeigte sich, dass die Gradationen sich durchschnittlich alle 8,5 Jahre wiederholen. Die Populationsdichten verändern sich dabei innerhalb von vier bis fünf Generationen um einen Faktor von bis zu 30‘000! Auf dem Höhepunkt (Abb. 4) befinden sich auf einer Lärche über 20‘000 Raupen, und man kann deren Kot zu Boden rieseln hören.
Abb. 4. Auf dem Höhepunkt des rund neunjährigen Zyklus verfärben sich die von den Lärchenwicklerraupen befallenen Lärchen rotbraun. Die Arven im Vordergrund sind nicht betroffen. Foto: Beat Wermelinger (WSL)
Die Verfärbung der Lärchenbestände wird erst ab einer Schwelle von rund 100 Raupen pro Kilogramm Zweige sichtbar, wenn etwa 10 Prozent der Nadeln geschädigt sind. Dieser Schwellenwert wurde bis Mitte der 1980er-Jahre meist weit übertroffen. Die regelmässigen Zyklen beschränken sich im Engadin auf die Optimumsgebiete des Lärchenwicklers zwischen 1700 und 2000 Metern über Meer und auf Bestände mit einem genügend hohen Lärchenanteil. Ähnliche Zyklen des Lärchenwicklers gibt es im ganzen Alpenbogen von den französischen Seealpen bis nach Kärnten in Österreich.
Weil das Wachstum der Lärchen in den Jahren einer Massenvermehrung stark eingeschränkt ist und sich das in geringeren Jahrringbreiten im Stamm niederschlägt (Abb. 5), konnten Wissenschaftler in dendroökologischen Studien nachweisen, dass die Lärchenwicklerzyklen schon sehr lange existieren. Anhand von Holzproben lebender Lärchen und von Balken historischer Gebäude rekonstruierten die Forscher 1200 Jahre Lärchenwicklerbefall im Wallis.
Wie der Aufbau erfolgt auch der Zusammenbruch einer Population innerhalb weniger Generationen. Bei diesem Zusammenbruch erreicht die Mortalität der Raupen infolge von Antagonisten, Konkurrenz und Hunger 99,98 Prozent.
Abb. 5. An den Stirnseiten älterer Lärchenstämme werden oft die regelmässig wiederkehrenden, schmalen Jahrringe der Lärchenwicklergradationen sichtbar. Foto: Beat Wermelinger (WSL)
Was steuert die Zyklen?
Die verblüffende Regelmässigkeit der Zyklen wirft die Frage nach den Regulationsmechanismen auf. Es sind verschiedene Prozesse, die während einer Massenvermehrung ablaufen und die Zyklen prägen:
Negative Rückkopplung der Nadelqualität
Die Entwicklung der Raupen steht in einer engen Beziehung mit der Nadelqualität der Lärchen. Durch den Wegfall von grüner Nadelmasse kann die Lärche weniger Assimilate für das Wachstum und für die Reserven bilden. Fällt mehr als die Hälfte der Nadelmasse aus, treibt die Lärche ab Ende Juli nochmals aus und produziert ein zweites Nadelkleid. Dies geht allerdings auf Kosten der Reserven. Im folgenden Frühling treiben die Lärchen wegen der geringen Reserven später aus, ihre Nadeln wachsen langsamer und bleiben um 30 bis 70 Prozent kürzer. Der Gehalt an schwer verwertbaren Rohfasern ist höher und der Protein- und Stickstoffgehalt der Nadeln tendenziell tiefer als in normalen Jahren.
Wie für alle im Eistadium überwinternden, blattfressenden Raupen ist auch für den Lärchenwickler das zeitliche Zusammenfallen des Nadelaustriebs und des Schlüpfzeitpunkts der jungen Räupchen entscheidend. In den Jahren nach einem Massenauftreten treiben die Lärchen später aus und den zum normalen, temperaturgesteuerten Zeitpunkt schlüpfenden Räupchen fehlen die frisch ausgetriebenen, gut verdaulichen Lärchennadeln. So verhungert mindestens der früh schlüpfende Teil der neuen Lärchenwicklerpopulation. Die überlebenden Raupen finden Nadeln geringerer Qualität vor, die schwer verdaubar sind und einen tieferen Nährwert haben. Die Raupen wachsen deshalb langsamer, erreichen weniger Gewicht und erleiden eine höhere Mortalität. Die aus diesen Raupen entstehenden Falter legen bis zu 90 Prozent weniger Eier. Diese verzögerte Rückkopplung führt zu einem drastischen Rückgang der Populationsdichte.
Regulation durch natürliche Feinde
Der wichtigste Steuerfaktor sind natürliche Feinde, vor allem parasitische Wespen und Fliegen. Deren Zyklen hinken um etwa zwei Jahre hinter denjenigen des Lärchenwicklers nach. So verursachen zu Beginn einer Gradation die Parasitoiden eine Lärchenwickler-Mortalität von meist weniger als 10 Prozent, auf dem Kulminationspunkt 20 Prozent, und beim Zusammenbruch des Lärchenwicklers bis zu 80 Prozent.
Fitness verschiedener Ökotypen
Der Lärchenwickler kennt zwei genetisch verschiedene Ökotypen (Rassen): die Lärchenform und die Arvenform (Abb. 2). Die Raupen der Lärchenform ernähren sich fast ausschliesslich von Lärchennadeln und erleiden auf Arven eine sehr hohe Mortalität. Ihre Eientwicklung ist deutlich schneller und die Raupenmortalität auf Lärchennadeln guter Qualität geringer als diejenige der Arvenform. Die Raupen der Arvenform fressen vor allem an den neuen Trieben der Arve, kommen aber auch auf Lärchen, Föhren oder Fichten vor. Die Arvenform entwickelt sich deutlich langsamer und produziert weniger Eier als die Lärchenform, hat aber auf Lärchennadeln schlechter Qualität eine höhere Überlebensrate.
Zu Beginn einer Massenvermehrung herrscht zu 80 Prozent die dunkle Lärchenform vor. Nach einem Kahlfrass auf dem Kulminationspunkt der Gradation treiben die Lärchen ihre Nadeln später und in geringerer Qualität aus, was die später schlüpfenden und auf diesen Nadeln besser überlebenden Arvenform gegenüber der Lärchenform begünstigt. Erst nachdem sich die Nadelqualität wieder verbessert hat, kann sich die fittere Lärchenform wieder durchsetzen, und die Reproduktionsrate der Population nimmt wieder stark zu.
Migration und Dispersion der Falter
Tritt in den Optimumsgebieten ein Kahlfrass auf, weichen die Falter in den nächsten Generationen für die Eiablage in tiefere Gebiete aus, wo die Lärchen von übermässigem Raupenfrass verschont blieben. Wenn sich die Bäume erholt haben, verschieben sich in den nächsten Jahren die Falter zurück in die Optimumsgebiete der höheren Lagen, wo der Schlupfzeitpunkt der Raupen wieder besser mit dem Nadelaustrieb zusammenfällt.
Auf einer grösseren räumlichen Skala spielt sich die Windverfrachtung von Faltern zwischen den inneralpinen Tälern ab. Nach einer grossflächigen Entnadelung der Lärchen auf dem Höhepunkt einer Gradation verlassen Falter in Massen das Gebiet und werden vom häufig vorherrschenden Westwind in benachbarte Täler verweht.
Klimawandel
Die maximalen Populationsdichten der letzten drei Zyklen (1989, 1999, 2009) erreichten im Engadin nicht einmal mehr die Hälfte der früheren Werte (Abb. 3), weshalb die grossflächigen Verfärbungen der Lärchenwälder an den meisten Orten ausblieben. Auch in Frankreich blieben die Maxima dieser Perioden auf viel tieferem Niveau. Die Gründe für die tieferen Maxima sind unklar, sie dürften jedoch mit den ansteigenden Temperaturen der letzten Jahrzehnte zusammenhängen.
Die wärmeren Herbste und milderen Winter führen zu einer erhöhten Atmungsaktivität der überwinternden Eier, und deren Energiereserven könnten sich damit vorzeitig erschöpfen. Vor allem aber könnte sich die entscheidende Synchronisation von Nadelaustrieb und Schlüpfen der Räupchen im Frühling verschlechtert haben. Wenn ein Teil der Raupen vor dem Austrieb schlüpft und verhungert, wirkt sich dies stark auf die Populationsdichte aus.
Bedeutung des Lärchenwicklers
Während in der älteren Literatur vom Lärchenwickler als einem "Schädling im vollsten Masse" gesprochen wird, hat sich diese Einstufung durch die intensive Forschung deutlich relativiert. Untersuchungen im Oberengadin zeigten, dass die Absterberate der Lärchen normalerweise unter einem Prozent liegt und der Zuwachsverlust vernachlässigbar ist.
Die langen Zeitreihen der Jahrringanalysen belegen, dass die Lärche und der Lärchenwickler schon seit Jahrtausenden zusammen existieren. Vielerorts sind die Lärchen heute deshalb so dominant, weil sie als Pionierbaumart in früheren Zeiten von Störungen profitiert haben. Im Mittelalter wurden viele Fichten-/Arvenwälder abgeholzt, es gab Feuersbrünste in den Kriegsjahren und die Arven wurden seit jeher gezielt für Täferholz genutzt. Zudem litt die Verjüngung dieser Baumarten bis Ende des 19. Jahrhunderts durch Weidewirtschaft und Streunutzung. So konnte sich die Lärche als schnellwachsende, lichtbedürftige Pionierbaumart gut etablieren. Ein alter, dichter Lärchenwald kann sich selber aber kaum mehr verjüngen, und es entsteht üblicherweise ein Wald mit schattentoleranten Baumarten wie Arve und Fichte, der bei ausbleibenden neuen Störungen als Schlusswald bestehen bleibt.
Abb. 6. Val Guisane in den französischen Alpen. Obwohl die befallenen Wälder für den Laien "krank" aussehen, ist dieses Jahrtausende alte Phänomen ein natürlicher Ablauf in der Walddynamik von Lärchen-/Arvenwäldern. Meistens sterben in der Folge nur wenige Bäume ab. Foto: Waldentomologie WSL
Während die Lärche die Entnadelung durch den Lärchenwickler mit einem Neuaustrieb zu kompensieren vermag, kann die Arve dies nur sehr beschränkt, und die betroffenen Kronenteile oder Arven im Jungwuchsstadium sterben ab. Dies begünstigt wiederum die Lärchen, die vom entstehenden Raumangebot und vermehrten Lichteinfall profitieren. Das schränkt die Entwicklung der Arven in den Optimumsgebieten des Lärchenwicklers ein und verzögert damit den Übergang der Lärchenwälder in Lärchen-Arven-Schlusswälder. Der Lärchenwickler hat somit für die inneralpinen Lärchenwälder eine grosse ökologische Bedeutung.
Massnahmen
Die negativen Auswirkungen des Lärchenwicklerfrasses auf die Lärchenwälder bleiben gering und rechtfertigen keinerlei Massnahmen. Wichtig in Zeiten starken Befalls ist jeweils, die einheimische Bevölkerung und die Feriengäste rechtzeitig zu informieren, die Ursache für die braunen Wälder zu erklären und das Verständnis für dieses spektakuläre Phänomen zu fördern.
Literatur
Verweise zur im Text verwendeten Literatur befinden sich in der Originalpublikation (PDF).
Sie können das gedruckte Merkblatt Zyklen und Bedeutung des Lärchenwicklers kostenlos bei der WSL bestellen:
Bestelladresse
WSL e-shop
Zürcherstrasse 111
CH-8903 Birmensdorf
e-shop@wsl.ch