Baumarteneignung 2.0 und Vulnerabilitätskarten
Zur Unterstützung der Waldbewirtschaftung im fortschreitenden Klimawandel wurden an der FVA neue Karten zur Baumarteneignung und zur Vulnerabilität der Wälder erstellt. Neue Karten wurden notwendig, da die bisherigen Karten auf veralteten Klimadaten beruhten und Abschätzungen nur bis zum Jahr 2050 ermöglichten. Die dargestellten Inhalte betreffen vorwiegend Wirtschaftswälder und liegen für die Hauptbaumarten Fichte, Buche, Traubeneiche und Weißtanne vor. Die Baumarteneignungskarten sind nur für standortskartierte öffentliche Waldflächen verfügbar, Vulnerabilitätskarten für alle Waldflächen, auf denen diese vier Hauptbaumarten aktuell vorkommen.
Die neuen Baumarteneignungs- und Vulnerabilitätskarten finden Sie auf der Homepage der FVA.
Abb. 2: Auch das Borkenkäferrisiko verändert sich im Klimawandel: In die neuen Karten ist deshalb – neben anderen – auch dieses Kriterium mit eingeflossen. Im Artikel Baumarteneignung der Fichte: Welche Rolle spielt das Buchdruckerrisiko? lesen Sie mehr dazu. (Foto: K I Photography – stock.adobe.com)
Die Beurteilung der Baumarteneignung beziehungsweise Vulnerabilität erfolgte anhand der Kriterien Konkurrenz, Pfleglichkeit, Stabilität und Leistung. Innerhalb der Kriterien wurden wiederum einzelnen Faktoren wie beispielsweise Anfälligkeit gegenüber Sturm, Trockenstress, Insekten etc. unterschieden. Nicht bei allen Kriterien konnten die einzelnen Faktoren mit Hilfe von Modellberechnungen beurteilt werden. Für einige Faktoren zur Beurteilung der künftigen Baumarteneignung wurde eine statische Einschätzung vorgenommen, beispielsweise bei den Konkurrenzverhältnissen. Insbesondere im Bereich des Kriteriums Stabilität konnten mit Modellberechnungen Prognosen über die künftige Eignung erstellt werden. Abb. 1 zeigt für die verschiedenen Kriterien die einzelnen Faktoren, für die eine Modellierung vorgenommen wurde. Diese sind farblich (violett) hervorgehoben. So zum Beispiel das Wasserhaushaltsmodell LWF-Brook 90 (Trockenstress), die Sturmgefährdung (Sturmrisikomodell), die Änderung der Bonitäten (Bonitäten), das Befallsrisiko durch Insekten (PHENIPS zur Buchdruckerrisikoabschätzung) und die Änderung der Artverbreitung (Artverbreitungsmodelle). Die Ergebnisse dieser Teilmodelle werden in den Folgebeiträgen einzeln detailliert dargestellt. Hier erfolgt die Präsentation der aggregierten Gesamtergebnisse.
Grundlagen und Konzept
Die Baumarteneignungskarten wurden in einer Horizontalauflösung von 62,5 m für die mittlere (2021-2050) und ferne Zukunft (2071-2100) und für die Klimaszenarien RCP 4.5 und RCP 8.5 erstellt. Diese aktuellen Szenarien des Weltklimarats (IPCC, 2013) stellen die mögliche Klimaentwicklung unter verschiedenen Annahmen zur globalen Entwicklung dar. Das Szenario 8.5 ist das extremste, pessimistische und derzeit realistische Szenario. Dagegen wird in Szenario 4.5 angenommen, dass spätestens Mitte des 21. Jahrhunderts wirksam durch Klimaschutzmaßnahmen gegengesteuert wird.
Vulnerabilitäts- und Baumarteneignungskarten ergänzen sich. Die Vulnerabilitätskarte identifiziert im ersten Schritt die gegenwärtig am stärksten gefährdeten Wälder als prioritäre Ansatzpunkte, an denen dann im zweiten Schritt Anpassungsmaßnahmen beziehungsweise Waldumbau durchgeführt werden können. Die Beurteilung der Baumarteneignung ist dabei eine wichtige Entscheidungsgrundlage für die Baumartenwahl.
Baumarteneignung 2.0
Abb 2: Schema der dynamisierten Einschätzung der Baumarteneignung im Klimawandel. Farblich violett hervorgehobene Teilkriterien werden im weiterentwickleten Verfahren (2.0) nun klimadynamisch abgebildet. Alle anderen Teilkriterien entstammen dem bisher etablierten Verfahren zur Beurteilung der Baumarteneignung.
Die Baumarteneignungskarten 2.0 sind klimadynamisch konzipiert, das heißt, sie stufen die vier genannten Hauptbaumarten hinsichtlich ihrer forstlichen Anbaueignung unter sich ändernden Klima- und Umweltbedingungen ein. Sie wurden als waldbauliche Entscheidungshilfe für die Baumartenwahl erstellt und dienen damit der langfristigen Waldentwicklungsplanung (> 10 Jahre). Die Logik ist eine Potentialbetrachtung. Die Karten eignen sich daher für Baumartenvergleiche quasi "auf der grünen Wiese" – die aktuelle Bestockungssituation bleibt dabei unberücksichtigt. Die Darstellung der klimadynamischen Baumarteneignung erfolgt in Ampelfarben abgestuft in sieben Klassen von geeignet bis ungeeignet. Die Klassenbildung fügt sich damit nahtlos in das in der Forstlichen Standortskartierung in Baden-Württemberg praktizierten Verfahren zur Beurteilung der Baumarteneignung ein.
Die Modellgeneration 2.0 ist eine methodische Weiterentwicklung der 2010 veröffentlichten ersten Klima-/Baumarteneignungskarten der FVA. Die Bewertung der aktuellen Ausgangssituation beruht dabei auch weiterhin auf den statischen Einstufungen der forstlichen Standortskartierung. Grundsätzlich neu ist, dass die bezüglich Klimawandel dynamisierten Beurteilungen zu einem multikriteriellen Verfahren weiterentwickelt wurden. Berücksichtigt wird nicht mehr nur die Veränderung eines isolierten Faktors ("monokriteriell") sondern simultane Veränderungen verschiedener Faktoren. Das bedeutet, dass nun zusätzlich zu den bereits 2010 einbezogenen Verbreitungsmodellen der Baumarten in Abhängigkeit von Temperatur und Niederschlag folgende modellierte Eignungskriterien hinzutreten: Veränderungen von Bodenwasserhaushalt, Borkenkäferrisiko sowie Sturmrisiko und Wuchsleistung. Abb. 2 zeigt, wie diese Eignungskriterien in die dynamisierte Gesamtbeurteilung einfließen.
Vulnerabilitätskarten
Die Vulnerabilitätskarten sind ein neues Produkt der Klimafolgenforschung an der FVA. Sie stellen dar, wie stark heutige Waldbestände durch vor allem klimawandeltypische Mortalitätsrisiken gefährdet sind. Die Karten sind zur Unterstützung der kurz- und mittelfristigen Waldbauplanung (1-10 Jahre) gedacht. Sie identifizieren die aktuell besonders gefährdeten Bereiche, in denen zielgerichtete Anpassungsmaßnahmen wie beispielsweise Verjüngungsplanung prioritär ansetzen sollten. Die in Gelb-Brauntönen gehaltenen Karten stellen dazu die Vulnerabilitäten in vier Klassen von sehr gering bis sehr hoch dar. In Ergänzung zur Potentialbetrachtung der Baumarteneignungskarten liefern die Vulnerabilitätskarten eine konkrete (in-situ) Gefährdungsbeurteilung der real existierenden Bestände. Auch den Vulnerabilitätskarten liegt ein multikriterielles Verfahren zugrunde, das die klimawandelbedingte Gefährdung durch simultane Bewertung mehrerer Risiken errechnet.
Die Vulnerabilitätskarten wurden in einer Horizontalauflösung von 250 m erstellt und liegen für die heute aktuellen klimatischen Verhältnisse vor.
Ergebnisse der Baumarteneignung 2.0
Abb. 3: Baumarteneignungskarten für die vier beurteilten Baumarten und das RCP-Szenario 8.5 für die ferne Zukunft (Bezugszeitraum "Ende des 21. Jahrhunderts"). Die Eignungsstufen sind: u:ungeeignet; w/u:wenig bis ungeeignet; w:wenig geeignet; m/w:möglich bis wenig geeignet; m:möglich; g/m:geeignet bis möglich; g:geeignet, Die Ziffern bezeichnen die Wuchsgebiete: 1: Oberrheinisches Tiefland, 2: Odenwald, 3: Schwarzwald, 4: Neckarland, 5: Baar-Wutach, 6: Schwäbische Alb, 7: Südwestdeutsches Alpenvorland. (Zum Vergrößern anklicken.)
Die Kombination aus herkömmlicher Standortskartierung und modellbasierter Einschätzung der klimadynamischen Eignungskriterien liefert im Endergebnis die Einschätzung der Baumarteneignung im Klimawandel unter Berücksichtigung waldbaulicher und standortskundlicher Erfahrungen. Dabei werden die Klassenausprägungen der vier Hauptstufen der Eignung für praktische Zwecke in der Forsteinrichtung und Waldbauplanung folgendermaßen interpretiert (Tab. 1):
Ab der Eignungsstufe "möglich bis wenig geeignet" und schlechter wird die Verwendung einer Baumart als führende Baumart nicht mehr empfohlen. Die Bedeutungen der Hauptstufen sind mit der Modellversion 1.0 der Baumarteneignung aus dem Jahr 2010 identisch.
Betrachtet man die landesweiten Baumarteneignungskarten unter dem RCP-Szenario 8.5 für die ferne Zukunft (2071-2100), sind bei Buche zwar die mittleren Eignungsstufen (gelbliche und fahlgrüne Farbtöne) prägend (Abb. 3). Allerdings fallen bei näherer Betrachtung im Bereich Oberrheintal, Baar-Wutach, Schwäbisch-Fränkischer Wald und Teilen des Südwestdeutschen Alpenvorlands für die Buche ungeeignete (rote) Flächen auf. Für Eiche ungeeignete Flächen sind vor allem im Schwarzwald, dem Schwäbisch-Fränkischen Wald und an der Südostgrenze der Schwäbischen Alb lokalisiert.
Im Vergleich zu den Laubbaumarten fällt die Eignungsbeurteilung der Nadelbaumarten insgesamt noch deutlich schlechter aus: In der fernen Zukunft (RCP 8.5) erscheint nach dieser Betrachtung Tanne selbst im Schwarzwald, im Schwäbisch-Fränkischen Wald und in Teilen des südwestdeutschen Alpenvorlands nur noch in geringem Umfang als führende Baumart geeignet. Und bei Fichte werden selbst die mittleren Eignungsstufen so rar, dass die Baumart bei diesem Szenario landesweit als führende Baumart ausfällt und nur noch als Einzel- oder Zeitmischung sinnvoll planbar wäre.
In der Gesamtbilanzierung für die standortskartierte Waldfläche in Baden-Württemberg (Abb. 4) zeigen sich für alle Baumarten deutlich abnehmende Flächenanteile der günstigen Eignungsstufen "geeignet" bis "möglich". Betrachtet man die Eignung in Szenario 8.5 zum Ende des 20. Jahrhunderts, so ist die Planung von Buche als führende Baumart noch auf ca. 35 % der Fläche möglich. Bei Eiche und Tanne liegt dieser Wert unter 10 %.
Die im Vergleich zu Buche ungünstigere Eignungsbeurteilung von Eiche hat eine wesentliche Ursache in der Beurteilung der Konkurrenzkraft. Tatsächlich wird Eiche – im Einklang mit den gegenwärtigen Verhältnissen – im heutigen Ausgangszustand von der standortskundlichen Bewertung her als deutlich konkurrenzschwächer eingestuft. Momentan ist es jedoch aus methodischen Gründen leider nicht möglich, klimabedingte Verschiebungen in der Konkurrenzkraft zwischen Baumarten modellbasiert abzubilden. Die Einschätzung des aktuellen für Eiche vergleichsweise ungünstigen Ausgangszustandes hinsichtlich der Konkurrenzkraft der Baumart bleibt daher auch für die Zukunftsszenarien unverändert in der Beurteilung erhalten.
Ergebnisse der Vulnerabilität
Abb. 5: Vulnerabilität für die Wuchsgebiete: 1 = Oberrheinisches Tiefland, 2 = Odenwald, 3 = Schwarzwald, 4 = Neckarland, 5 = Baar-Wutach, 6 = Schwäbische Alb, 7 = Südwestdeutsches Alpenvorland. Dargestellt sind nur Flächen der Hauptbaumarten Fichte, Buche, Tanne und Traubeneiche. (Zum Vergrößern anklicken.)
Die Vulnerabilitätskarte weist für die heutigen Bestände regionale Schwerpunkte mit besonders hoher Vulnerabilität im mittleren Schwarzwald, im nördlichen Oberrheingraben, im Odenwald sowie im Schwäbisch-Fränkischen Wald (in Wuchsgebiet 4) auf (Abb. 5). Zerstreut sind hohe Vulnerabilitäten auch auf der Schwäbischen Alb und im Südwestdeutschen Alpenvorland zu finden.
Wälder, die in die höchste Vulnerabilitätsklasse 4 eingestuft wurden, bilden prioritäre Ansatzpunkte für Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel. Hier kommen einer oder gleichzeitig mehrere Risikofaktoren so stark zum Tragen, dass die dort aktuell prägende Hauptbaumart als instabil bis hochgradig störungsanfällig einzustufen ist (Tab. 2). Dies trifft auf ca. 5% (rd. 42.000 ha) der beurteilten Waldfläche zu.
Wälder, die in die zweithöchste Vulnerabilitätsklasse 3 eingestuft wurden (9% der beurteilten Waldfläche bzw. 77.700 ha), sollten zwar ebenso angepasst beziehungsweise umgebaut werden. Aufgrund der etwas geringeren Vulnerabilität ist hier der Anpassungsbedarf jedoch noch nicht ganz so akut.
Verfügbarkeit der Baumarteneignungs- und der Vulnerabilitätskarten der FVA
Abb. 6: Andere Baumarten? Nicht nur das Klima, auch der Wald ist im Wandel.
Die Karten der Baumarteneignung und der Vulnerabilität sind in digitaler Form als PDF-Dateien je Land- bzw. Stadtkreis allgemein zugänglich: www.fva-bw.de/daten-und-tools/geodaten/klimakarten.
Die Eignungsbeurteilung anderer als der vier hier dargestellten Baumarten ist bisher noch nicht standortsspezifisch abgeschlossen. Bislang liegt lediglich ein systematischer literaturbasierter Vergleich in Form der Artensteckbriefe der FVA vor. Die hier geprüften Arten wurden mithilfe einer multikriteriellen Analyse in eine Rangfolge möglicher Eignung unter Klimawandel gebracht, die jedoch erst eine nicht-standortsdifferenzierte Grobeinschätzung allgemeiner Eignung darstellt.
Ausblick
Sowohl die Einstufung der realen Vulnerabilität, als auch der potentiellen Baumarteneignung unter sich ändernden Klimabedingungen liefern klare Ergebnisse:
- Die Wälder sind bereits heute so stark vom Klimawandel betroffen, dass in den besonders vulnerablen Bereichen Anpassungsmaßnahmen vorgenommen werden müssen. Die Vulnerabilitätskarten sind hierfür ein erster Wegweiser, verorten die betroffenen Waldflächen und legen mittelfristig prioritären Anpassungsbedarf auf über 100.000 ha Fläche nahe.
- Bei allen vier beurteilten Hauptbaumarten ist mittel- bis langfristig grundsätzlich eine deutliche Verschlechterung der Eignungsbeurteilung zu konstatieren. Ein klarer Hinweis darauf, dass hinsichtlich der Baumartenzusammensetzung der Wälder im Südwesten erhebliche Veränderungen unausweichlich sein dürften.
Diese Folgerungen ergeben sich für das RCP-Szenario 8.5 mehr als deutlich – dessen Eintreten bei Beibehaltung der aktuellen Entwicklungen leider eher wahrscheinlich ist. Realistischer Weise sind auch unter Szenario 4.5 entsprechende Folgen zu erwarten, wenn auch in leicht abgeschwächter Form. Insbesondere die Buche fände dann noch etwas günstigere Bedingungen vor. Ergebnis aller Szenarien ist allerdings, dass die baden-württembergischen Charakterbaumarten Buche und Tanne in bewirtschafteten Wäldern gegen Ende des 21. Jahrhunderts keine so dominierende Rolle wie bislang mehr einnehmen können.
Die neu vorgelegten Ergebnisse zeigen in aller Deutlichkeit: da kommt etwas auf uns zu. Deshalb heißt es, die erforderlichen Anpassungsmaßnahmen einzuleiten. Der beste Zeitpunkt, um damit zu beginnen ist: jetzt! Klar ist dabei, dass die Veränderungen so gravierend sind, dass eine unrevidierte Fortsetzung der waldbaulichen Konzepte der Vergangenheit nicht zielführend sein wird. Zwar muss das waldbauliche Rad bestimmt nicht grundsätzlich neu erfunden werden. Aber wenn sich die Umwelt markant ändert, werden sich auch einige Elemente des naturnahen Waldbaus heutiger Ausprägung weiterentwickeln müssen.
Ein Blick über den forstlichen Tellerrand zeigt allerdings, dass die sich unter dem RCP-Szenario 8.5 für die Wälder im Südwesten ergebenden gravierenden Herausforderungen in gesamtgesellschaftlicher Hinsicht wohl zu den eher nachrangingen und zumindest teilweise lösbaren Problemen zählen werden. Tatsächlich fallen die sich aus dem Szenario 8.5 ergebenden globalen Konsequenzen für die Weltbevölkerung so drastisch aus (Trinkwasser, Ernährung, Gesundheit; IPCC, 2014), dass man sich deren Auswirkungen auch auf Baden-Württemberg nicht vorstellen möchte. Als Gesellschaft sollten wir alles daran setzen, damit dieses Szenario nicht eintritt.