Die nachhaltige Bewirtschaftung von Waldbäumen hat das Ziel die forstgenetischen Ressourcen und die für die biologische Vielfalt des Waldökosystems notwendige Reproduktion zu erhalten. Deshalb muss der populationsbiologische Prozesse der jeweiligen Baumarten miteinbezogen werden und die Aufgabe künftiger Bewirtschaftung ein Waldbaumpopulationsmanagement sein.
Für windbestäubte, häufige Arten erfordert dieses eine stärkere Berücksichtigung der auf Landschaftsebene ablaufenden Prozesse, wogegen für zerstreut vorkommende Arten eher die Individuendichte, genetische Faktoren (Selbstinkompatibilitätsystem) und die ökologischen Bedingungen (Bestäuberarten, etc.) von Bedeutung sind.
Modellbaumarten Stieleiche und Vogelkirsche
Das sind die Ergebnisse von Untersuchungen zum Genfluss und zur genetischen Struktur von Waldbaumpopulationen an zwei Modellbaumarten (Zeitraum 2001 bis 2003), die im Rahmen eines BMVEL-Verbundprojekt an der Universität Hamburg (c/o Institut für Forstgenetik und Forstpflanzenzüchtung in Großhansdorf) durchgeführt wurden. Dazu wurde die Stieleiche (Quercus robur) als Vertreter einer windbestäubten, bestandesbildenden Baumart und die Vogelkirsche (Prunus avium) als Vertreter einer insektenbestäubten, zerstreut verkommenden Baumart ausgewählt. Beide Baumarten wurden mit genetischen Markern und Elternschaftsanalysen zur Bestimmung der Pollenausbreitung im Bestand untersucht.
Um seine Gene an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben, produzieren Waldbäume enorme Mengen an Pollen und Samen. Deren Erfolg hängt davon ab, wie gut die Ausbreitungsmechanismen funktionieren. Reproduktion und Genfluss sind eng mit ökologischen Funktionen verbunden.
Zum Beispiel wird Pollenlimitierung, hervorgerufen etwa durch Pollenmangel, als Ursache für geringe Samenproduktion und als Auslöser für das Auftreten von Mastjahren windbestäubter Baumarten angesehen (Knapp et al., 2001; Satake and Iwasa 2000, 2002). Baumsamen und –früchte sind außerdem Nahrungsressource für viele Vögel, Säugetiere und Insekten. Das Ausbleiben von Reproduktion hat somit negative Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem.
Genfluss der Stieleiche
Zur Simulation des Pollenfluges auf Landschaftsebene wurde das meteorologische Modell METRAS (Schlünzen, 1990) um Funktionen zur Pollenemission, Pollenviabilität und Pollendeposition erweitert (Schueler et al., 2004; Schueler, 2005). Die Basis der Simulation ist die reale Landschaftsstruktur unter Berücksichtigung von Topografie und Landnutzung sowie der Lage und Größe realer Eichenbestände.
Mit verblüffenden Resultaten: So wurde 2003 die Gesamtpollenproduktion eines Eichenbestandes mit 1 Milliarde Pollenkörner pro Quadratmeter Bestandesfläche bestimmt. Die Ausgangsviabiliät der Pollenkörner und die Beeinträchtigung ihrer Lebensfähigkeit während des Transports in der Atmosphäre wurde in experimentellen Untersuchungen zur Blütezeit der Eiche 2002 und 2003 erhoben (Schueler et al., 2005). Interessantes Detail: Nach 9,5 Stunden Sonneneinstrahlung war die Lebensfähigkeit der Pollenkörner um bis zu 100% reduziert.
Um das simulierte Pollenausbreitungsmuster interpretieren zu können, wurde das Verhältnis der deponierten Pollenkörner zur Anzahl an weiblichen Blüten als Indikator für erfolgreichen Genfluss und Reproduktion definiert. Bei geeigneten Witterungsbedingungen werden lebensfähige Pollen eines Bestandes bis zu 100 km vom Ausgangsbestand verdriftet. Noch in einer Entfernung von 30 km wurden Pollenkonzentrationen von ca. 10 Pollen/m³ Luft simuliert. Eines zeigte sich: Erfolgreicher Genfluss hängt von der Anzahl der deponierten Pollenkörner und der Dichte an weiblichen Blüten ab.
Zum Beispiel hat ein Pollenkorn, das in der Krone eines freistehenden Baumes mit vielen weiblichen Blüten landet, eine höhere Wahrscheinlichkeit erfolgreich zu sein als ein Pollenkorn, das in einem Waldbestand landet, der durch seine Struktur nur eine geringe Dichte weiblicher Blüten aufweist.
Die Schlussfolgerung: Nur in der näheren Umgebung des Quellbestandes werden ausreichend Pollen für Reproduktion und Genfluss deponiert und Genfluss über 100 km findet nur in sehr geringem Ausmaß statt (Schueler, 2005).
Genfluss in einer Population der Vogelkirsche
Die Vogelkirsche ist eine insektenbestäubte allogame Art. Das bedeutet, dass Reproduktion ausschließlich durch Fremdbefruchtung möglich ist, da ein genetischer Mechanismus Selbstbefruchtung verhindert. Zudem unterbindet dieser Mechanismus die gegenseitige Befruchtung von Bäumen mit demselben Kompatibilitätstyp, und ist damit ein bedeutenden Faktor im Reproduktionssystem der Kirsche.
Blüten der Vogelkirsche, eine insektenbestäubte, zerstreut verkommende Baumart
Zur Bestimmung von Genfluss bei der Vogelkirsche wurden Kern-Mikrosatelliten (Schueler et al. 2003) und Elternschaftsanalysen in einer Vogelkirschenpopulation mit 170 Individuen eingesetzt (Schueler et al., 2004; Schueler, 2005). Die Bäume dieser Population wurden am für die Kombatibilität zweier Bäume zuständigen Genort (S-Locus) genotypisiert.
Die durch Elternschaftsanalyse von 280 Kirschsamen bestimmte mittlere effektive Bestäubungsdistanz beträgt 84 m, allerdings unterscheiden sich die sechs beernteten Sameneltern signifikant voneinander (17 m – 189 m). Als wichtige Faktoren wurden die Dichte der Nachbarbäume und deren Kompatibilität mit dem jeweiligen Sameneltern identifiziert. Die maximale Bestäubungsdistanz beträgt 380 m. Eine Analyse der genetischen Zusammensetzung der effektiven Pollenbeiträge zeigte, dass diese stärker vom S-Genotyp des Samenelters als vom dessen Standort innerhalb der Population abhängt.
Für diese Vogelkirschenpopulation wurde indirekt der historische Genfluss durch Pollen und Samen ermittelt. Dabei wurde eine schwache, aber signifikante räumlich-genetische Struktur an den Kern-Mikrosatelliten und am S-Locus bestimmt. Aus dieser Struktur lässt sich auf eine effektive Nachbarschaftsumgebung von ca. 130 Individuen und einen mittleren bi-parentalen Genfluss von 106 m schließen.
Ein Vergleich dieser Werte mit den Ergebnissen der Elternschaftsanalyse zeigt, dass die effektive Bestäubungsnachbarschaft sehr viel kleiner ist. Deshalb muss die Samenausbreitung eine größere räumliche Ausdehnung haben als die Pollenausbreitung, was bei Betrachtung der typischen Bestäuberarten (z.B. Wildbienen, Bienen, Hummeln) und Samenverbreiter (z.B. Stare, Tauben, Füchse) auch folgerichtig scheint.
Schlussfolgerungen für nachhaltige Bewirtschaftung der Waldbaumpopulationen
Es zeigt sich, dass bei windbestäubten Arten in den gemäßigten Breiten weitaus mehr Individuen an der Reproduktion teilnehmen (effektive Populationsgröße) und Genfluss auf einer viel größeren räumlichen Skala stattfindet als bei tierbestäubten Arten. Zudem übertrifft die Pollenausbreitung bei windbestäubten Arten die Samenausbreitung um ein Vielfaches (z.B. Petit et al., 2005), wogegen bei tierbestäubten Arten eher die Samenausbreitung überwiegt oder beide Komponenten ausgewogen sind (Oddou-Muratorio et al., 2001; Schueler, 2005).
Das bedeutet für die Bewirtschaftung von Wäldern: Insbesondere, wenn die forstgenetischen Ressourcen nachhaltig genutzt und die biologische Vielfalt erhalten werden soll, müssen die Bedürfnisse der jeweiligen Baumarten zur Aufrechterhaltung der Reproduktionsmechanismen berücksichtigt werden, denn Naturverjüngung, aufeinander folgende Baumgenerationen, die Anpassungsfähigkeit an sich ändernde Umweltbedingungen und die Möglichkeit für evolutionäre Veränderungen sind nur gegeben, wenn natürliche Reproduktion und Genfluss stattfindet.
Mehr "Weitblick" bei Bewirtschaftungsmaßnahmen
Aus dem sehr weitreichenden Pollenflug der windbestäubten Arten lässt sich schließen, dass Entscheidungen über die Baumartenzusammensetzung und Bewirtschaftungmaßnahmen (z.B. bei Aufforstungen und Waldumbau) generell auf einer Skala von mehreren Kilometern getroffen werden sollten, und nicht auf einem kleinen Bestand von nur wenigen Hektar ausgerichtet. Die Bewirtschaftungskala tierbestäubter Arten kann dagegen kleiner sein, muss allerdings die Individuendichte der Bäume berücksichtigen.
Eine weitere Empfehlung betrifft die Begründung neuer Populationen, wenn diese als Ausgangsbasis für künftige Generationen bewirtschaftet werden sollen. Dabei ist die genetische Vielfalt der Samen bzw. Sämlinge entscheidend, vor allem wenn es sich um tierbestäubte Arten mit einem Selbstinkompatibilitätssystem handelt. In jedem Fall sollte bei der Auswahl des Begründungsmaterials nur Saat- bzw. Pflanzgut genutzt werden, dass in Übereinstimmung mit den Gesetzen für Forstvermehrungsgut (EU-Richtlinie 1999/105) geerntet und behandelt wurde.
Eigentlich mehr als 20 Vogelkirsch-Bäume für Zertifizierung notwendig
Für die Vogelkirsche verlangt das deutsche Forstvermehrungsgutgesetz 20 Bäume innerhalb eines Bestandes, um diesen als zertifizierten Bestand zu akkreditieren. Nach unseren Ergebnissen muss diese Anzahl jedoch als zu niedrig angesehen werden, da die Anzahl verfügbarer Paarungspartner in einer so kleinen Population durch das Selbstinkompatibilitätssystem noch stärker eingeschränkt sein kann, und da ein Teil der Population möglicherweise aus vegetativer Vermehrung hervorgegangen ist (Schueler et al., 2003).
Da bei der Zertifizierung weder das Selbstinkompatibilitätssystem noch der vegetative Ursprung der Bäume zweifelsfrei geklärt werden kann, wäre eine höhere Anzahl an Bäumen und ein Mindestabstand zwischen diesen Bäumen für die Zertifizierung wünschenswert. Zur Sicherstellung der Reproduktion in der neu zu begründenden Population sollte das Samenmaterial mindestens zehn verschiedene S-Allele beinhalten.
Bei Stiel- und Traubeneichenbeständen Umgebung berücksichtigen
Für eine Zertifizierung von Stiel- und Traubeneichenbeständen sind derzeit die Mindestanforderungen ausreichend, wenn der ausgewählte Bestand in eine Landschaft mit weiteren und größeren Eichenbeständen eingebettet ist. In Österreich müssen 0,4 ha von Stieleichen überschirmt sein oder in Deutschland ein Minimum von 40 effektiv reproduzierenden Bäumen und ein Minimum von 40 Sameneltern auf einer Fläche von mindestens 1 ha ausweisen. Liegt der Saatguterntebestand dagegen in einer Landschaft mit einem hohen Fragmentationsgrad und ist deshalb räumlich stark isoliert, muss die genetische Vielfalt des geernteten Saatgutes als ungenügend angesehen werden.
Für eine Verbesserung des derzeitigen Zertifizierungsprozesses windbestäubter Baumarten empfiehlt sich eine Berücksichtigung der Landschaft und eine Erhöhung der notwendigen Mindestanzahl an reproduzierenden Bäumen innerhalb der Bestände. Auch bei der Verwendung der im Bestand auflaufenden Naturverjüngung ist eine Beachtung der Bestandesgröße, der Individuendichte und der landschaftlichen Gegebenheiten wünschenswert, da die Stabilität der künftigen Generation, aber auch der wirtschaftliche Ertrag der Bestände sehr stark vom Ausgangsmaterial abhängig ist.
Eine weitere Empfehlung für die Begründung neuer Bestände, die Bewirtschaftung von Populationen und die Erntepraxis: Die Individuendichte und die räumliche Anordnung der jeweiligen Art ist zu beachten. So hängt bei wind- und tierbestäubten Arten die mittlere Bestäubungsdistanz von der Individuendichte ab (Sork et al., 2002; Schueler et al., 2004).
Bei windbestäubten Arten kann eine geringe Populationsdichte von großen und dichten Beständen in der umgebenden Landschaft kompensiert werden (Dow and Ashley 1998). Bei tierbestäubten Arten kann das Verhalten der Bestäuber die Effekte räumlicher und genetischer Isolation reduzieren, wobei bis jetzt unklar ist, bis zu welchem Isolationsgrad dies möglich ist und welche Parameter darüber entscheiden. Mit Sicherheit spielen der Blühzeitpunkt (Frühjahr - Sommer) und die jeweilige Bestäuberart und –dichte eine große Rolle.