Im trockenen Sommer 1983 brannten oberhalb von Müstair 50 Hektaren Fichten-Arven-Lärchenwald nieder. Der Brand an der oberen Wald­grenze auf 1800 – 2200 m ü. M. wütete vom 27. Juli bis zum 12. August. In den steilen Hanglagen der Versuchsfläche "Tramen" (Abb. 1) verbrannten die ganzen Humus­auflagen und teilweise die organischen Bestandteile im Mineralboden. Dies be­einflusste das Bodengefüge negativ, was bei Neigungen um 80% zu Erosion führte. Ebenfalls verbrannte der ge­samte, natürliche Baumjungwuchs, die Verjüngung musste sich als Kernwuchs neu ansiedeln.

In den Folgejahren vergrösserte sich die Schadenfläche entlang der Bestan­desränder wegen Borkenkäferbefall und Sonnenbrand um weitere 10 ha. In den oberen, 60 bis 70% steilen Hangpartien war mit Lawinenbildung und Oberflächenerosion zu rechnen. Die etwa 20'000 abgestorbenen Bäume wur­den darum so hoch wie möglich über Boden gefällt, damit die verbleibenden hohen Strünke zur Stabilisierung der Schneedecke beitragen konnten. Das noch verwendbare Stammholz wurde ins Tal geseilt und die minderwertigen Sorti­mente als natürlicher Gleitschneeschutz quer zum Hang gefällt.

Seltenes Experiment in den Hochlagen

Auf der westexponierten Seite der Brandfläche untersuchten wir die Verjüngungsgunst nach Wald­brand. Insbesondere interes­sierte ein Vergleich zwischen natürlicher und künstlicher Verjüngung:

  • Welche Baum- und Straucharten siedeln sich zuerst an?
  • Haben gepflanzte Bäume gegenüber natürlich verjüngten einen Entwicklungs­vorsprung?
  • War die Aufforstung überhaupt notwendig?
  • Wie viele Jahre vergehen in hohen Lagen, bis der Schutzwald seine Funktionen wieder erfüllen kann?

In einer Teilfläche des Waldbrandes, auf dem Steilhang "Tramen", wurden 49 kreisförmige Stichproben systematisch in einem horizontalen Netz von 50 × 50 m permanent eingerichtet. Jede Stichprobenfläche hat in Horizontalprojektion einen Radius von 4 m und somit eine Fläche von 50,3 m². Dies ergibt 2465 m² Untersuchungsfläche, was einem Flächenanteil von 2% entspricht. Vom Stichprobenzentrum aus wurde jeder Baum ab 20 cm Schaftlänge mit Azimut und Distanz eingemessen. Neben den Baum­höhen erfassten wir auch Baumart, Schäden, Verjüngungsart (Topfpflanzen, Nacktwurzler, natürliche Verjüngung) und Ausfallursachen.

Aufforstung mit künstlicher Bewässerung

In der Hoffnung auf zukünftige, natür­liche Verjüngung forstete der lokale Forstdienst nur mit einer geringen Pflanzendichte auf. An Standorten, die sich besonders für die Verjüngung eignen, pflanzten die Forstleute Kollek­tive (Gruppen von 10 bis 20 Exemplare). Im Zentrum der Brandfläche realisierte die Forschungsanstalt WSL 1985 eine klassische Rottenaufforstung mit standortgerechten Baumarten. Insgesamt wurden rund 110'000 Bäume gepflanzt: 55% Fichten, 5% Arven, 32% Lärchen und 8% andere Arten.

In den ersten Jahren nach der Pflan­zung wurden die steilen, bepflanzten Hanglagen mit Hilfe einer Sprinkleranlage bewässert. Sowohl die Aufforstung als auch die Schlagflora, meist Weidenröschen, profitierten von der künstlichen Wasserversorgung wäh­rend Trockenperioden. Sie stabilisierten den Hang und schützten vor Erosion.

Entwicklung der natürlichen Verjüngung

Auf der untersuchten Teilfläche "Tra­men" überlebten keine Bäume den Brand. Wie weit noch intakte Wurzelsysteme (Pappel) wieder austrieben, ist nicht be­kannt. Die natürliche Wiederbewaldung erfolgte hauptsächlich aus generativen Kernwüchsen. Erst im fünften Jahr nach dem Brand erreichte die natürliche Ver­jüngung für die Datenerfassung defi­nierte Schwelle von 20 cm Höhe. In diesem Jahr zählten wir auf unseren Stichproben 390 Bäume/Sträucher pro ha. In den ersten zwölf Jahren nach dem Brand etablierten sich Pioniergehölze. 25 Jahre nach dem Brand bestand die natürliche Verjüngung aus 4994 Bäumen/Sträu­chern pro ha (Tabelle 1).

Der natürliche Aufwuchs bestand 1995 noch zu 28% aus Nadelholz-, zu 72% aus Laubholzarten. Dreizehn Jahre später (2008) oder 25 Jahre nach dem Brand hatte sich die Artenzusammensetzung zu 61% Nadelholz und 39% Laubholz ver­ändert. Am häufigsten waren Lärchen, Aspen, Sträucher (meist Weidenarten), Fichten und Arven. Die übrigen Arten waren mit weniger als 5% nur schwach vertreten. Das Mischungsverhältnis der natürlichen Ver­jüngung wich bei der letzten Aufnahme 2008 erheblich von demjenigen im Be­stand vor dem Brand ab. Laub­holzarten hatten im geschlossenen Be­stand vor dem Brand praktisch gefehlt.

Tab. 1 - Natürlich verjüngte Baum- und Straucharten 25 Jahre nach dem Brand in Anzahl/ha und Prozent.

BaumartAnzahl pro HektareProzenteMischungsverhältnis
vor dem Brand
Aspe (Populus tremula)1157230
Birke (Betula pendula)6910
Vogelbeere (Sorbus aucuparia)4910
Sträucher (Salix sp.)690140
Arve (Pinus cembra)256515
Bergföhre (Pinus mugo uncinata)2812
Fichte (Picea abies)4991077
Lärche (Larix decidua)2246456
Total Laubholz1965390
Total Nadelholz302961100

Markant war die Ansamung von Aspe und Sträuchern wie Weiden und weni­gen Holundersträuchern. Erste Lärchen und Fichten erreichten nach fünf Jahren die Erfassungsschwelle von 20 cm Schaftlänge. Die Zahl der Lärchen nahm auch in den letzten Jahren noch markant zu. Die natürliche Arvenverjüngung entwickelt sich nur langsam, seit 1992 steigt die An­zahl aber kontinuierlich an. Bergföhren haben sich nur vereinzelt auf der Brand­fläche verjüngt.

Das Verteilungsmuster der natürlichen Verjüngung im Gelände lässt sich zum Teil durch den Standort, vor allem aber durch die Brandintensität erklären. Bei der letzten Aufnahme 2008 wurden auf den 49 Stichproben jeweils zwischen 0 und 136 Bäume gezählt. Am zahlreichs­ten war die Verjüngung auf den steilen Geländerippen und auf jenen Stichpro­benflächen, auf denen 1986 das Weiden­röschen dominierte. Stichproben mit wenig oder gar keiner Verjüngung korre­lierten mit der Verbreitung des Wolligen Reitgrases (Abb. 4).

Entlang der Bestandesränder war der Nadelholzanteil, insbesondere der Lärchen, deutlich höher als im Zentrum der Brandfläche. Ferner war die Verjüngung zahlreicher auf den oberen, steileren Hangpartien als auf den flacheren unteren Partien.

Die grössten natürlich verjüngten Bäume waren Lärchen mit einer maximalen Höhe von 7,5 m und Fichten mit gut 4 m. Arven und Bergföhren erreich­ten 25 Jahre nach dem Brand eine Maximalhöhe von 2 m. Die höchstge­wachsenen Weiden, Birken und Aspen waren bei der Aufnahme 1995 bereits rund 3 m hoch. Dreizehn Jahre später (2008) waren die grössten Laubhölzer etwa doppelt so hoch und oft mehrstämmig.

Entwicklung der Aufforstung

Vom Pflanzungszeitpunkt 1984 bis 1995 fielen insgesamt 30% der Bäume aus, davon 61% Legföhren, 48% Lär­chen, 12% Bergföhren, 18% Fichten, 5% Grünerlen und 4% Arven. Bemer­kenswert ist, dass von den Topfpflanzen in den ersten zehn Jahren nur 18% aus­fielen, von den Nacktwurzlern hingegen 33%. Schäden, die nicht zum Absterben der Bäume führten, waren Schälen, Fegen und Triebverbiss sowie Befall durch Gallenläuse (Adelgidae). Die 30% Ausfälle bis 1995 in der Pflanzung sind auf Pflanzschock (64% der Abgestorbe­nen, vor allem Nacktwurzler), Rindenfrass durch Mäuse (16%), Vegetationskonkur­renz (7%) und Frosttrocknis (5%) zurück­zuführen.

Die Ausfälle waren in den ers­ten drei Jahren häufig und nahmen dann abrupt ab. 24 Jahre nach der Pflanzung 2008 er­reichten die Fichten eine mittlere Baum­höhe von 2,5 m, und die Lärchen 3,9 m (Abb. 6). Die gepflanzten Schlussbaumarten Arve, Bergföhre, Fichte und Lärche waren rund 1,5 bis 2 m höher als die natürlich gekeimten Vergleichsbäume. Nur Aspe und Birke erreichten ähnliche Gipfelhöhen wie die ausgepflanzten Bäume. Die enormen Grössenunter­schiede waren durch den Wuchsort be­dingt oder auf Schädigungen zurückzu­führen.

Pflegeeingriff

Im Sommer 2000 pflegte der Forst­dienst Müstair die Verjüngung auf der Brandfläche mit dem Ziel, die lockere Rottenstruktur der Aufforstung zu erhal­ten und mit den natürlich verjüngten Bäumen weitere Kollektive auszuformen. Der Fichtenanteil wurde von 55% auf 24% zugunsten von Lärchen und Arven reduziert (Abb. 8). Die starken Rand­bäume mit intaktem Kronenmantel wurden begünstigt, so dass die Stabilität und Widerstandskraft der Rotten erhalten blieb. Gepflanzte Bäume muss­ten zugunsten der natürlichen Verjün­gung weichen, dies war schon die erklärte Absicht bei der Aufforstung. Vor­wüchsige Protze (oft mehrstämmige, ausladende Gebirgsweiden) wurden zu­rückgeschnitten, oder auf den Stock gesetzt. Diese Massnahmen führten zu einer stufigen Struktur. Nach diesem Eingriff konnten sich vor allem neue Lärchen und Arven ansamen, die vom erhöhten Licht- und Wärmeangebot pro­fitierten.

Wildeinfluss auf die Verjüngung

Auf traditionelle Schlagräumung nach dem Brand wurde bewusst verzichtet, nur Begehungswege und Wildwechsel wurden freigeräumt. Damit konnte das Wild die Brandfläche schnell und bequem durchqueren. Entlang der Wechsel pflanz­ten wir Grünerle und Birke als Verbiss­baumarten. Mit diesen Massnahmen ge­lang es in den ersten Jahren, Hirsch- und Rehwild von den frisch gepflanzten Bäu­men abzulenken.

Der Schutz durch das liegengelassene Holz wurde nach fünf Jahren unwirksam und machte eine gezielte Bejagung des Rehwildes nötig. Be­sonders einschneidend für die jungen Bäume waren Beeinträchtigungen durch den Endtriebverbiss und das Fegen durch Rehböcke. Bei der Wildschadenerhebung 2008 waren hauptsächlich Laubhölzer und nur wenige Nadelhölzer verbissen. Holunder und Vogelbeere waren vollstän­dig, Aspen und diverse Weiden zu über 50% verbissen (Abb. 7).

Unterschied der Aufforstung zur Naturverjüngung

Über alle Arten summiert hatte die natürliche Verjüngung zehn Jahre (Abb. 8, roter Ring) nach dem Brand die Auffors­tung anzahlmässig eingeholt. Bei der natürlichen Verjüngung überwog das Laubholz stark, bei der Pflanzung hingegen das Nadelholz. Vergleichen wir nur die Nadelholzarten, so benötigte die Naturverjüngung 16 Jahre (Abb. 8, roter Ring), um mit der Aufforstung gleichzuziehen. Nach 24 Jahren waren die mitt­leren Baumhöhen der Aufforstungspflan­zen immer noch deutlich grösser als jene der im Durchschnitt etwas jüngeren, natürlich verjüngten Bäume (Abb. 6). Die Aufforstung war ein Wegbereiter, quasi ein Vorbau für die natürliche Verjüngung. Nach 25 Jahren war die Brandfläche weit­gehend bestockt und die Wiederbewal­dung gesichert.

(TR)