In der Vegetationsperiode 2009 wurde das Weiße Stengelbecherchen (Hymenoscyphus albidus), das sexuelle Stadium des Eschentriebsterben-Erregers Chalara fraxinea, an zahlreichen Standorten in fünf österreichischen Bundesländern nachgewiesen. Basierend auf dieser Entdeckung wird der aktuelle Stand des Wissens über diese neue Baumkrankheit präsentiert und ein hypothetischer Krankheitszyklus des Eschentriebsterbens vorgeschlagen.

In vielen Teilen Europas und auch in Österreich ist die Esche (Fraxinus excelsior) gegenwärtig in großem Ausmaß vom Eschentriebsterben betroffen, einer neuen Krankheit, die vom Mikropilz Chalara fraxinea hervorgerufen wird (Kowalski 2006, Kowalski und Holdenrieder 2008, Bakys et al. 2009, Engesser et al. 2009, Kirisits et al. 2009). Die Biologie dieses Krankheitserregers war bis vor kurzem rätselhaft. Eine Sporenbildung von C. fraxinea wurde nur ganz selten im Freiland beobachtet und es war nicht bekannt, wie der Pilz übertragen und verbreitet wird (Kowalski und Holdenrieder 2008, Kirisits et al. 2009).

Die asexuellen Sporen von C. fraxinea sammeln sich als klebrige Tröpfchen an der Spitze der sporenbildenden Zellen (Kowalski 2006); sie scheinen nicht an eine Verbreitung über die Luft angepasst zu sein. Es wurde daher spekuliert, dass der Pilz von Insekten verbreitet werden könnte (Kowalski und Holdenrieder 2008). Konkrete Hinweise für diese Vermutung fanden sich aber nicht.

Ferner wurde festgestellt, dass die Sporen von C. fraxinea auf künstlichen Nährböden und abgetrennten Eschenblättern nicht keimen (Engesser et al. 2009, Kirisits et al. 2009). Diese Sporen sind offenbar nicht an der Verbreitung des Krankheitserregers beteiligt.

Sexuelles Stadium entdeckt

Im Sommer 2008 wurde das sexuelle Stadium von C. fraxinea entdeckt und identifiziert (Kowalski und Holdenrieder 2009). Die weißen, schüsselförmigen Fruchtköper (Apothezien) mit einem Durchmesser von 1,5 bis 3 mm wurden von August bis September 2008 an zwei Standorten in Polen vorwiegend an im Vorjahr abgefallenen Blattstielen und -spindeln in der Bodenstreu gefunden. Gelegentlich sind die Fruchtkörper auch an Trieben von abgestorbenen ein- bis dreijährigen Sämlingen in einer Baumschule aufgetreten.

Das sexuelle Stadium von C. fraxinea wurde als das Weiße Stengelbecherchen (Hymenoscyphus albidus) identifiziert (Kowalski und Holdenrieder 2009). Er ist in Europa weit verbreitet, wurde im Alpenraum aber bis vor kurzem nur selten beobachtet (Breitenbach und Kränzlin 1984, Dämon 1992, Dämon et al. 1992, Krisai-Greilhuber et al. 1997, Senn-Irlet et al. 2007, Kowalski und Holdenrieder 2009, Österreichische Mykologische Gesellschaft [ÖMG] 2009). Der Pilz war bisher nicht als Krankheitserreger an Esche bekannt.

Sexuelles Stadium auch in Österreich häufig

Bei Erhebungen der BOKU und des BFW in der Vegetationsperiode 2009 wurde das sexuelle Stadium des Eschentriebsterben-Erregers an zahlreichen Standorten in Wien, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Kärnten und der Steiermark nachgewiesen. Die Fruchtkörper wurden zumeist an verrottenden, vorjährigen Eschenblattstielen und -spindeln in der Bodenstreu gefunden (Abbildung 1), gelegentlich auch an Nerven der Blättchen und an abgestorbenen Eschentrieben mit Bodenkontakt.

Sie traten bevorzugt an Stellen mit feuchtem Kleinklima und in den unteren Schichten der Bodenstreu auf, wo die Blattspindeln auf dem Waldboden aufliegen. Von einigen H. albidus-Aufsammlungen wurden Pilzkulturen aus Ascosporen angelegt. Wie von Kowalski und Holdenrieder (2009) beschrieben, entsprachen die Isolate in ihrer Kultur- und Mikromorphologie jenen von C. fraxinea. Die Fruchtkörper waren mit einem Durchmesser bis zu 7 mm vielfach größer, als in der Literatur für das Weiße Stengelbecherchen angegeben wird (Breitenbach und Kränzlin 1984, Kowalski und Holdenrieder 2009), und dadurch auffälliger als ursprünglich angenommen. In jungem, frischem Zustand sind die Fruchtkörper weiß, verändern sich in trockener Umgebung aber rasch. Entfernt man sie von der Bodenstreu, trocknen sie innerhalb weniger Minuten ein, sind dann beige bis hellbraun gefärbt und mit freiem Auge nur mehr schwer erkennbar.

An Standorten in Wien und Niederösterreich wurde der Zeitraum des Vorkommens von Fruchtkörpern genauer beobachtet: Unreife Apothezien traten erstmals Ende Mai auf, solche mit reifen, keimfähigen Ascosporen in großer Häufigkeit ab Mitte Juni. Die Fruchtkörper wurden bis Anfang Oktober beobachtet, deren Anzahl nahm ab Mitte/Ende September aber deutlich ab.

Hypothetischer Krankheitszyklus

Beobachtungen von 2007 bis 2009 und Inokulationsversuche lassen vermuten, dass viele Triebinfektionen eine Zeit lang symptomlos und daher unerkannt bleiben, und dass die Besiedelung des Gewebes und die Symptomentwicklung auch in der kalten Jahreszeit voranschreiten. Das Ausmaß der Schädigung ist erst im Frühjahr besonders auffällig: Triebe treiben nicht mehr aus, Blätter welken und Eschen sind intensiv vom Zurücksterben der Triebe, Zweige und Äste betroffen.

An absterbenden und abgestorbenen Trieben und in älteren Rindennekrosen breiten sich saprotrophe und endophytische Pilze aus und verdrängen C. fraxinea rasch. Dadurch wird der Labornachweis des primären Krankheitserregers erschwert. Auf der Rinde von schon länger abgestorbenen Trieben und auf Rindennekrosen bilden sich Fruchtkörper dieser Pilzarten. Mit der Bildung von Apothezien auf den Blattspindeln in der Bodenstreu beginnt im nächsten Frühjahr der Krankheitszyklus von neuem.

Infizierte Seitenzweige sind mit Sicherheit Eintrittspforten für den Krankheitserreger in Haupttriebe, stärkere Zweige und Stämme. Eine Verwundung des Gewebes ist nach den bisherigen Beobachtungen keine Voraussetzung für eine erfolgreiche Infektion. Umweltfaktoren, vor allem die Niederschlagsintensität und hohe Luftfeuchtigkeit, fördern vermutlich die Fruchtkörperbildung und die Freisetzung der Ascosporen. Zusätzlich schaffen sie günstige Infektionsbedingungen und erhöhen damit insgesamt die Wahrscheinlichkeit erfolgreicher Infektionen.

Beobachtungen von 2007 bis 2009 und Inokulationsversuche lassen vermuten, dass viele Triebinfektionen eine Zeit lang symptomlos und daher unerkannt bleiben, und dass die Besiedelung des Gewebes und die Symptomentwicklung auch in der kalten Jahreszeit voranschreiten. Das Ausmaß der Schädigung ist erst im Frühjahr besonders auffällig: Triebe treiben nicht mehr aus, Blätter welken und Eschen sind intensiv vom Zurücksterben der Triebe, Zweige und Äste betroffen.

An absterbenden und abgestorbenen Trieben und in älteren Rindennekrosen breiten sich saprotrophe und endophytische Pilze aus und verdrängen C. fraxinea rasch. Dadurch wird der Labornachweis des primären Krankheitserregers erschwert. Auf der Rinde von schon länger abgestorbenen Trieben und auf Rindennekrosen bilden sich Fruchtkörper dieser Pilzarten. Mit der Bildung von Apothezien auf den Blattspindeln in der Bodenstreu beginnt im nächsten Frühjahr der Krankheitszyklus von neuem.

Neue Hypothesen zum Eschentriebsterben

Warum ein offenbar einheimischer Pilz, der bisher lediglich als harmloser Zersetzer von Eschenblattspindeln bekannt war, gegenwärtig eine schwerwiegende Krankheit an der Esche verursacht, ist rätselhaft. Kowalski und Holdenrieder (2009) schlagen folgende Erklärungsmöglichkeiten vor:

  • Beim sexuellen Stadium von C. fraxinea handelt es sich um eine eingeschleppte, invasive Art, die morphologisch nicht von H. albidus unterschieden werden kann.
  • Das Weiße Stengelbecherchen hat sich durch Mutation oder Hybridisierung mit einer bisher unbekannten, gebietsfremden Art genetisch verändert und zeigt daher aggressives Verhalten gegenüber der Esche.
  • Der Pilz fand witterungsbedingt in den letzten Jahren ideale Infektionsbedingungen vor und konnte daher Eschen besiedeln.
  • Eschenpopulationen waren durch veränderte Umweltbedingungen und/oder Witterungsextreme geschwächt worden und wurden dadurch anfällig für einen Befall durch das Weiße Stengelbecherchen.

Bei Abwägung aller Argumente erscheint es am wahrscheinlichsten, dass der Pilz eingeschleppt wurde oder dass er sich genetisch verändert hat.

Schlussfolgerungen

Durch die Entdeckung des sexuellen Stadiums von C. fraxinea dürfte das Rätsel der Verbreitungs- und Infektionsbiologie des Erregers des Eschentriebsterbens weitgehend gelöst sein. Während das Weiße Stengelbecherchen früher nur sporadisch von Mykologen registriert wurde, ist davon auszugehen, dass der Pilz gegenwärtig überall vorkommt, wo die Krankheit etabliert ist. Ob der Krankheitserreger tatsächlich mit dem lange bekannten, einheimischen H. albidus identisch ist, sollte jedoch hinterfragt werden, bis umfangreiche Vergleiche mit früheren Aufsammlungen des Pilzes vorliegen.

Falls es tatsächlich ein „ursprüngliches“ Weißes Stengelbecherchen gibt, wäre die Suche nach diesem Pilz in Gebieten, die bisher noch nicht vom Eschentriebsterben betroffen sind, von hohem wissenschaftlichem Interesse. Die Untersuchung von Herbarbelegen und Vergleiche des Pilzes aus Gebieten mit und ohne Triebsterben könnten der Schlüssel zur Erklärung des plötzlichen Auftretens dieser neuen Eschenkrankheit sein.

Danksagung
Die Forschungsarbeiten über das Eschentriebsterben in Österreich werden vom Lebensministerium (Forschungsprojekt Nr. 100343, BMLFUW-LE.3.2.3/0001-IV/2/2008), von den Landesregierungen von Niederösterreich, Kärnten, Salzburg, Oberösterreich, des Burgenlandes und der Steiermark sowie der Österreichischen Bundesforste AG finanziell unterstützt. Wir danken Wolfgang Dämon und der Österreichischen Mykologischen Gesellschaft für wertvolle Hinweise zur Verbreitung von H. albidus in Österreich.

Literatur

Bakys, R., Vasaitis, R., Barklund, P., Ihrmark, K., Stenlid, J. 2009: Investigations concerning the role of Chalara fraxinea in declining Fraxinus excelsior. Plant Pathology, 58: 284-292.
Breitenbach, J., Kränzlin, F. 1984: Pilze der Schweiz. Band 1, Ascomyceten. Verlag Mycologia, Luzern: 313 S.
Dämon, W. Rücker, T., Strobl, W. 1992: Untersuchungen zur Pilzvegetation des Samer Mösls (Stadt Salzburg). Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde, 132: 463-522.
Dämon, W. 1992: Untersuchungen zur Flora und Soziologie der Großpilze (Makromyzeten) eines Auenwaldes und eines Moorwaldes im Flachgau (Salzburg). Diplomarbeit, Universität Salzburg: 225 S.
Engesser, R., Meier, F., Queloz, V., Holdenrieder, O., Kowalski, T. 2009: Das Triebsterben der Esche in der Schweiz. Wald und Holz, 6/2009: 24-27.
Kirisits, T., Matlakova, M., Mottinger-Kroupa, S., Cech, T. L., Halmschlager, E. 2009: The current situation of ash dieback caused by Chalara fraxinea in Austria. In Doğmuş-Lehtijärvi, T.: Proceedings of the conference of IUFRO working party 7.02.02, Eğirdir, Turkey, 11-16 May 2009. SDU Faculty of Forestry Journal, ISSN: 1302-7085, Serial: A, Special Issue: 97-119.
Kowalski, T. 2006: Chalara fraxinea sp. nov. associated with dieback of ash (Fraxinus excelsior) in Poland. Forest Pathology, 36: 264-270.
Kowalski, T., Holdenrieder, O. 2008: Eine neue Pilzkrankheit an Esche in Europa. Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen, 159: 45-50.
Kowalski, T., Holdenrieder, O. 2009: The teleomorph of Chalara fraxinea, the causal agent of ash dieback. Forest Pathology, 39: 304-308.
Krisai-Greilhuber, I., Hausknecht, A., Scheuer, C. 1997: Ergebnisse des Mykologischen Arbeitstreffens in Sibratsgfäll (Vorarlberg) vom 31. 8. - 6. 9. 1995. Österreichische Zeitschrift für Pilzkunde, 6: 155-180.
Österreichische Mykologische Gesellschaft (ÖMG) 2009: Datenbank der Pilze Österreichs. Bearbeitet von Dämon, W., Hausknecht, A., Krisai-Greilhuber, I.: austria.mykodata.net (Datenbankabfrage vom 07. 12. 2009 und schriftliche Mitteilungen).
Senn-Irlet, B., Bieri, G., Egli, S. 2007: Rote Liste der gefährdeten Großpilze der Schweiz. Umwelt-Vollzug Nr. 0718. Herausgegeben vom Bundesamt für Umwelt (BAFU), Bern und der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL), Birmensdorf: 92 S.