Die Arten der Gattung Phytophtho­ra (griechisch für «Pflanzenzerstörer») sind Pflanzen­schädlinge und gehören zu einer Gruppe pilzähnlicher Organismen, welche als Eipilze bezeichnet werden. Die Art Phytophthora x cambivora wurde 1917 als Erreger der Tintenkrankheit der Edel­kastanie beschrieben, auch wenn sie nicht nur Kas­tanien befällt. Sie erhielt ihren Namen, weil sie bei Bäumen die unter der äusseren Rinde gelegenen Ge­webeschichten auffrisst (lateinisch vorare «verschlin­gen»), zu denen auch das fürs Wachstum wichtige Kambium gehört.

Der Erreger dringt über die Wurzeln ein und breitet sich nach oben hin aus. Das Abster­ben des Gewebes wird unter der Rinde durch schwarze Verfärbungen erkennbar (Abb. 1). Diese stei­gen häufig von den verfaulenden Wurzeln ausgehend flammenartig am Stamm hinauf. An jungen Bäumen können eingesunkene Rindenpartien oberflächlich auf einen Befall hindeuten. An der Stammbasis tritt häufig schwarz-bräunlicher Baumsaft aus, daher die Bezeich­nung Tintenkrankheit.

Bei befallenen Bäumen ist mit der Zeit der Trans­port von Wasser und Nährstoffen gestört und die Be­laubung der gesamten Krone wird schütter (Abb. 2), neugebil­dete Blätter bleiben klein und vergilben. Die Früchte erhalten im Herbst kaum noch die nötige Energie, um auszureifen, und bleiben sehr klein. Infizierte Bäume sterben nach zwei bis drei Jahren ab, junge Bäume manchmal auch schon nach einem Jahr.

Der zweite bekannte Erreger der Tintenkrankheit, Phytophthora cinnamomi, verursacht auf vielen verschiede­nen Pflanzen Krankheitssymptome, die je nach Wirt sehr unterschiedlich sein können. Bei der Edelkastanie decken sich die Befallssymptome jedoch mit jenen der durch P. x cambivora verursachten Tintenkrankheit.

Verwechslungsmöglichkeiten

Auch andere Phytophthora-Arten können die Symp­tome der Tintenkrankheit auslösen; die häufigsten in Europa sind P. plurivora, P. cryptogea und P. cactorum. Diese Erreger treten bei der Edelkastanie jedoch weni­ger aggressiv auf. Eine genaue Bestim­mung des jeweiligen Erregers ist nur durch Laborun­tersuchungen möglich.

Cryphonectria parasitica, der Erreger des Kastanien­rindenkrebses, befällt im Unterschied zu den Phyto­phthora-Arten nur die oberirdischen Baumteile, verur­sacht jedoch ebenfalls Absterbeerscheinungen in den Baumkronen. Dieser Erreger tötet aber meistens nur jüngere Bäume komplett ab. Bei älteren Bäumen sterben häufig nur einzelne Äste in den Kronen ab. Welkende Blätter während der Vegetationsperio­de oder braune, hängende Blätter an einzelnen Ästen im Winter sind typische Anzeichen eines Befalls durch C. parasitica. In Niederwäldern werden nur selten alle Sprosse eines Stockes vom Kastanienrindenkrebs ge­tötet. Da die Tintenkrankheit das Wurzelsystem schä­digt, kommt es bei dieser im Unterschied zu einem Krebsbefall nicht zur Ausbildung von neuen Stockaus­schlägen an der Basis befallener Bäume.

Biologie und Vermehrung

Beide Phytophthora-Arten leben im Boden. Bei güns­tigen Bedingungen – beispielsweise nach Starkregen im Frühling oder Sommer – produzieren sie asexuel­le Sporen (Zoosporen). Diese sind mit zwei Geisseln ausgestattet und können sich wie Spermien aktiv fort­bewegen, benötigen für die Fortbewegung im Boden jedoch freies Bodenwasser. Ein nasser, undurchlässi­ger Boden begünstigt daher den Befall. Wenn die Sporen auf eine anfällige Kastanie treffen, infizieren sie diese, indem sie über die Feinwurzeln eindringen. Durch die in der Folge auftretende Wurzelfäule stirbt der Baum oft allmählich ab, während sich der jeweilige Erreger nach oben hin ausbreitet.

Phytophthora cinnamomi kann ausserdem asexu­elle Dauersporen (Chlamydosporen) bilden, um un­günstige Bedingungen wie Trockenperioden zu über­dauern. Theoretisch könnten beide Arten auch durch sexuelle Fortpflanzung Dauersporen erzeugen. Je­doch müssten hierfür die beiden Kreuzungstypen am selben Standort vorkommen, was in Europa kaum je der Fall ist. Bei Frost können weder die Zoosporen noch die Dauersporen beider Arten lange überleben, so­dass die Erreger vor allem im Wurzelgewebe infizierter Pflanzen überwintern.

Verbreitung

Phytophthora cinnamomi wurde erstmals 1922  beschrieben und stammt wahrscheinlich aus Papua-Neuguinea. Der Erreger befällt über 4000 Pflan­zenarten und hat sich über den Handel mit Pflanzen­material weltweit ausgebreitet. Letzteres gilt auch für die Art P. x cambivora, die immerhin auf über hundert Wirtspflanzen nachgewiesen wurde. Ihr Ursprung ist bis heute unklar. Beide Erreger kommen auf allen Kontinenten aus­ser der Antarktis vor und sind wärmeliebend, aber auch kälteempfindlich.

Die Verbreitung der Tintenkrankheit der Kastanie ist neben den Witterungsbedingungen hauptsächlich durch das Vorkommen der anfälligen Kastanienarten begrenzt. In Nordamerika ist vor allem die Amerikani­sche Kastanie (Castanea dentata) befallen, aber auch die Pennsylvanische Kastanie (C. pumila) sowie die Ozark-Kastanie (C. ozarkensis), welche heute meist als Unterart von C. pumila angesehen wird. Die Edelkastanie (C. sativa) bevorzugt das milde Klima des Mittelmeerraums, aber ihr Verbreitungs­gebiet umfasst auch den Norden und Osten Europas bis in den Kaukasus, welcher ihre ursprüngliche Hei­mat darstellt. Die Tintenkrankheit ist in diesem Gebiet vom Südwesten her in Richtung Norden und Osten in Ausbreitung begriffen.

Die in Asien verbreiteten Kastanienarten – nament­lich die Japanische Kastanie (C. crenata), die Chinesi­sche Kastanie (C. mollissima), die Perlenkastanie (C. henryi) sowie die Art C. seguinii – erwiesen sich in Infektionsversuchen als grösstenteils resistent gegen die beiden genannten Erreger. Die höchste Resistenz besitzt die Japanische Kastanie, welche in Asien je­doch ihrerseits durch einen anderen Erreger der Tin­tenkrankheit bedroht wird.

Situation in der Schweiz

1943 wurde erstmals über das Auftre­ten der Tintenkrankheit beim Monte Cene­ri im Tessin berichtet. In der Südschweiz ist die Edelkastanie auf 300–900 m die dominierende Baumart und bedeckt dort eine Fläche von etwa 30'000 Hektaren. Als Teil des Ökosystems sowie als Lieferant von Marroni und Holz hat sie eine grosse ökologische, kulturelle und wirtschaftli­che Bedeutung.

Im Tessin tritt die Tintenkrankheit seit den 1990er Jahren wieder vermehrt auf und wird dort mehrheitlich durch P. cinnamomi verursacht. Sie ist hauptsächlich in zwei Gebieten verbreitet: im Vedeg­gio-Tal nördlich von Lugano sowie insbesondere im Gebiet von Locarno (Abb. 3). Seit 2014 wurden im Kanton Tessin mehr als 20 Befallsherde gefunden.

Bei Dardagny im Kanton Genf kam es 1984 zu einem massiven Kastaniensterben, bei dem P. x cam­bivora als Erreger identifiziert wurde (nicht auf der Karte abgebildet). Diese Art wurde in den 1990er Jahren erstmals bei Castasegna (Ber­gell) im Kanton Graubünden nachgewiesen, sowie vereinzelt im Kanton Tessin.

Bekämpfung

Wenn der Boden an einem Standort erst einmal mit einem oder beiden dieser Erreger verseucht ist, kön­nen diese nicht mehr ausgerottet werden. Die wei­tere Ausbreitung der Krankheit kann aber verhindert oder zumindest verlangsamt werden. So sollte die Verschleppung infizierter Erde, beispielsweise mittels Schuhen, Werkzeugen, Fahrzeugen oder Pflanzensubstrat, in noch nicht betroffene Gebiete absolut verhindert werden.

Während Trockenheit und warme Bodentemperatu­ren die Krankheit fördern, erleichtern feuchte Böden die Verbreitung der Sporen. Vor allem nach starkem Regen werden massenweise Sporen gebildet und mit dem Regenwasser flächig verbreitet. Entwässerungs­gräben, in denen das Oberflächenwasser abfliessen kann, könnten die Verbreitung eindämmen. Tiefe Bodenbearbeitung, welche die Wurzeln verletzen könnte, ist dabei zu vermeiden.

Bei leichtem Befall können Dünger wie gut gereifter Stallmist oder Hühnermist meistens den Krankheits­verlauf verlangsamen, wobei neben der Nährstoffzu­fuhr auch die Veränderung der Bodenmikroflora sowie die Verbesserung der Bodenstruktur eine Rolle spie­len. Die Injektion von Kaliumphosphiten direkt in den Stamm (Endotherapie) kann die Reaktion des Baumes stimulieren, aber dieser Eingriff ist in den Wäldern der Schweiz nicht erlaubt.

Der Tintenkrankheit kann auch bei der Anpflanzung neuer Kastanien gut begegnet werden, durch geeig­nete Standortswahl unter Vermeidung von stau- und grundwasserbeeinflussten Standorten. Jungpflanzen sollten nur aus nachweislich infektionsfreien Baum­schulen bezogen werden. Für die Fruchtproduktion ausserhalb des Waldes besteht die Möglichkeit, Hy­bride aus Kreuzungen asiatischer Kastanienarten mit der Edelkastanie zu verwenden, denn diese weisen oft eine erhöhte Resistenz auf.

Wo melden, wo um Rat fragen?

Die Tintenkrankheit ist nicht meldepflichtig. Dennoch sammelt Waldschutz Schweiz die Meldungen zu Schadorganismen an Waldbäumen.

(TR)