Eingeschleppte Arten, darunter auch viele Insekten, können sich rasant ausbreiten und sich nachteilig auf Mensch und Umwelt auswirken (Vilà & Hulme 2017). Die Kirschessigfliege Drosophila suzukii (Abb. 1) ist eine aus Ost- und Südostasien stammende, mittlerweile weit verbreitete invasive Drosophila-Art, die 2011 in der Schweiz erstmals nachgewiesen wurde und sich seither weitläufig etabliert hat (Cini et al. 2012). Charakteristisch für die etwa 2,5–3,5 Millimeter grosse Taufliegenart ist der schwarze Punkt auf den Flügelspitzen der Männchen und der mit kräftigen, sägeartigen Zähnen ausgestattete Eilegeapparat des Weibchens. Dieser sogenannte Ovipositor, mit dem sie die Haut intakter Früchte durchdringen können, und die hohe Vermehrungsrate von D. suzukii erhöhen ihr Schadpotenzial: Weibchen legen zwischen 100 und 400 Eier (Kirschbaum et al. 2020), und aufgrund der kurzen Entwicklungszeit vom Ei zum Adulttier (bei 23°C z.B. 10–12 Tage) können in der Schweiz vier bis acht Generationen pro Jahr vermutet werden (Wiman et al. 2014).
Aktuelle Studien zeigen, dass bewaldete Gebiete hohe Fangzahlen der Fliege und somit wahrscheinlich hohe Populationsdichten aufweisen (Briem et al. 2018). Dies liegt vermutlich daran, dass Nahrung und Eiablagesubstrat konstanter vorhanden sind als im Offenland (Poyet et al. 2015) und den präferierten klimatischen Bedingungen (hohe relative Luftfeuchtigkeit) der Fliege entsprechen (Hamby et al. 2016).
Vorteil gegenüber heimischen Drosophiliden
Früchte von Wild- und Kulturpflanzen werden von verschiedenen Drosophiliden (Essig- oder Taufliegen) und zahlreichen Arten anderer Insektenfamilien zur Eiablage genutzt (Abb. 2). In der Schweiz sind insgesamt 36 Drosophila-Arten verbreitet. nebst mehr als 30 Arten in anderen Gattungen der Familie Drosophilidae. Im Gegensatz zu einheimischen Drosophiliden kann D. suzukii dank ihres stark gezähnten Legeapparats vollkommen intakte Früchte als Eiablagesubstrat nutzen, wodurch ihr Ei früher in die Frucht gelangt und sie ein breiteres Angebot an Eiablagesubstraten nutzen kann. Dies verschafft ihr einen Konkurrenzvorteil gegenüber den heimischen Arten.
Fangzahlen aus Becherfallen geködert mit Apfelessig zeigen eine deutliche Dominanz der gebietsfremden Kirschessigfliege in allen untersuchten Waldgesellschaften. Der Median des Anteils D. suzukii der Drosophiliden lag in den untersuchten Waldgesellschaften zwischen 82% und 95% (Abb. 3).
Befall von Pflanzen in Wäldern
Drosophila suzukii kann die (weichhäutigen) Früchte zahlreicher Pflanzenarten befallen (Kirschbaum et al. 2020). Das Vorkommen der Fliege in Wäldern, die Nutzung potenzieller Wirtspflanzen im Wald und die daraus resultierenden Auswirkungen sind jedoch unzureichend bekannt. Um diese Wissenslücke zu schliessen, haben wir in den Kantonen Zug und Zürich Mitte Juni bis Mitte Oktober 2020 alle 20 Tage den Befall von Waldpflanzen durch die Kirschessigfliege untersucht.
Auf den insgesamt 64 Untersuchungsstellen wurden über 12 000 Früchte untersucht. Die Kirschessigfliege nutzt ein sehr breites Spektrum an Wirtspflanzen zur Eiablage. Von 39 untersuchten potenziellen Wirtspflanzen wurden die Früchte von 31 Pflanzenarten befallen. Je weiter fortgeschritten der vorherrschende Reifestatus der Früchte auf der Untersuchungsfläche war, desto stärker waren diese Pflanzen befallen. An 19 Pflanzenarten wurde eine Befallshäufigkeit von über 50% festgestellt. Besonders häufig befallen wurde die Tollkirsche (Atropa bella-donna), die Brombeere (Rubus Jruticosus agg. / Rubus corylifolius agg.), der Faulbaum (Frangula alnus) und der Schwarze Holunder (Sambucus nigra) sowie die nicht heimische Sparrige Zwergmispel (Cotoneaster divaricatus, Tab. 1).
Die Menge an Früchten, die durch die Kirschessigfliege befallen wurde, ist beachtlich. Beispielsweise wurde beim Schwarzen Holunder eine Befallshäufigkeit von 83% festgestellt. Von der geschätzten Anzahl Früchte aller Untersuchungsflächen, rund 70000 Holunderfrüchte, wurden vermutlich knapp 60000 Früchte befallen. Die primäre Voraussetzung für die Eiablage ist das Durchdringen der Fruchthaut, welche die Frucht vor äusseren Einflüssen und auch vor einem Befall durch die Kirschessigfliege schützen könnte. Es bestätigte sich, dass Früchte mit eher harter Fruchthaut und/oder starker Festigkeit des Fruchtfleisches wie die Vogelbeere (Sorbus aucuparia) kaum oder nicht befallen wurden. Früchte von schattentoleranten Pflanzen – typische Waldpflanzen wie die Heckenkirschen (Lonicera) – sind eher weichhäutig und daher wohl besonders empfindlich gegenüber Befall.
Schadpotenzial der Kirschessigfliege
Kirschessigfliegen-Larven fressen eigentlich nicht die Frucht, sondern ernähren sich insbesondere von Mikroorganismen (bevorzugt Hefen, auch Essigsäurebakterien), welche die Fruchtsubstanz zersetzen und von verrottetem Fruchtgewebe. Drosophila-Arten beimpfen ihr Eiablagesubstrat mit Mikroorganismen, die als Starthilfe für den Zerfall dienen (Markow & O'Grady 2008). Durch die Eiablage der Kirschessigfliege wird der mechanische Schutz der Fruchthaut zerstört und die Frucht wird infiziert (Abb. 4 und 5).
Dies macht diese Früchte nicht nur für uns ungeniessbar, infizierte Früchte sind in der Regel auch für Wirbeltiere, insbesondere für Vögel, weniger attraktiv. Es wird angenommen, dass der bedeutendste Effekt frugivorer Insekten wie D. suzukii auf eine Pflanze indirekt ist, nämlich über die verringerte Samenausbreitung (Sallabanks & Courtney 1992). Als Reaktionen auf eine Eiablage haben wir Symptome des Zerfalls (Eindellungen, Nässen, Verlust der Form und Farbänderungen) beobachtet. Der durch den Befall ausgelöste und beschleunigte Zerfall verändert die optische Erscheinung aber auch den Geruch und Geschmack. Insbesondere für die stark auf visuelle Reize reagierenden Vögel können befallene Früchte schnell an Attraktivität verlieren. Wir haben häufig am Fruchtstand verbliebene zerfallene Früchte («Fruchtmumien») beobachtet – ein Hinweis darauf, dass Vögel befallene Früchte meiden (Abb. 6).
Bei 77% der Pflanzenarten haben wir einen mässig bis stark beschleunigten Zerfall der Frucht aufgrund der Eiablage der Kirschessigfliege festgestellt. Dieser Fruchtsubstanzabbau und damit das Verrotten einer Frucht, die entweder an der Pflanze vertrocknet oder zu Boden fällt, verringert das Zeitfenster von reifen Früchten. Dies wirkt sich auf andere frugivore Tiere aus - die zum einen Nahrungskonkurrenten der Fliege sind, zum anderen aber für die Ausbreitung und das Erschliessen neuer Lebensräume der Pflanzen eine entscheidende Rolle spielen. Die Keimfähigkeit wird durch den Befall durch D. suzukii wohl nicht beeinträchtigt, da der Samen in einer reifen Frucht bereits fertig angelegt ist. Die Samen werden jedoch häufig in unmittelbarer Nähe der Mutterpflanze keimen.
Die Untersuchung des Befalls von Waldpflanzen sowie die Fallenfänge in den Kantonen Zug und Zürich zeigen ein weiträumiges Massenvorkommen der Fliege auf und lassen vermuten, dass diese Invasion weitreichende ökologische Konsequenzen wie die reduzierte Samenausbreitung, die Verdrängung einheimischer Fliegenarten und die Reduktion von Nahrungsquellen frugivorer Tiere, insbesondere Vögel, zur Folge hat. Zudem wirkt sich diese Invasion negativ auf Ökosystemleistungen des Waldes für den Menschen aus, sodass Beerensammler gegenüber der Kirschessigfliege bei beliebten Früchten wie der Heidelbeere, dem Schwarzen Holunder oder der Brombeere das Nachsehen haben. Für das Verständnis und das Abschätzen des ökologischen Schadens sind weiterführende Studien notwendig.
Zitierte Literatur