Dieser Artikel stammt von 2010. Bis im Sommer 2022 hat das Grauhörnchen die Schweiz noch nicht erreicht.
Mit seinen rund 300 g Körpergewicht ist das Europäische Eichhörnchen (Sciurus vulgaris) eines der grössten einheimischen Nagetiere. Gut erkennbar ist es an seinem buschigen Schwanz und den Haarbüscheln an den Ohren. Die Fellfarbe weist eine grosse Variabilität auf und kann von Feuerrot über verschiedene Brauntöne bis fast Schwarz gehen.
Der typische Lebensraum des Eichhörnchens sind die borealen Nadelwälder, wo es im Norden bis nach Skandinavien und im Osten bis nach Sibirien und gar Korea vorkommt. In Mitteleuropa trifft man den Nager auch häufig in den Mischwäldern an, wo er ein reiches Nahrungsspektrum an Baumfrüchten der Buche, der Eiche und der Hasel findet. Das Nahrungsspektrum ist jedoch sehr breit und umfasst auch Samen, Beeren und je nach Jahreszeit Knospen, Rinde oder Pilze. Als exzellenter Kletterer verbringt das Eichhörnchen einen Grossteil seiner Zeit in den Bäumen und ist nur selten am Waldboden anzutreffen.
Vor 100 Jahren nach Europa verschleppt
Weltweit gibt es rund 270 verschiedene Hörnchen-Arten. Die Gattung Sciurus – der Name setzt sich aus dem altgriechischen skia (Schatten) und oura (Schwanz) zusammen – umfasst noch 28 Arten, von denen die meisten auf dem amerikanischen Doppelkontinent leben. Eine dieser Arten, das Grauhörnchen (Sciurus carolinensis), wurde vor rund 100 Jahren nach Europa verschleppt und hat sich für das Europäische Eichhörnchen zu einer Bedrohung entwickelt.
Das Grauhörnchen ist etwas grösser als die einheimische Art und wiegt mit rund 400 bis 700 g fast doppelt so viel. Im Aussehen unterscheidet es sich durch die graue Fellfärbung und den fehlenden Haarbüschel an den Ohren. Typisch ist auch die weisse Färbung am Rand und an der Spitze des Schwanzes.
In England ausgesetzt
Das Grauhörnchen ist eine nordamerikanische Art, die ursprünglich vom Golf von Mexiko bis in den Südosten Kanadas heimisch war. Erstmals in Europa aufgetaucht ist das Grauhörnchen gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Zwischen 1876 und 1929 wurde das Grauhörnchen bei über 30 Gelegenheiten in England ausgesetzt. Häufig wurden die Tiere bewusst in Parks oder Wäldern zur vermeintlichen Bereicherung der Tierwelt freigelassen. Zum Teil sind sie auch einfach aus privaten Haltungen entwischt. Aus ursprünglich einigen hundert freigelassenen Tieren ist heute eine Population von mehreren Millionen gewachsen.
Via Italien ins Tessin und in weitere Landesteile der Schweiz
Auch in Italien wurde das Grauhörnchen durch den Menschen eingeführt. Heute sind dort drei Gebiete besiedelt: Die grösste Teilpopulation befindet sich im Piemont, südwestlich von Turin. Die beiden kleineren Bestände liegen an der ligurischen Küste im Gebiet von Genua und in der Lombardei, entlang des Flusses Ticino. Letzteres Gebiet liegt weniger als 50 km von der Schweizer Grenze entfernt. Modellrechnungen italienischer Forscher sagen voraus, dass das Grauhörnchen in den nächsten Jahren das Tessin, und später auch andere Landesteile der Schweiz, erreichen wird. Die ausgedehnten Tessiner Kastanienwälder würden ihm einen hervorragenden Lebensraum bieten.
Gross und aggressiv
Überall, wo das Grauhörnchen in Europa aufgetaucht ist, hat es sich als ein gefährlicher Konkurrent für das einheimische Eichhörnchen herausgestellt. Die Verdrängung des Europäischen Eichhörnchens durch seinen amerikanischen Verwandten beruht auf verschiedenen Mechanismen. Das Grauhörnchen braucht rund doppelt so viele Kalorien wie das Europäische Eichhörnchen, um seinen Energiebedarf zu decken. Durch ihre Grösse und Aggressivität ist die eingeschleppte Art der einheimischen Spezies überlegen und hat so Vorteile bei der Konkurrenz um Nahrung. Es wurde Grauhörnchen über die Vorräte des einheimischen Hörnchens hermacht.
Kommt hinzu, dass die fremde Art auch in viel höheren Dichten vorkommen kann, als die einheimische. So wurden Dichten von bis zu acht Individuen pro Hektare gemessen, während die europäische Art nur durchschnittlich 1,5 Individuen pro Hektare aufweist.
Geschwächt durch die knappe Nahrung und gestresst durch die hohe Dichte von Konkurrenten, wird das Europäische Eichhörnchen anfälliger für Krankheiten. Dies ist von grosser Bedeutung, da das Grauhörnchen häufig Träger eines pockenartigen Parapoxvirus ist, der ihm selber nicht zu schaden scheint, für die einheimische Art aber tödlich ist. Diese Faktoren haben dazu geführt, dass dort, wo das Grauhörnchen aufgetaucht ist, die einheimische Art nach einer gewissen Zeit verschwunden ist.
Auch der Wald leidet
Neben der Gefährdung der einheimischen Artenvielfalt hat das Auftreten des Grauhörnchens noch weitere negative Folgen: Das Grauhörnchen kann beträchtlichen Schaden an Waldbeständen und Pflanzungen verursachen. Um an das saftführende Gewebe der Bäume zu kommen, lösen die Tiere grosse Rindenstücke von den Stämmen. Wo das Entfernen der Rinde ganzheitlich rund um den Stamm geschieht, kann die Versorgung der Baumkrone mit Wasser und Nährstoffen unterbrochen werden. Die Krone wird deformiert oder kann absterben und abbrechen. Gerade bei älteren Bäumen kann dies zum Absterben des ganzen Baumes führen. Durch die verletzten Stellen am Baum können Pilze und Insekten leichter eindringen, wodurch das Holz stark geschädigt werden kann und an Wert verliert.
Besonders anfällig für Schäden durch das Grauhörnchen sind Bäume mit dünner Rinde wie Birke, Bergahorn oder Pappel. Auch Eichen werden oft geschädigt, jedoch nicht im selben Ausmass. Im Alter zwischen 10 und 40 Jahren sind die Bäume am anfälligsten auf die Nager-Attacken. Sehr junge Bäume werden weniger in Mitleidenschaft gezogen, da die Äste noch zu schwach sind, um die Grauhörnchen zu tragen. Mit zunehmender Dichte von Grauhörnchen werden auch Nadelhölzer in grösserer Zahl in Mitleidenschaft gezogen, wie sich in England herausgestellt hat. Die Schäden können durchaus ein wirtschaftlich relevantes Ausmass annehmen. In England wurden die Schäden am Forst, hervorgerufen durch Grauhörnchen, auf mehrere Millionen Franken pro Jahr beziffert.
Einsatz von Fangkäfigen
Grauhörnchen sind in der Schweiz keine frei lebenden Tiere und somit rechtlich weder eine jagdbare Art noch sind sie geschützt. Sie fallen in die Kategorie der nicht einheimischen Tiere, die grossen Schaden anrichten oder die einheimische Artenvielfalt gefährden können und dürfen somit nicht ausgesetzt werden. Die Einfuhr der Tiere zur privaten Haltung braucht eine Bewilligung des Bundes. Sollten tatsächlich Grauhörnchen in der freien Wildbahn auftauchen, so sind die kantonalen Behörden durch die Jagdverordnung aufgerufen, diese zu regulieren und wenn möglich zu entfernen, so dass sie sich nicht ausbreiten und die einheimische Artenvielfalt gefährden können.
Die beste Methode, Grauhörnchen aus der Wildbahn zu entfernen, ist der Einsatz von Fangkäfigen. Solche Fallen werden im Stammbereich auf dem Waldboden platziert und mit Maiskörnern beködert. Etwa eine Falle pro Hektare Wald reicht aus, um ein Gebiet nach wenigen Tagen von Grauhörnchen zu befreien. Die Invasoren mit dem Gewehr zu bejagen, macht keinen Sinn, da die Tiere in den Baumkronen kaum zu sehen sind. Und Gift, wie es in anderen Ländern zum Teil eingesetzt wird, ist für ein breites Spektrum von anderen Tieren ebenfalls tödlich und soll in der Schweiz nicht eingesetzt werden.
Seit längerer Zeit ruhen die Hoffnungen für eine effiziente Grauhörnchenbekämpfung auf der so genannten Immunocontraception, einer Verhütungsmethode, die den Reproduktionserfolg durch eine Art Impfung reduzieren soll. Diese Methode ist aber im Moment erst in der Entwicklungsphase.
Die Augen offen halten
Damit die Behörden bei einem tatsächlichen Auftauchen des Grauhörnchens in der Schweiz (sei es durch Ausbreitung aus Italien herkommend oder aus einer Gefangenschaftshaltung entflohen) rasch reagieren können, ist es wichtig, dass möglichst viele Personen ihre Augen offen halten. Gerade Personen, die aus beruflichen Gründen oder auch in der Freizeit oft im Wald unterwegs sind, können die fremden Nager früh erkennen. Wer ein graues Hörnchen sieht, sollte deshalb sofort mit dem zuständigen Wildhüter Kontakt aufnehmen und die Beobachtung melden. Ein rasches Handeln kann dabei die einheimische Artenvielfalt retten und grössere Schäden am Wald verhindern.
Gebietsfremde Arten, eine Bedrohung für die Biodiversität
Mit der zunehmenden Globalisierung ist ein starker Anstieg des Warentransports, Verkehrs und Tourismus verbunden. Dies führt auch zu ungewollter oder auch beabsichtigter Einführung von gebietsfremden Arten. Bei der Diskussion um die Neobiota, die gebietsfremden Tier- und Pflanzenarten, müssen zwei unterschiedliche Gruppen differenziert werden.
Zum einen werden grundsätzlich als "gebietsfremde Organismen" diejenigen Tiere und Pflanzen bezeichnet, welche natürlicherweise nicht in der Schweiz und den umliegenden Staaten vorkommen. Darunter sind auch viele Nutz- und Zierpflanzen. Zum andern gibt es die "invasiven gebietsfremden Arten", die sich nach ihrer Freisetzung eigenständig ausbreiten und eine so hohe Bestandesdichte erreichen, dass dadurch Mensch, Tier oder Umwelt beeinträchtigt werden.
Die invasiven gebietsfremden Arten werden heute als eine Hauptbedrohung für die Biodiversität angesehen. Sie stellen ausserdem eine zunehmende Gefahr für die Volksgesundheit und die Wirtschaft dar. In der Schweiz leben zurzeit acht gebietsfremde Säugetierarten, wovon der Marderhund, die Bisamratte, die Nutria, der Waschbär und die Wanderratte als invasiv und somit als Problemarten gelten.
(TR)