Kann das Populationsverhalten einer Insektenart frühzeitig vorausgesagt werden? Welche Daten und welche Arbeitsmethoden dafür notwendig sind, zeigt eine Untersuchung im Waldviertel.
In einem Bestand des Waldamtes Stift Zwettl wurde 2013 ein Fraß der Fichtengespinstblattwespe (Cephalcia abietisL.) auf einer Fläche von rund 10 ha festgestellt. Wie aus der Literatur und internen Unterlagen ersichtlich trat
C. abietis bereits vor knapp 50 Jahren in diesem Revier stärker auf.
Zur Dichteerhebung der Nymphen wurden im Frühjahr 2014 Bodengrabungen durchgeführt. Diese ergaben im Mittel 640 Ruhelarven/m², alle jedoch im Eonymphen-Stadium, weshalb für 2014 kein Fraß zu erwarten war. Bei weiteren Grabungen im Herbst 2014 wurden aber auch rund 10 % der Ruhelarven als Pronymphe vorgefunden. Die Entwicklung für 2015 ist daher weiter zu verfolgen.
Ab den 1950er-Jahren bis 1976 trat in Niederösterreich wiederholt, regional zu unterschiedlichen Zeitpunkten, die Große oder Gemeine Fichtengespinstblattwese (Cephalcia abietis L.) auf. Jahn (1976 und 1978) berichtet über Fraßschäden in einem südwestlichen (Ostrong, Weinsberger Wald) und einem nördlichen Gebiet (Sieghartsberg, Wieningsberg und Karlsteiner Berg nahe Waidhofen an der Thaya) des Waldviertels sowie südlich der Donau bei Karlsbach/Ybbs.
Auf diesen Flächen erhob das Institut für Forstschutz der Forstlichen Bundesversuchsanstalt (jetzt Institut für Waldschutz des Bundesforschungszentrums für Wald, BFW) das Ausmaß und den Verlauf des Befalls, Dichtezahlen in den unterschiedlichen Stadien sowie die Parasitierung und die Mortalität der Fichtengespinstblattwespen (Jahn 1976 und 1978), weshalb hier detaillierte Daten und Ortsangaben vorliegen. Für die Zeit nach den 1970er-Jahren ist kein weiterer Cephalcia-Befall dokumentiert.
Neuerliches Auftreten im Waldviertel
Im Herbst 2013 erreichte das Institut für Waldschutz des BFW die Meldung aus der Bezirksinspektion Zwettl über beachtenswerte Fraßschäden an Fichten in einem Bestand des Waldamtes Stift Zwettl, der sich zirka 15 km südlich von Zwettl im Gemeindegebiet Sallingberg befindet. Der Betriebsförster erinnerte sich an die Schadenssymptome des Fichtengespinstblattwespen-Befalls, als er in Jugendjahren als Förstersohn an Gespinstzählungen im Weinsberger Wald mitgearbeitet hatte, und vermutete, dass es sich hierbei um ein ähnliches Schadinsekt handeln müsse.
Bei einer ersten Begehung der Fläche und mit Hilfe von Probengrabungen im November 2013 konnte die Vermutung bestätigt werden: Die unterschiedlich stark befressenen Fichtenkronen (Abbildung 1) mitsamt den an den Zweigen hängenden und auch zu Boden gefallenen Gespinstnestern (Abbildung 2) und die ausgegrabenen Nymphen führten zur Diagnose eines neuerlichen Auftretens der Fichtengespinstblattwespe Cephalcia abietis. Der Befall konzentrierte sich auf eine Fläche von rund 10 ha im Revier Heubach.
Im Zentrum des Befalls waren die Fichtenkronen durchwegs sehr stark befressen, das Ausmaß reichte bis zum Kahlfraß großer Bereiche. Das braune Erscheinungsbild der Kronen kam durch das Fehlen der grünen Nadeln und durch die braunen Gespinstnester zustande.
Zahlreiche Kotgespinste bedeckten auch den Waldboden sowie die Fichten-Naturverjüngung. Auffällig war, dass der Boden in Bestandesbereichen mit starkem Befall großteils durch Schwarzwild umgebrochen war (Abbildung 3).
Abbildung 3: Bodenverletzung durch Schwarzwild nach Nymphensuche
Jahn (1976) berichtete ebenfalls von einem Befall im Revier Heubach mit einem Ausmaß von 10 ha im Jahr 1966, der aber bereits 1967 wieder zusammenbrach. Betroffen war damals ein anderer Revierteil, rund 4 km entfernt. Nach den 1960er-Jahren gibt es keine Berichte über Cephalcia-Befall im Forstbetrieb Stift Zwettl und im Bereich der Bezirksforstinspektion Zwettl (DI E. Kronsteiner, Waldamt Stift Zwettl, und DI G. Mayr, BFI Zwettl, 2013, mündl. Mitteilung).
Verbreitung und Biologie von Cephalcia abietis
Zehn Arten der Gattung Cephalcia (Hymenoptera, Pamphiliidae) kommen in Mitteleuropa vor, davon acht Arten an Fichte, wenngleich mit unterschiedlicher Häufigkeit. Holusa et al. (2007) fanden zwischen 2001 und 2006 im nördlich angrenzenden Tschechien sieben Arten, die häufigste Art war C. abietis. Dieser Art kommt auch die größte Bedeutung als Fichtenschädling zu.
C. abietis kommt in Mittel- und Nordeuropa, in Sibirien bis Nordchina vor (Battisti und Jiang-hua Sun 1998), zumeist und häufig in Mittelgebirgslagen, im Flachland dominiert C. arvensis (Taeger et al. 1998, Lemme und Petercord 2010b).
Abbildung 4: Nymphen der Fichtengespinnstblattwespe
Abbildung 5: Kopf einer Pronymphe mit Nymphenauge
Die adulten Tiere haben einen typischen Blattwespenhabitus mit breitem Kopf, schlanker Brust und breitem, flachgedrückten Hinterleib, sind 11-14 mm groß und besitzen lange Fühler. Kopf und Brust sind schwarz mit wenigen gelben Flecken, das Abdomen ist meist rotbraun bis rotgelb gefärbt (Schwertfeger 1981). Die Flügel sind durchscheinend mit kräftigen, schwarzen Adern. Die Ruhelarven im Boden (Nymphen) sind in der Mehrzahl grün, ein geringer Teil ist gelblich, sie sind bis zu 20 mm lang (Abbildung 4).
Die Wespen schlüpfen im April/ Mai, ab Mai werden die Eier in Gruppen um die Nadeln der Vorjahrestriebe abgelegt. Die Afterraupen fressen gesellig und bilden ein Gespinst aus Kot und Nadelresten. Die Maitriebe werden meist nicht gefressen. Nach sechs bis acht Wochen gehen die Larven im August in den Boden, wo sie als Nymphe in mineralischen Bodenschichten mehrere Winter überliegen. Die Dauer der Entwicklung variiert: Jahn (1976) gibt zwei bis vier Jahre an, Schwerdtfeger (1981) zwei bis drei, und Lemme und Petercord (2010a und 2010b) nennen in der Regel drei Jahre.
Die Eonymphen entwickeln sich ab Herbst zu Pronymphen, diese überwintern, verpuppen sich im zeitigen Frühjahr und die Wespen schlüpfen im April/Mai. Bei den Pronymphen ist das ausgebildete Auge der Imago (Puppenauge) bereits erkennbar (Abbildung 5). Das Vorhandensein des Puppenauges und der Anteil der Pronymphen im Spätherbst/Winter sind entscheidend bei der Abschätzung des zu erwartenden Fluges und der Fraßschäden.
Der Befall führt selbst bei massenhaftem Auftreten und starkem Fraß nicht zum direkten Absterben der Fichten, die Kronen begrünen sich wieder. Jedoch sind Folgeschäden bekannt, Sekundärschädlinge, wie Borkenkäfer, werden begünstigt.
Dichteerhebung und Prognose
Zur Dichteerhebung wurden an zwei Tagen im Frühjahr 2014 in Zusammenarbeit mit der Universität für Bodenkultur (Exkursion mit Studenten) Bodengrabungen unterhalb verschieden stark befressener Fichtenkronen rund 2 m vom Stamm entfernt durchgeführt. Dazu wurden durch die gesamte Befallsfläche kreuzförmig zwei Transekte gelegt, eines in West-Ost-Richtung, das zweite im rechten Winkel dazu.
Abbildung 6: Dichteerhebung von Nymphen
Insgesamt wurden auf 21 Punkten (11 BFW, 10 BOKU) Dichtegrabungen vorgenommen. Die Abstände zwischen den Punkten waren rund 50 m (West-Ost) bzw. 30 m (Nord-Süd). Anwendung fand die Methode der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (Lemme und Petercord 2010b): Der Mineralboden wird auf einer Fläche von 0,1 m² (30x33 cm) bis in eine Tiefe von 30 cm aufgegraben und mit Hilfe zweier Siebe mit unterschiedlicher Maschenweite (3 und 5 mm) nach Nymphen durchsucht (Abbildung 6).
Die Grabungen zur Dichterhebung ergaben im Mittel 640 Nymphen/m², im Maximum 1390 Nymphen/m². An den Enden der Transekte, mit geringer Befallsintensität, lag die Anzahl der Nymphen/m² noch immer zwischen 130 und 330. Der Grabungspunkt 21 lag, nach den Befallssymptomen in den Baumkronen beurteilt, außerhalb der Schadensfläche, dennoch konnten auch hier 10 Nymphen/m² gefunden werden. Alle Ruhelarven waren ausschließlich im Eonymphen-Stadium (ohne Puppenauge), daher wurde für 2014 kein Fraß erwartet.
Eine weitere interessante Erkenntnis bei den Bodengrabungen war, dass das Umbrechen des Bodens durch Schwarzwild nicht als erfolgversprechende Bekämpfungsmaßnahme gesehen werden kann. Bei Stichproben in den durchwühlten Bereichen wurde eine Vielzahl unversehrter Nymphen gefunden. Die Wildschweine erreichen die Humusauflage und obere Bodenschichten, die Ruhelarven überliegen jedoch meist wesentlich tiefer.
Im Zuge einer Exkursion mit Lehrenden und Studierenden der Universität Brünn (Tschechien) erfolgten Ende September 2014 stichprobenartig einige weitere Grabungen. Ergebnisse auf der Fläche und aus Beobachtungen des Forstbetriebes waren: Es hat 2014 keinen beobachtbaren Schlupf und keine erkennbaren Fraßschäden gegeben (Ing. R. Duhan, Waldamt Stift Zwettl, mündl. Mitteilung), die Dichte der Ruhelarven im Boden war auch nach der Vegetationszeit 2014 sehr hoch und es wurden auch bereits rund 10 % der Ruhelarven als Pronymphe vorgefunden.
Lemme und Petercord (2010a) geben als kritische Dichten 100 Pronymphen/ m² an, nach Jahn (1976) kommt es bereits bei 20 Pronymphen/m² zu ernsthaften Fraßschäden. Da Ende September die Entwicklung von der Eonymphe zur Pronymphe noch nicht vollständig abgeschlossen sein dürfte, könnten sich im Herbst vermutlich noch wesentlich mehr als die festgestellten 10 % Pronymphen verpuppt haben und im Frühjahr 2015 ausfliegen.
Selbst wenn es zu keinen weiteren Verpuppungen gekommen sein sollte oder die Puppenmortalität im Winter den Anteil der schlupffähigen Wespen wieder reduziert haben sollte, so überschreiten die im September gefundenen Dichten die kritische Zahl nach Jahn und zumindest teilweise jene nach Lemme und Petercord. Daher gilt es, die Situation weiter zu verfolgen und im zeitigen Frühjahr weitere Dichtegrabungen durchzuführen, um den Anteil der schlüpfenden und der weiter überliegenden Individuen zu bestimmen.
Danksagung
Dem Grundeigentümer, dem Stift Zwettl, sowie den Vertretern des Waldamtes Stift Zwettl, DI Engelbert Kronsteiner und Ing. Rudolf Duhan, danken wir für die Information über das neuerliche Auftreten der Fichtengespinstblattwespe und die Möglichkeit für Grabungen im Bestand und zwei Exkursionen.