Als Folge des Klimawandels gewinnen auch bisher wenig auffällige Schadinsekten an Bedeutung. So war auch der Nordische Fichtenborkenkäfer bis vor wenigen Jahren in Bayern nicht bekannt. Ab dem Jahr 2017 kam es dann in der Tschechischen Republik zu einem extremen Borkenkäferbefall mit einem jährlichen Schadholzanfall von mehreren Millionen Festmetern. Dieses wurde unter anderem auch auf den deutschen Markt exportiert. Die treibende Kraft dieses landschaftsverändernden Bestandsverlusts war die Massenvermehrung des Buchdruckers, ausgelöst durch mehrere extreme Trockenjahre und verstärkt durch Probleme bei der Borkenkäferbekämpfung.
Bei dieser Massenvermehrung wurde neben dem Buchdrucker in manchen Regionen der Tschechischen Republik auch eine Borkenkäferart gefunden, die bei der mitteleuropäischen Waldbewirtschaftung bisher eher weniger Aufmerksamkeit erfahren hatte: der Nordische Fichtenborkenkäfer (Ips duplicatus), dessen ursprüngliches Verbreitungsgebiet in der nördlichen Taiga liegt.
Schnell kam die Sorge auf, dass mit dem tschechischen Schadholz eine weitere Borkenkäferart nach Bayern importiert werden könnte. Da eine zusätzliche Gefährdung der Fichtenwälder unbedingt vermieden werden sollte, beauftragte das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (StMELF) im Sommer 2018 die Abteilung Waldschutz der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF), die Verbreitung der Art in Bayern und deren Bedeutung am hiesigen Schadgeschehen zu beurteilen. Hier die wichtigsten Ergebnisse dazu:
1. Literaturstudie - was man schon wusste
Zunächst wurde eine Literaturstudie durchgeführt, um das Wissen zum Nordischen Fichtenborkenkäfer zusammenzutragen. Obwohl die Art bei uns bisher wenig Bedeutung hatte, ist schon viel über sie bekannt: Der Nordische Fichtenborkenkäfer ist an die Fichten gebunden und in Aussehen, Brutbild und Generationenfolge dem Buchdrucker sehr ähnlich. Die Mehrheit der ausgewerteten Quellen stuft den Nordischen Fichtenborkenkäfer als Sekundärschädling ein, was bedeutet, dass er vorwiegend geschwächte Bäume besiedelt. Im Gegensatz dazu kann der Buchdrucker als Primärschädling auch vitale Fichten in die Knie zwingen.
Der Nordische Fichtenborkenkäfer unterscheidet sich aber auch in seiner Artbiologie in Details vom Buchdrucker:
- Im Bestand statt am Bestandesrand: Der Nordische Fichtenborkenkäfer schwärmt bereits zum Beginn der Borkenkäfersaison im gesamten Bestand und konzentriert sich nicht wie der verwandte Buchdrucker vorwiegend auf südexponierte Bestandesränder.
- Entwicklungsdynamik: Die für Käferentwicklung und Schwärmbeginn notwendigen Temperaturen liegen etwas höher als beim Buchdrucker; er startet daher im Frühjahr etwas später. Im weiteren Saisonverlauf wird dieser Zeitversatz durch eine kürzere Entwicklungszeit wieder aufgeholt.
- Überwinterung: Zur Überwinterung zieht sich der Nordische Fichtenborkenkäfer am Ende der Saison in die Bodenstreu zurück und verbleibt nicht – wie z. B. der Buchdrucker – auch unter der Rinde befallener Fichten.
2. In Bayern unter Beobachtung
Im Jahr 2018 wurden erste Untersuchungen zum Vorkommen des Nordischen Fichtenborkenkäfer in Bayerns Wäldern durchgeführt. Schnell konnte die Art auch in Bayern nachgewiesen werden. Als nächster Schritt wurde im Jahr 2019 ein bayernweites Monitoring, ähnlich dem bereits bestehenden Borkenkäfermonitoring für Buchdrucker und Kupferstecher, gestartet.
Dazu wurden an 118 Standorten Schlitzfallen installiert. Da für den artspezifischen Lockstoff nur geringe Erfahrungswerte existierten und nicht klar war, wie gut und spezifisch dieser auf den Nordischen Fichtenborkenkäfer wirkt, wurden alle wöchentlichen Fangmengen an die LWF gesendet. Dort wurden rund 30.000 Käfer unter dem Mikroskop bestimmt. Eine Unterscheidung zur Geschwisterart Buchdrucker (Ips typographus) ist vor Ort kaum möglich und erfordert auch mit Mikroskop viel Übung. Folgende Erkentnisse konnten gewonnen werden:
- Durch die Käfer-Bestimmung der eingesandten Proben konnte bestätigt werden, dass der Lockstoff sehr zuverlässig und artspezifisch wirkt und sich somit für ein zukünftiges lockstoffbasiertes Monitoring eignet.
- Ferner konnte die Art in allen Regierungsbezirken nachgewiesen werden. Verbreitungsschwerpunkte gab es in Nieder- und Oberbayern sowie Schwaben. Diese Einschätzung bestätigte sich im Monitoring der Jahre 2020 und 2021.
- Beim Vergleich der Fangzahlen der jeweiligen Monitoringstandorte blieb der Nordische Fichtenborkenkäfer weit hinter den Fangzahlen des Buchdruckers zurück. Während beim Buchdrucker im Mittel über die Kalenderwochen der drei Jahre pro Saison rund 540 Käfer in einer Falle gefangen wurden, waren es beim Nordischen Fichtenborkenkäfer lediglich rund 50 Individuen – also nur etwa 10 % der Fangzahlen.
- Die Artzusammensetzung der Borkenkäfer in befallenen Käferfichten wurde ebenfalls untersucht. Dazu wurden besiedelte Stammholzabschnitte aus Borkenkäferbefallsschwerpunkten in Eklektoren verpackt. Auf diese Weise konnten alle ausfliegenden Käfer aufgefangen, bestimmt und gezählt werden. Insgesamt wurden 66 Stammholzrollen untersucht. Die Ergebnisse zeigten, dass der Nordische Fichtenborkenkäfer nie alleine auftritt. Wurde er gefunden, dann stets in Gesellschaft mit dem Buchdrucker – aber in deutlich geringerer Zahl.
3. Bedeutung für den praktischen Waldschutz
Der Nordische Fichtenborkenkäfer ist in Bayern nahezu flächig verbreitet. Verbreitungsschwerpunkte liegen in Südbayern, Niederbayern, Oberbayern und Schwaben. Somit ist bzw. war die Art in Bayern bereits zu Projektbeginn etabliert. Eine Einschleppung im Rahmen der Rundholztransporte der letzten Jahre kann daher ausgeschlossen werden.
Der Nordische Fichtenborkenkäfer spielt bei der aktuellen Borkenkäferkalamität in Bayern eine untergeordnete Rolle. Seine Bekämpfung erfolgt– wie auch bei Buchdrucker und Kupferstecher - durch "saubere Waldwirtschaft". Eckpunkte sind:
- eine regelmäßige, gründliche Befallsuche,
- zügige Aufarbeitung befallener Fichten und
- zügige Holzabfuhr vor dem Ausflug der Käfer oder Entrindung im weißen Stadium.
- Ultima Ratio: PSM-Behandlung von nicht rechtzeitig abgefahrenem Holz.
Man kann davon ausgehen, dass der Nordische Fichtenborkenkäfer in der Vergangenheit bereits zusammen mit den beiden "altbekannten Arten" Buchdrucker und Kupferstecher bekämpft worden ist.