Zwar liegt der Schwerpunkt der Tätigkeit von Baum-Sachverständigen in den bebauten Bereichen, doch besteht die Verkehrssicherungspflicht vielerorts auch an Waldrändern und Straßen und betrifft daher auch den Waldbesitzer.
Häufig ist es jedoch gar nicht notwendig, Bäume gänzlich zu entfernen. Oftmals reicht ein sachkundiger Rückschnitt der Baumkrone aus, um Gefahren auszuschalten. So bleiben etwa Bizarrformen und Bäume, die unsere Städte und Gemeinden bereichern, in größerem Umfang erhalten. Da Baum- und Astbruch nicht nur eigenes und fremdes Eigentum sondern auch Menschenleben gefährden können, sind regelmäßige Kontrollen der Bäume auf Stand- und Bruchsicherheit zwingend notwendig. Baumkontrollen werden unterschiedlich durchgeführt; meist wird ausschließlich die Verkehrssicherheit begutachtet, manchmal auch verbunden mit einer Pflege oder anderen Arbeiten.
Verkehrssicherungspflicht
Der Begriff "Verkehrssicherheit" findet sich in keiner gesetzlichen Bestimmung, sondern wurde von der Rechtsprechung aus der allgemeinen Haftungsregelung nach § 823 Abs. 1 BGB abgeleitet. Der entscheidende Satz hieraus lautet: Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
Verkehrssicherungspflichtig ist im Normalfall der Eigentümer des Baumes. Da der Baum eine mit dem Grundstück fest verbundene Sache ist, wird somit der Grundeigentümer auch Eigentümer eines darauf befindlichen Baumes.
Baumkontrolle
Zur Verkehrssicherungspflicht für Bäume sind inzwischen über 2.000 Urteile gesprochen. Richtungsweisend für den Umfang der Verkehrssicherungspflicht für Bäume ist das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21. Januar 1965. Aus diesem geht hervor, dass aus rechtlicher Sicht eine visuelle Kontrolle (= Baumkontrolle) ausreicht.
Liegen jedoch Verdachtsmomente für eine mangelnde Verkehrssicherheit vor, muss der Baum genau überprüft werden, z.B. mit einfachen Werkzeugen, speziellen Geräten oder Verfahren. Hier ist es ratsam, Fachleute (Baumpfleger, Fachagrarwirte Baumpflege oder öbv-Sachverständige) hinzuzuziehen.
Für Baumuntersuchungen existieren verschiedene Methoden und Messgeräte.
SKT – Seilunterstützte Klettertechnik
Um jeden Untersuchungspunkt des Baumstammes bzw. der Baumkrone gefahrlos zu erreichen, arbeiten Baum-Sachverständige und ihre Mitarbeiter häufig in Doppelseilklettertechnik. Dabei verwenden sie Spezialseile, Klettergeschirre und Sitzgurte (Abb. 1). Eine Funkverbindung zwischen Kletterer und "Bodenpersonal" erhöht die Sicherheit und erleichtert die Arbeit.
VTA – "visual tree assessment": Die Körpersprache des Baumes verstehen
Zur Minimierung des Bruchrisikos bei Bäumen sollten Wachstumsgesetze und Konstruktion verstanden werden. Bäume wachsen in einer Gestalt, bei der alle Spannungen gleichmäßig auf die Oberfläche verteilt sind (Axiom der konstanten Spannung). Wird dieser Zustand gestört, entstehen lokal höhere Spannungen, der Baum bildet dickere Jahresringe.
Diese "Reparaturanbauten" zeigen Defekte. So ist z.B. die Rippe ein Defektsymptom für einen Riss im Baum, die Verdickung oder Beule ein Hinweis auf eine Faulhöhle oder weiches Holz.
Erfahrene Baumpfleger achten schon lange auf diese "Körpersprache der Bäume". VTA stellt diese traditionelle Sichtkontrolle auf eine biomechanisch fundierte Grundlage und schafft Versagenskriterien.
Werden Defektsymptome festgestellt, müssen diese mit genauen Untersuchungsmethoden wie der Schallgeschwindigkeitsmessung, der Resistographie oder der Fraktometrie bestätigt und bewertet werden.
Schallgeschwindigkeitsmessung
Die Schallgeschwindigkeitsmessung (Schalltomographie) dient der Erfassung und graphischen Darstellung des inneren Zustands von Bäumen und Hölzern.
Die Schallmethode arbeitet zerstörungsfrei mit Impulswellen, die frei positionierte Sensoren erfassen. Damit lassen sich Bäume und Hölzer nahezu beliebiger Dimensionen messen und Bruchsicherheit und Holzqualität besser beurteilen (Abb. 2).
Die Schallgeschwindigkeitsmessung dient auch als Entscheidungsgrundlage, ob weiterführende Untersuchungen wie z.B. die Resistographie notwendig sind.
Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige (öbv)
Da in Deutschland die Bezeichnung "Sachverständiger" nicht rechtlich geschützt ist, können sich auch nicht ausreichend qualifizierte Gutachter als Sachverständige bezeichnen und auf dem Markt betätigen. Um wirkliche Experten von solchen Anbietern zu unterscheiden, sieht die Deutsche Gesetzgebung die öffentliche Bestellung und Vereidigung vor. Sie bescheinigt einem Sachverständigen, dass er auf einem bestimmten Fachgebiet besonders qualifiziert ist.
Öffentliche und vereidigte Sachverständige sind darauf vereidigt, dass sie unparteiisch und unabhängig handeln. Dies heißt, Dritte, denen ein Gutachten vorgelegt wird, können sich auf die Ergebnisse verlassen.
Wer öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige beauftragt, erhält Sicherheit für unternehmerische, gerichtliche und private Entscheidungen, sei es für Schadensgutachten, Immobilien, Elektrotechnik, Handwerk, antike Möbel, Bilder o.ä.
Resistographie
Der Resistograph ist ein Gerät zur schnellen und einfachen Bestimmung der inneren Holzstruktur von Bäumen, Holzspielgeräten oder sonstigen verbauten Hölzern (Maibaum, Dachträger etc.). Das Gerät wird eingesetzt, wenn bei der visuellen Zustandskontrolle Defektsymptome festgestellt wurden, die einer Verifizierung bedürfen.
Eine 3 mm dicke Bohrnadel wird in die Holzprobe getrieben. Das Gerät misst und zeichnet den zur Holzdichte am Bohrnadelkopf proportionalen Bohrwiderstand auf (Abb. 3). Die Bohrkurven werden anhand der charakteristischen Holzdichte des gesunden oder zersetzten Holzes interpretiert. Die Interpretation der Resistographbohrkurven ermöglicht Aussagen über die Holzbeschaffenheit bei Wurzel, Stamm- und Astquerschnitten bzw. verbauten Hölzern.
Die Berücksichtigung der visuellen Zustandskontrolle ermöglicht die Minimierung von Bohrungen. Es ist nicht notwendig, das Untersuchungsobjekt flächendeckend mit dem Resistographen abzurastern, wenn man auf die "Körpersprache der Bäume" achtet.
Fraktometrie
Erscheint es sinnvoll, mit einem Hohlbohrer eine Holzprobe (Bohrkern) zu gewinnen, wird das Fraktometer verwendet.
Ist es mit dem Resistographen möglich, die Restwandstärken zu messen, so liefert das Fraktometer Werte, die Aussagen über die Resttragfähigkeiten von Faulstellen und Nasskernen zulassen. Das Fraktometer bestimmt drei mechanische Größen der Holzprobe:
- Elastizitätsmodul (Steifigkeit)
- Bruchspannung (Festigkeit)
- Bruchenergie
Mit Vergleichswerten zu intaktem Holz kann anhand eines Bohrkernes der Zustand des Holzes geprüft werden.
L.E.T – Computersimulation
Um zu beurteilen, um wieviel die Krone eines (fäulegeschädigten) Baumes konkret zu reduzieren ist, steht den Sachverständigen das Computersimulationsprogramm L.E.T. (load estimation on trees) zur Verfügung.Aus dem Vergleich der vor und nach dem Kronenrückschnitt wirksamen Biegemomente lässt sich die Effektivität der Schnittmaßnahme quantitativ nachweisen.
Alexander von Schönborn ist vom Regierungspräsidium Karlsruhe öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Biostatik der Bäume.
Literatur
Mattheck, C.; Breloer, H. (1994): Handbuch der Schadenskunde von Bäumen – Der Baumbruch in Mechanik und Rechtsprechung. Rombach Verlag, Freiburg im Breisgau
Mattheck, C.; Hötzel, H.J. (1997): Baumkontrollen mit VTA – Fachliche Anleitung und rechtliche Absicherung. 2. Auflage, Rombach Verlag, Freiburg im Breisgau
Deritec GmbH (2000): load estimation on trees – let. Computerprogramm
Augsburger Baumpflegetage (2000): Jahrbuch der Baumpflege 2000. Thalacker Verlag, Braunschweig
Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsplanung e.V. (1993): ZTV-Baumpflege. 2. Auflage, Köllen Verlag, Bonn
Rubin, C.; Lanyon, L. (1982): Limb mechanics as a function of speed and gait. Journal of Experimental Biology 101, S. 187–211
Hallé, F.; Oldeman, R.A.A. (1970): Essay sur l.architecture et la dynamique de croissance des arbres tropicaux. Masson, Paris