Hochgebirgswälder zeichnen sich durch eine spezifische biologische Vielfalt aus. Ihr hohes Alter und ihre einzigartige Biodiversität unterscheiden sie deutlich von den Wäldern des Flach- und Hügellandes. Um die FFH-Waldlebensraumtypen in den bayerischen Alpen effizient zu erheben und zu bewerten, entwickelte die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) ein leistungsfähiges Verfahren. Mittels moderner GIS- und Fernerkundungstechnologien wird damit der Erhaltungszustand der Bergwälder kostengünstig erfasst und dokumentiert.
Im Rahmen des Europäischen Naturschutzprojekts "Natura 2000" trägt der Freistaat Bayern aufgrund seiner geografischen Lage in Mitteleuropa vor allem für Waldlebensräume eine hohe Verantwortung. Als einziges Bundesland besitzt Bayern Anteile an der alpinen biogeografischen Region (ca. 160.000 ha FFH-Gebiete).
Gebirgswälder sind durch enormen Nischenreichtum und eine herausragende, spezifische biologische Vielfalt gekennzeichnet. Standorte und Artenkombinationen (z.B. Kalkstandorte mit Tangelhumusbildung) kommen nur im Hochgebirge vor. Hohe Alt- und Totholzmengen (dreimal so hoch wie im Hügelland der kontinentalen biogeografischen Region) sind weitere Merkmale montaner und subalpiner Wälder. Biotopbäume sind aufgrund des Alters und der besonderen Umweltbedingungen (Schnee, Lawinen, Steinschlag, Sturm und Blitzschlag etc.) in großen Mengen vorhanden. Habitattradition und Biotopkontinuität blieben weitestgehend gewahrt.
Die zur Bewertung der Wälder der kontinentalen biogeografischen Region entwickelten Parameter und Methoden sind für die alpine Region jedoch nur bedingt geeignet. Hinzu kommt, dass diese terrestrisch erhoben werden. Neben den damit verbundenen Gefahren wären die Kosten der terrestrischen Datenerhebungen im Gebirgswald immens.
Ziel des Projektes ist daher die Entwicklung eines Verfahrens zur Bewertung des Erhaltungszustands von Wald-Lebensraumtypen im Hochgebirge. Das Projekt soll sowohl den besonderen Bedingungen der Wälder als auch einer pragmatischen und effizienten Bewertung gerecht werden. Der Anteil terrestrisch zu ermittelnder Erhaltungszustände soll durch den Einsatz von GIS- und Fernerkundungstechnologien und durch die Integration vorhandener Daten auf das fachlich notwendige Maß reduziert werden. Dabei zeichnet sich folgende Vorgehensweise ab:
- Abgrenzung von Lebensraumtypen
Grundlage einer Bewertung von FFH-Lebensraumtypen ist eine zweifelsfreie Identifikation und flächenhafte Abgrenzung. An der LWF wurde ein auf die besonderen Verhältnisse des Hochgebirges angepasstes Verfahren unter Einsatz von GIS-Modellierung und Fernerkundung zur Praxisreife entwickelt. Das Verfahren vereint die Modellierung von Waldlebensraumtypen mit der Auswertung digitaler Luftbilder unter dem Dach eines geografischen Informationssystems. In Praxistests zeigte sich, dass damit zonale Lebensraumtypen, montane Bergmischwälder und Fichten-Hochlagenwälder mit hoher Treffsicherheit modelliert und im Stereo-Luftbild verifiziert werden können. Somit kann auf umfangreiche Geländebegänge verzichtet werden. Kleinflächige Lebensraumtypen auf Sonderstandorten müssen dagegen weiterhin vor Ort überprüft werden (Abb. 1).
- Bewertung von Lebensraumtypen auf Sonderstandorten
Diese zum Teil prioritären Lebensräume (nach FFH-Richtlinie) werden im Rahmen eines terrestrischen Begangs überprüft und bewertet. Dies geschieht auf der Grundlage einer Vorausscheidung im digitalen, stereoskopischen Farbinfrarot-Luftbild unter Berücksichtung von Informationen zu 13d-Waldbiotopen aus der Alpenbiotopkartierung. Soweit als möglich fließen zusätzliche Informationen aus sonstigen vorhandenen Daten mit ein.
- Bewertung von zonalen Lebensraumtypen
Für großflächige, zonale Wald-Lebensraumtypen ist ein GIS- und fernerkundungsgestütztes Verfahren vorgesehen. Über ein luftbildgestütztes Stichprobenverfahren werden Parameter wie Baumartenzusammensetzung, Entwicklungsstadien und stehendes Totholz erhoben. Zudem ist beabsichtigt, durch eine halbautomatisierte Luftbildauswertung horizontale und vertikale Strukturen innerhalb einzelner Lebensraumtypenflächen zu analysieren.
Die strukturelle Vielfalt von Waldbeständen ist eine wichtige Größe zur Bewertung von Waldökosystemen und deren Naturnähe. Ein in der Landschaftsökologie inzwischen weit verbreiteter Ansatz ergibt sich aus der Zusammensetzung und Anordnung diskreter Landschaftselemente ("Patches"). FFH-Lebensraumtypen sind homogene Landschaftselemente, so dass ein denkbarer Ansatz zur Bewertung des Erhaltungszustandes über die Anwendung von Landschaftsstrukturmaßen führt. Landschaftsstrukturmaße quantifizieren über mathematische Formeln (Strukturindizes) das räumliche Muster von Landschaftselementen. Ziel einer Analyse mit Strukturindizes ist es, die Struktur einer Landschaft "auf Basis von flächen-, form-, randlinien-, diversitäts- und topologiebeschreibenden Kennzahlen objektiv zu erfassen...".
Neben der Anordnung/Lage der Lebensraumtypen zueinander, als Polygone im GIS, dienen die Luftbildergebnisse für eine Bewertung mit Hilfe von Strukturmaßen (-indizes) (Tab. 1). Damit werden zur Bewertung des Erhaltungszustandes erstmals auch nicht direkt im Gelände erhobene Parameter herangezogen.
Strukturparameter | Strukturindex | Bewertung |
Mindestfläche | AREA (ha) | Flächenverhältnisse von Wald-Lebensraumtypen zur Erreichung eines Wald-Bestandesklimas, spezifischer Funktionen und der Selbsterhaltungsfähigkeit darin vorkommender Arten |
Kernfläche | CORE AREA INDEX (%) | Anteil eines von Randeinflüssen ungestörten Kernbereichs, in dem sich typische Tier- und Pflanzengemeinschaften optimal entfalten können; Ermittlung über einen definierten Randbereich |
Isolation | NEAREST-NEIGHBOUR DISTANCE (m) | Räumliche Trennung von Teilflächen eines Lebensraumtyps |
Fragmentierung | PATCH RICHNESS DENSITY (#/100 ha) | Beurteilung, ob die Gesamtfläche eines Lebensraumtyps aus vielen kleinen oder wenigen großen Teilflächen besteht. |
Heterogenität | EVENNESS-Index | Heterogenität und damit strukturelle Vielfalt von Wald-Lebensraumtypen Ermittlung über Lückigkeit und Höhendifferenzierung der Waldflächen aus 3D-Luftbildern |
Tab. 1: Strukturparameter und -indices zur Beurteilung des Erhaltungszustands von zonalen Wald-Lebensraumtypen |
...Tempus fugit (...die Zeit läuft dahin)
Mitte Juni 2007 fand der Auftakt zur Erfassung und Bewertung der Wald-Lebensraumtypen in den FFH-Gebieten Flyschberge bei Bad Wiessee, im Mangfall- und im Ammergebirge statt. Die Grundlagen der Bearbeitung sind in dem ersten Entwurf eines Handbuches dokumentiert. Für die Bewertung der zonalen Lebensraumtypen standen Tests und Auswertungen an. Auf Grundlage der Ergebnisse der Methodenentwicklung und von Testbewertungen wurde bis April 2008 eine Arbeitsanweisung erarbeitet.
Der technologische Fortschritt und die zunehmende Verfügbarkeit hochauflösender Fernerkundungsdaten (Laserscanning, Digitalkameras, Radardaten) zeigen weitere Entwicklungen auch im Bereich der dreidimensionalen Strukturerkennung in Wäldern auf, die von der LWF im Rahmen weiterer Projekte verfolgt werden.
Ein Verfahren nicht nur für FFH-Gebiete
GIS-Modellierungen und die Auswertung von geeigneten Fernerkundungsdaten bieten Lösungsansätze für viele weitere Frage- und Aufgabenstellungen in Gebirgswäldern.
Für einen Landschaftsraum wie das Hochgebirge, der als wichtiger "Hotspot" der Biodiversität zu sehen ist und für den gleichzeitig ein deutlicher Klima- und damit Landschaftswandel vermutet wird, müssen Grundlagen für ein adäquates Monitoring geschaffen werden. Für Arterhebungen im Hochgebirge können durch Habitatmodelle und Strukturanalysen aus Fernerkundungsdaten Suchräume abgeleitet werden. Aus Disziplinen wie Schutzwaldmanagement, Waldschutz oder Waldbau resultieren ähnliche Anforderungen an eine effiziente und großflächige Informationsbereitstellung.
Literatur
Auf Anfrage bei den Verfassern.