Prähistorische Lawinen - Der Blick zurück als Schlüssel für die Zukunft

Vor dem Hintergrund der aktuellen Klimawandel-Diskussion ist es unter dem Aspekt Klimaerwärmung besonders interessant, wie sich bestimmte Naturkatastrophen, etwa Lawinen, während bereits stattgefundener längerer Warmphasen ausgewirkt haben.

Befunde aus dem Boden, beispielsweise konservierte Baumstämme, geben Auskunft über die klimatischen Schwankungen vergangener Jahrtausende. Für die Entwicklung von Zukunfts-Szenarios sind solche Befunde die wichtigste und einzige realistische Grundlage.

Im Forschungsprojekt HOLA (Neue Analysemöglichkeiten zur Bestimmung des Lawinengeschehens. Nachweis und Analyse von holozänen Lawinenereignissen) wurden klimageschichtliche Methoden, etwa Baumringanalyse, mit modernster Lawinenforschungstechnologie kombiniert. Es handelt sich dabei um ein interdisziplinäres Projekt des Bundesforschungs- und Ausbildungszentrum für Wald,
Naturgefahren und Landschaft in Kooperation mit der Universität Innsbruck und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Zwei Drittel der letzten 10.000 Jahre waren wärmer als gegenwärtig

Als Ergebnis dieses derzeit weltweit einzigartigen Projekts konnte bestätigt werden, dass etwa zwei Drittel der letzten 10.000 Jahre wärmer als gegenwärtig waren. Weiters gewannen die Wissenschaftler wichtige Hinweise auf die Häufigkeit extremer Situationen: Während dieser Warmphasen kam es nur äußerst selten zu katastrophalen Lawinen-Ereignissen.

Die Ergebnisse sind im jüngsten Band der Mitteilungen der Kommission für Quartärforschung der ÖAW und in identer Form in den Reihen der BFW-Berichte dokumentiert.

Luzian, Roland - Pindur, Peter (Hg.):
Prähistorische Lawinen - Nachweis und Analyse holozäner Lawinenereignisse in den Zillertaler Alpen, Österreich. Der Blick zurück als Schlüssel für die Zukunft
BFW-Berichte, Band 141, Wien 2008, Preis: 42 Euro

Bestellungen:
BFW-Bibliothek, Gudrun Csikos, Tel. 0043/1/878 38 - 1216, bibliothek@bfw.gv.at

Holozänes Lawinengeschehen im Lichte der Klimageschichte und des Klimawandels

Das "Auf- und Ab" der im Holozän ständig schwankenden Verhältnisse und sich überlagernder Einflüsse durch Klima, Naturkatastrophen (am Beispiel Lawinen), und menschliche Aktivitäten wird durch die Untersuchungsergebnisse des Forschungsprojekts HOLA eindrucksvoll belegt.

Klimatisch bedingte, sichtbare Änderungen in der Natur, wie beispielsweise die gegenwärtige Verschiebung der potentiellen Waldgrenze nach oben, werfen die Frage nach deren Auswirkungen allgemeiner Art und insbesondere zu Änderungen im Naturgefahren-Risiko auf.

Der biologische Datenträger Holz

Während sich die Kaltzeiten und die von ihnen verursachten Gletschervorstöße durch mannigfache geologische Phänomene wie Moränen, Gletscherschliffe und Hohlformen in der Landschaft der Alpen vielerorts bemerkbar machen, bleiben die Spuren der Warmzeiten im Verborgenen. Es sind vor allem biologische Datenträger wie Holz, Torf, Knochen oder Molluskenschalen, die Kunde geben können vom Ausmaß und von der Intensität der warmen Zeitabschnitte in den Hochalpen. Zu finden sind diese Datenträger nur in Arealen, wo Bedingungen herrschen, die eine Erhaltung der biologischen Substanzen ermöglichen.

Ein schönes Beispiel für die gute Erhaltung von Holz liefern hochgelegene Moore wie zum Beispiel im Bereich der ehemaligen Schwarzensteinalm in den Zillertaler Alpen in 2150 Meter Seehöhe. Offensichtlich gab es hier chemische Bedingungen, welche die Erhaltung von Baumstämmen besonders begünstigten.

Die Überlieferung von Hölzern, die sowohl nach der Radiokarbon- als auch mit der
dendrochronologischen Analyse datiert werden können, eröffnet ein Archiv der Natur, das für die Rekonstruktion der Klimate frühere Zeiten eine Unmenge von Daten liefert. Die Baumstämme können nur aus einer Zeit stammen, die den Baumbewuchs der Berghänge oberhalb der Alm klimatisch ermöglichte. Lawinenereignisse waren es wohl, die für die Verfrachtung und Akkumulation der Stämme verantwortlich gemacht werden können.

Einzigartige methodische Vorgangsweise

Die Kombination klimageschichtlicher Methoden (Baumringanalyse u.a.m.) mit modernster Lawinenforschungstechnologie ist derzeit weltweit einzigartig und konnte auf Grund günstiger Voraussetzungen im Zuge des Projektes HOLA umgesetzt werden. Die unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen zugeordneten Fragestellungen wurden durch eigenständige und eigenverantwortliche Arbeitsgruppen behandelt.

Am ehemaligen Forschungsinstitut für Hochgebirgsforschung an der Universität Innsbruck bildeten klimageschichtliche Untersuchungen über die Nacheiszeit (Postglazial/Holozän) für den Ostalpenraum einen Arbeitsschwerpunkt. Dabei kommt der Methode der Jahrringanalyse (Dendrochronologie) an Bäumen aus dem Waldgrenzbereich eine herausragende Bedeutung zu. Bei der dendrochronologischen Analyse von in einem Moor im Oberen Zemmgrund in den Zillertaler Alpen konservierten Hölzern konnten sowohl Klimaschwankungen nachgewiesen, als auch
prähistorische Lawinenereignisse belegt und jahresscharf datiert werden.

Baumstämme als "stumme Zeugen"

Mit Hilfe von Lawinensonden (!) wurden Baumstämme als so genannte "stumme Zeugen" im Moor geortet und deren Lagerungsrichtung festgestellt. An 177 Stammproben (alle als Zirben identifiziert) konnten genauere Analysen und Datierungen im Labor durchgeführt werden. Neben den klimatischen
Bedingungen für das Waldwachstum konnte auch die Frage nach dem menschlichen Einfluss auf den Waldbestand mit Hilfe der Analyse von in Bohrkernen des Moores enthaltenen Blütenpollen geklärt werden: Die anthropogene Einflussnahme an und oberhalb der Waldgrenze ab der Jungsteinzeit vor 6000 Jahren ist eindeutig nachweisbar, doch war ihre Intensität seitdem sehr verschieden und bewirkte während günstiger Klimaphasen eher nur eine geringfügige Beeinflussung des Waldwachstums.

Bereits früher große Temperaturschwankungen

Waldentwicklungs- und Strukturanalysen sowie gletscherkundliche Untersuchungen erlaubten die Rekonstruktion des nacheiszeitlichen Schwankungsbereiches der Waldgrenze. Die Erkenntnis, dass etwa zwei Drittel der letzten 10.000 Jahre wärmer als gegenwärtig waren, konnte erneut bestätigt werden. Und die nachgewiesenen Temperatur- (und Niederschlags-) Schwankungen hatten während großer Abschnitte der letzten 10.000 Jahre größere Amplituden, als sie seit Beginn der Instrumentenbeobachtung erfasst werden.

Die Simulation stattgefundener, auf Lawineneinwirkung zurückzuführende Waldzerstörungen zeigt einerseits, dass ab bestimmten Schneemächtigkeiten auch aus relativ kleinen Anbruchgebieten Lawinenabgänge mit waldzerstörender Wirkung möglich sind. Andererseits waren während des betrachteten Zeitraumes aber nur vier Ereignisse nachweisbar, wo es zu einer Überschneidung zweier Lawinensturzbahnen gekommen sein muss. Dieses Worst-Case Szenario tritt also – bei günstigen Waldwachstumsbedingungen mit höher gelegener Waldgrenze als gegenwärtig - extrem selten auf.

Das Projekt HOLA wurde vom Bundesforschungs- und Ausbildungszentrum für Wald Naturgefahren und Landschaft initiiert, basisfinanziert und am Institut für Naturgefahren und Waldgrenzregionen in Kooperation mit der Universität Innsbruck und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in den Jahren 2002 bis 2006 durchgeführt.