Im Rahmen des österreichischen ISDW-Programmes wurde erstmalig ein bundesweit einheitlicher Standard zur Beurteilung der Schutzwirkungen des Waldes und zur Erfassung der erforderlichen Daten entwickelt. Das Beurteilungsmodell dient der Zielfindung und der praktischen Erfolgskontrolle bei der Schutzwaldbewirtschaftung.
Eine wirkungsorientierte Schutzwaldbewirtschaftung setzt die Kenntnis über die am Standort bedeutsamen Naturgefahren, den Waldzustand und klar definierte, gefahrenbezogene Waldstrukturziele voraus – ein Zielmodell. Dieses beschreibt den Soll-Zustand des Waldes, der in Abhängigkeit von den vor Ort bedeutsamen Naturgefahren und den Standortsbedingungen eine ausreichende und langfristige Schutzwirkung hat. Durch den Vergleich mit dem aktuellen Waldzustand können Schutz- und Strukturdefizite des Waldes erkannt werden.
Entwicklung eines Modells für Österreich
Für Österreich gab es bislang keine Grundlagen, die bundesweit einheitlich und in das bestehende System der Planungsinstrumente der Schutzwaldverbesserung integrierbar waren. Daher wurde vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft in Zusammenarbeit mit den Landesforstdiensten, dem Forsttechnischen Dienst für Wildbach- und Lawinenverbauung und dem Bundesforschungs- und Ausbildungszentrum für Wald, Naturgefahren und Landschaft (BFW) ein Planungsstandard für das ISDW-Programm (Initiative Schutz durch Wald) entwickelt. Die wesentlichen Anforderungen waren:
- Ein praxis- und behördengerechtes flexibles System nach dem Muster von NaiS, das in die bestehenden Methoden der Schutzwaldplanung integrierbar ist und den Praktiker einbindet.
- Möglichst geringer Planungs- und Evaluierungsaufwand.
- Abstimmung mit anderen Instrumenten wie Österreichische Waldinventur, Waldentwicklungsplan, Wildeinflussmonitoring und Tiroler Schutzwald-Controlling.
Das Konzept
Um die Schutzwirkung des Waldes und Veränderungen, die durch waldbauliche Maßnahmen entstehen, feststellen zu können, müssen folgende Sachverhalte erhoben und beurteilt werden:
- das Gefahrenpotenzial am Waldort, differenziert nach den Gefahrenarten,
- die Schutzwirkung des vorhandenen Waldbestandes in Bezug auf das Gefahrenpotenzial,
- die Stabilität des Schutzwaldes (Waldtextur, Verjüngung) und
- die erfolgten Maßnahmen.
Es wurde ein System entwickelt, mit dem Bewertungskennziffern des Gefahrenpotenzials und der Schutzwirkung über ein- und mehrdimensionale Präferenzmatrizen aggregiert werden können. Eingangsgrößen sind Merkmale des Standorts oder der Waldstruktur (Indikatoren). Ihre Merkmalsausprägung wird je nach Wertigkeit für den Sachzusammenhang klassifiziert. Die logische Kombination klassifizierter Merkmale ergibt die Bewertungskennziffern.
Die Matrizen sind sehr einfach gestaltet und in Form von "Merkblättern" zusammengefasst. Die Bewertung kann ohne Rechnungen durchgeführt werden. Die Matrizen sind sehr umfangreich, daher werden hier nur die Eckpfeiler des Modells verdeutlicht. Es orientiert sich an den Schweizer Richtlinien (NaiS, FREHNER et al. 2005). In Gegensatz zum Schweizer Modell setzt das ISDW-System am Gefahrenpotenzial gravitativer Prozesse an.
Bestimmung des Gefahrenpotenzials
Abbildung 2: Wintereinbruch am 10.11.2007. Schneerutschungen an einer Hangversteilung von etwa 25 m Länge auf 1040 m Seehöhe. Mittlere Hangneigung des gesamten Hanges 26°. Aufgrund der geringen Hang-länge (konkav-konvex getrepptes Gelände) bleiben die Rutschungen am Hangfuß liegen (Gefahrenstufe 1).
Tabelle 1: Lawinenanbruch - schutzwirksame Eigenschaften des Waldes bei Gefahrenstufe 3
Das Gefahrenpotenzial ist die Bereitschaft des Standorts zu Gefahrenprozessen (gedanklich ohne Wald). Aus der Kombination der Ausprägungen von Indikatoren standörtlicher Disposition für Naturgefahren resultieren die Gefahrenpotenziale für:
- Lawine (Anbruchzone),
- Steinschlag (Transit- und Auslaufzone),
- Rutschung (Anbruchzone),
- und Oberflächenabfluss.
Das Gefahrenpotenzial wird für jede Prozessart mit ordinalen Kennziffern in verschiedenen Farben ausgedrückt, den Gefahrenstufen:
3 – hohe Gefahr (ständig - häufig, groß. Farbe: rot)
2 – mittlere Gefahr (Farbe: orange)
1 – geringe Gefahr (selten, klein. Farbe: gelb)
0 – keine relevante Gefahr (Farbe: grün)
Diese Gefahrenstufen berücksichtigen, anders als die Gefahrenklassen von Gefahrenhinweiskarten oder Gefahrenzonenplänen, neben der Gefahrendisposition den potenziellen Beitrag des Waldes. Im Gegensatz zu den dynamischen Gefahrenstufen der Wetter- und Lawinenwarndienste handelt es sich um eine statische Beurteilung über unveränderliche Standortsfaktoren. Zum Beispiel wird die Gefahrenstufe für "Lawinenanbruch" aus folgenden Indikatoren abgeleitet: mittlere maximale Schneehöhe (Seehöhe), mittlere Hangneigung, Oberflächenrauigkeit und Reliefklasse (maximale Hanglänge).
Die Wahrscheinlichkeit und Größe der potenziellen Ereignisse in den Gefahrenstufen kann nicht exakt angegeben werden. Die Auslösung von Naturgefahren-Ereignissen wird auch stark von zeitlich variablen Faktoren wie dem Witterungsverlauf bestimmt. Bei einer geringeren Gefahrenstufe deuten jedoch die Indikatoren (gestützt auf Beobachtungen und Studien) auf kleinere und seltenere Ereignisse hin. Für Lawine bedeutet z.B. die Gefahrenstufe "1", dass nur bei sehr ungünstigen Schneeverhältnissen (selten) Schneerutschungen bis 50 m oder höchstens kleine Lawinen bis 100 m Lauflänge wahrscheinlich sind. Nur bei Schneehöhen von über 50 cm und dynamischer Gefahrenstufe 5 ("sehr groß") sind solche Ereignisse wahrscheinlich.
In der Gefahrenstufe "2" sind bei dynamischer Gefahrenstufe 3-5 auch mittlere und große Lawinen von über 100 m Lauflänge möglich; die Häufigkeit und potenzielle Schadwirkung von Lawinen nimmt zu, Großlawinen sind jedoch eher unwahrscheinlich bzw. selten zu erwarten. Die Gefahrenstufe "3" bedeutet, dass auch bei mäßiger Lawinengefahr Ereignisse in allen Größen, aber häufiger auch große Lawinen auftreten können.
Die Ableitung von Gefahrenstufen hat den Vorteil, dass je nach dem Ausmaß der Gefahrendisposition unterschiedliche, angepasste Zielvorgaben für den Waldzustand gesetzt werden können. Jeder Praktiker berücksichtigt bei der Bewirtschaftung des Schutzwaldes intuitiv, dass er zum Beispiel in Regionen mit weniger Schnee und auf flacheren und raueren Hängen den Kronenschluss stärker unterbrechen oder größere Verjüngungsöffnungen anlegen kann, als im Steilhang in den schneereichen Lagen.
Bestimmung der Schutzwirkung
Als Kennwert für die Schutzwirkung des Waldes wird die Schutzwirkungsstufe abgeleitet:
3 – sehr geringe Schutzwirkung (kritisch)
2 – verminderte, nicht ausreichende Schutzwirkung
1 – ausreichend hohe Schutzwirkung
0 – keine Bedeutung der Gefahr (Gefahrenstufe 0)
Die Schutzwirkung des Waldes hängt vom Gefahrenpotenzial (der Gefahrenstufe) und vom Waldzustand ab. Je nach Gefahrenart sind unterschiedliche Strukturmerkmale wichtig. Die je nach Gefahrenstufe ausreichend schutzwirksame Waldstruktur definiert den Soll-Zustand des Waldes zum Schutz vor Naturgefahren.
Die Schutzwirkung des Waldes gegen Lawinenanbruch wird etwa mit den Strukturmerkmalen wintergrüner Deckungsgrad, Stammzahl je nach Wuchsklasse, maximale Breite von Lücken und Querleger in den Lücken beurteilt. Berücksichtigt werden jene Bäume, die doppelt so hoch wie die extreme Schneehöhe sind. Tabelle 1 zeigt vereinfacht die schutzwirksamen Waldstrukturen bei Gefahrenstufe 3. Je nachdem, wie stark die Werte unterschritten werden, wird die Lawinenschutzwirkung als vermindert oder kritisch ausgewiesen.
Gesamtbeurteilung – Schutzwirkung und Stabilität
Maßnahmen im Schutzwald sind notwendig, wenn die Schutzwirkungen vermindert sind. Aber auch bei ausreichender Schutzwirkung müssen Maßnahmen erfolgen, wenn die Stabilität des Waldes gefährdet ist. Daher wird die minimale Schutzwirkung mit Stabilitätsbeurteilungen kombiniert (beispielsweise mit Waldtextur, Mischung, Instabilität), und daraus eine vierstufige Gesamtbewertung ähnlich den Schutzwirkungsstufen ableitet. Stabilität bzw. Gefährdungen werden standardisiert aber noch weitestgehend gutachtlich angesprochen. Dafür gibt es noch keine geeigneten praktischen und vom Aufwand her vertretbaren Schätzhilfen. Daher ist diese Erhebung ein Dokumentationsstandard und eine Check-Liste, die eine Hilfestellung zur Beurteilung von Situationen bietet, aber sie ist kein zwingendes Bewertungs- und Entscheidungssystem.
Anwendung
Im Gegensatz zum Schweizer NaiS-Konzept werden keine Beurteilungsstichproben (Weiserflächen) aufgenommen. Sie bergen die Gefahr der statistischen Verzerrung und können nicht hochgerechnet werden. Ähnlich wie beim Bayerischen Controlling erfolgt eine taxative Aufnahme der Indikatoren auf den Behandlungsflächen im Sinne einer Vollerhebung. Es werden nach Standort, Bestand und Einsehbarkeit homogene Einheiten im Wirkungsbereich der geplanten Maßnahmen von etwa 0,5 bis maximal 3 ha gebildet und mit einem standardisierten Merkmalsschlüssel beschrieben.
Das System ist auf einfache praktische Umsetzbarkeit ausgerichtet, was immer zu Lasten der Datenzuverlässigkeit geht. Erste Erfahrungen zeigen eine mittlere bis hohe Zuverlässigkeit der Ansprachen und eine gute Abbildung der Situation.
Letzten Endes entscheidet aber die Einschätzung des vor Ort Handelnden. Das System ist als Orientierungshilfe gedacht und dient als Minimalstandard zur Vereinheitlichung von Aufnahmen und Beurteilungen zum Zweck der Erfolgskontrolle.