Seit jeher nutzen Menschen Mangrovenwälder, um sich dort mit Waldfrüchten, Viehfutter und Holz zu versorgen. Für die lukrative Shrimpsaufzucht werden aber immer mehr Flächen, auf denen der ökologisch ausgesprochen produktive Wald steht, gerodet. Wissenschaftler fordern nun neben dem Regenwaldschutz auch den gezielten Erhalt der Mangrovenwälder.
Auf ihrem langen Weg vom Himalaja zum Golf von Bengalen durchströmen Ganges und Brahmaputra das mit einer 1'000'000 ha Fläche weltweit grösste Delta. Wer sich an Bord einer Barkasse in das aus zahllosen Inseln und Kanälen bestehende Labyrinth der Sundarbans hineinwagt, benötigt exzellente Ortskenntnisse, um wieder herauszufinden.
Vom Himalaja angeschwemmtes Material bildet im Mündungsbereich Schlickbänke und Schwemmlandinseln. Ebbe und Flut formen sie ständig um. Zwischen den mächtigen Wurzeln der Mangrovenwälder lagert sich fortwährend neues Material an und lässt das Mündungsgebiet jedes Jahr wachsen. Das weit verzweigte Wurzelwerk der Mangrovengewächse (Rhizophoraceae), die an tropischen Küsten eine immergrüne Waldgesellschaft bilden, sorgt dafür, dass die Sedimentfracht der Flüsse nicht ungebremst ins Meer fliesst und Riffe und Seegraswiesen unter Schlamm verschwinden lässt.
Mangrovenwälder, in denen man bis zu 30 Baumarten findet, zählen zu den artenreichsten Ökosystemen. Und das, obwohl der hohe Salzgehalt im Wasser, sauerstoffarmer Schlick und der Gezeitenwechsel denkbar ungünstige Lebensbedingungen schaffen.
Waldbarriere gegen Flutwellen
Bengalens grösster Mangrovenwald stabilisiert den Küstenverlauf und bewahrt die Landschaft damit nicht nur vor Erosion; er dient klimatisch als natürlicher Puffer gegen die verheerenden Wirbelstürme in diesem Teil Asiens. Würde die Waldbarriere nicht die unvorstellbare Wucht der Flutwellen mildern, wären die Hochwasserkatastrophen in Bangladesch noch viel dramatischer.
Abb. 2 - Die Mangroven mit ihrem vielfältigen, weitverzweigten Wurzelwerk festigen den Boden. Foto: Thomas Veser
Während der Monsunzeit im Sommer, wenn bis zu einem Drittel der Landfläche unter Wasser steht, reissen Fluten manchmal Teile der Uferböschung mit sich. Bisweilen geht es weniger glimpflich aus. Dann verlieren die Bewohner, die sich als Lehmsammler, Kleinbauern und Crevettenfischer verdingen, über Nacht ganze Parzellen mit fruchtbarem Ackerland. Es ist beachtlich, mit welchem Gleichmut die Menschen ihr Schicksal hinnehmen. "Der Fluss wählt einen Weg und weicht von ihm ab, das ist sein Spiel", lautet eine alte Redewendung.
Seit jeher kann man die in weiten Teilen naturnah erhaltene Übergangszone zwischen Süss- und Salzwasser nur auf dem Wasserweg erreichen. Dank ihrem nährstoffreichen Wasser bieten die Sundarbans vielen Meeresbewohnern ideale Lebensbedingungen. Für zwei Drittel aller Meeresfische bilden Mangrovenwälder eine vor Feinden sichere Kinderstube.
Davon profitieren auch selten gewordene Arten wie der Ganges- und der Irrawaddy-Delphin, der Indoasiatische Glatt-Tümmler und der Indopazifische Buckeldelphin. Wenn bei Ebbe die Schlickufer frei liegen, wimmelt es neben Landeinsiedlerkrebsen von bunt gefärbten Winkerkrabben, die sich bei herannahender Flut wieder zurückziehen. Einer WWF-Studie zufolge bietet das Delta rund 500 Insektenarten, 229 Krustentieren, 283 Knochenfischen, 177 Vogel- und drei Dutzend Säugetierarten ein ideales Rückzugsgebiet. Zudem leben in Teilen des Sundarbans, durch den die Grenze zwischen Bangladesch und Indien verläuft, die letzten Königstiger, deren Zahl auf 250 Exemplare geschätzt wird.
Wenn Menschen in das Mangroven-Sumpfgebiet eindringen, hält sich die Tierwelt allerdings auf Distanz. Aus den Kronen der Sundari-Bäume an den steilen Uferböschungen ertönen warnende Vogelstimmen. Ab und zu vernimmt man die schrillen Schreie der Axishirsche. Bengalens "schöner Wald", so die deutsche Übersetzung, wirkt dann wie eine gespenstische Naturlandschaft.
Shrimpszucht gefährdet Wald
Beunruhigend sind weltweit auch die Zukunftsperspektiven der für Artenvielfalt und Klima gleichermassen wichtigen Wälder. Waren noch vor einigen Jahrzehnten rund 75% der flachen und brandungsfreien Küstenabschnitte weltweit mit Mangroven bewachsen, ist heute bei einem jährlichen Rückgang von 2,5% kaum noch die Hälfte davon erhalten. Hauptgrund für die anhaltende Zerstörung, die in Indonesien die mit Mangroven bestandenen Flächen von 4 Mio. ha etwa um die Hälfte schrumpfen liess, ist die zunehmende Shrimpszucht.
Dafür eignet sich das nährstoffreiche Brackwasser ganz besonders. Allerdings ist das Wasser in den Becken, für die Mangrovenwälder weichen müssen, schon nach drei bis maximal zehn Jahren durch Pestizide und Antibiotika vollständig verseucht und kann nicht mehr genutzt werden. Da der Export von Zuchtgarnelen in den Westen ein einträgliches Geschäft ist, werden weitere Waldstücke gerodet, um neue Becken anzulegen Schritte zur Wiederaufforstung haben gegenwärtig eher Seltenheitswert.
Abb. 3 - Die Shrimpszucht führt zur Abholzung des Mangrovenwaldes und verseucht das Wasser. Foto: www.shrimpnews.com
Mit den Mangroven schwindet auch der einstige Reichtum an Küstenfischen. Schon jetzt müssen die Fangboote immer weiter hinausfahren, wollen sie mit gefüllten Netzen zurückkehren. Wissenschaftler messen inzwischen dem Erhalt des Mangrovenwaldes die gleiche Bedeutung bei wie dem Regenwaldschutz.
Hartholz für Hausbau und Kohle
Da die harten Lebensbedingungen in Mangrovenwäldern den Menschen einiges abverlangen, sind solche Gebiete seit jeher nur schwach besiedelt. Siedlungen befinden sich eher an den Randbereichen landeinwärts. Mangrovenwälder liefern nicht nur organisches Material, womit das Vieh gefüttert wird. Sie bergen auch einen grossen Reichtum an Heilpflanzen.
Auch die Holzernte zählt zu den Aktivitäten, sie hat jedoch nur einen verschwindenden Anteil an der Waldvernichtung. Da Mangrovenbäume permanent im Wasser stehen, zeichnet sich ihr Holz durch Härte und Zähigkeit aus. Sekundärstoffe, die Fäulnis verhindern, verleihen den Bäumen einen natürlichen Schutz gegen die Verrottung. Besonders geschätzt wird Mangrovenholz für den Hausbau und für Wasserbauten aller Art, beispielsweise Brücken. Die Baumrinde findet ihres hohen Tanningehalts wegen in der Ledergerberei Verwendung. Mangrovenbäume dienen auch als Energielieferant, aus den Gewächsen wird Holzkohle gewonnen.
(TR)