"Das Waldsterben ist von anderen Umweltproblemen wie dem Klimawandel aus den Schlagzeilen verdrängt worden, ist aber im alltäglichen Sprachgebrauch und im kollektiven Gedächtnis der Bundesbürger fest verankert", so SCHÄFER (2012: 1) in seiner Dissertation an der Universität Freiburg "Lamettasyndrom" und "Säuresteppe": Das Waldsterben und die Forstwissenschaften 1979-2007.
Das Wort war 1984 neben "Saurer Regen" ein (Un)Wort des Jahres und fand bereits Ende der 1980er Jahren Eingang in den Duden, wo die Ursachen erläuternd noch mit Luftverschmutzung assoziiert werden. Nach Horror-Nachrichten zu Beginn der 1980er Jahre, daraus folgender großer medialer und politischer Aufmerksamkeit (siehe auch Abb. 2) mit unterschiedlichen Interpretationen der jährlichen Waldzustandsberichte (syn. häufig Waldschadensberichte) sank das Interesse wieder. Ab Mitte der 1990er Jahre schien der Wald in Medien und Politik regelmäßig wieder "gesundgeschrieben" worden zu sein. Dieser Trend kehrt sich nun, nach den Extrem-Sommern 2018 und 2019, und im wahrsten Sinne befeuert von der Klimawandel-Debatte wieder um, und das Thema nimmt medial und real wieder an Fahrt auf.
Den von HOLZBERGER (1995) beschriebenen Höhepunkt der medialen Aufmerksamkeit beschreiben auch SCHÄFER (2012) und ZIERHOFER (2013). Ein Blick auf den Bestand der Hochschul-Bibliothek in Eberswalde zeichnet für die wissenschaftliche Literatur ein ähnliches Bild mit 277 Treffern auf das Stichwort "Waldsterben". Das aktuelle Thema „Klimawandel“ ergibt 503 Treffer (Abb. 7) mit einem verschobenem Verlauf und bei anzunehmender höherer Publikationsmenge durch inzwischen mögliche Online-Publikationen.
Abb. 2: Verteilung der Publikationsjahre der Schlagworte Waldsterben bzw. Klimawandel in der Hochschul-Bibliothek Eberswalde (eigene Darstellung).
Und wie sah es im Wald tatsächlich aus?
Bundesweit liegen bisher die Daten der Waldzustandserhebung bis zum Jahr 2019 vor. Diese können als Vergleichsmaßstab dienen, wie es in diesen Phasen "dem Wald wirklich ging." Die blaue Linie zeigt dazu die Aktivität der bundesdeutschen Presseberichterstattung (vgl. auch Abb. 2).
Abb. 3: Waldzustand in Deutschland: Alle Baumarten-Entwicklung der Schadstufen seit 1984 (BMEL, 2020).
Den besten und dann nie wieder erreichten Walzustand nach Schadstufen verzeichnete das Jahr 1981, dem Beginn der Waldsterbens-Debatte in Deutschland. Die Situation des Waldes hat sich also tatsächlich in den folgenden Jahren verschlechtert und es gab kurze, jedoch nicht anhaltende Phasen einer möglichen Erholung in den Jahren 1996, 2001, 2006 und 2012. Bemerkenswerterweise fielen vor allem in den ersten Zeitraum die massiven Personaleinsparungen in den öffentlichen Forstverwaltungen, als ob eine Feuerwehr nicht mehr gebraucht würde, weil es gerade mal nicht brenne. Der Wald ist noch nicht gestorben, gesundet aber auch nicht.
German Angst und Le Waldsterben
Auch das Waldsterben wird in den Medien immer wieder als Beispiel für die vermeintliche "German angst" bemüht (z. B.: BILD.DE, 15.09.2008; TAGESSPIEGEL.DE, 06.09.2009; FR-ONLINE.DE, 16.07.2009, WELT.DE 19.09.2017.).
Ob es sich dabei um eine typische deutsche Gefühlsangst oder einen Hang zur Übertreibung handele, fragt das Haus der Geschichte im Bonn und widmete 2019 diesem Thema eigens eine Sonderausstellung, wo exemplarisch das Waldsterben großen Raum einnahm, wie auch dessen Medien-Rezeption.
Rückblickend erkennen auch hier die Medien kritisch, die Angstwellen allzu oft eher befeuert zu haben, anstatt die Debatte mit Fakten versachlichen.
Medienkarriere
Aus einer mehr oder weniger bestehenden Latenz oder auch urplötzlich (Z. B. Tschernobyl 1986 oder 9/11 2001) erreichen Themen diese öffentliche Wirksamkeit, gehen aber meistens wieder in eine Normalisierungsphase über und werden überlagert durch neue Herausforderungen (Corona-Krise löst Klima-Krise ab 2020). Manche Themen kehren nach Latenz, Fokussierung und Normalisierungsphase regelmäßig in veränderter Form wieder oder werden vergleichbar oder abweichend von den vorgestellten Modellen fast deckungsgleich (Reaktor-Unfall Fukushima 2011) wieder aktuell, so wie jetzt die Diskussion zum Waldsterben 2.0.
Zweimal Sterben in 40 Jahren: Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Bei der Betrachtung einzelner Diskursstränge der Waldsterben-Debatten der 1980er Jahre und ab 2019 fallen einige wesentliche Unterschiede und Entwicklungen auf, wie die folgende Tabelle 1 zeigt. Die Thematik ist beide Male stark in den Fachkreisen präsent, wird jedoch hinsichtlich der medialen Aufbereitung unterschiedlich beurteilt, so dass auch die zweite öffentliche Diskurswelle eher extern angestoßen wurde. So differenzieren sich Ansichten zu Ausmaß, Ursachen und Lösungen inzwischen wesentlich stärker in einer weiter aufgeheizten Öffentlichkeit mit unübersichtlicherer Medienlandschaft und weiter zunehmenden urbanem Diskurs. Bedenklich für die Branche ist, dass Forstwirtschaft und Forstleute weniger als Teil der Lösung wahrgenommen werden, sondern vielfach medial und gesellschaftlich als eine Ursache des Problems. Dennoch hielten sich ausgeprägte Katastrophenszenarien im Vergleich zu den 1980er Jahren zunächst noch in Grenzen, obwohl Waldschäden heute auch überregional sichtbarer sind. Sie werden aber vielfach vom globaleren Umweltthema Klimawandel überlagert und dabei thematisch einbezogen. Das macht auch politisches Handeln noch komplexer, da eine lokale Emissionsreduktion heutzutage nicht mehr ausreicht, um das Schadgeschehen positiv zu beeinflussen.
Es gibt eine Kommunikationsaufgabe
Die Debatten um das Waldsterben erfordern von forstlichen Akteuren eine Krisenkommunikation, wenn es sich hierbei auch mehr um eine chronische Krisensituation im Gegensatz zu akuten Krisen wie plötzlichen Naturkatastrophen oder Unglücksfällen handelt. In der Phase der öffentlichen Bedeutung und Wahrnehmung einer Krise sinkt nach dem Modell des “Issue-Attention-Cycle” mit fortschreitender Zeit der Handlungsspielraum und steigt neben der objektiven Gefahr für die Ressource Wald auch die subjektive Gefahr eines Imageschadens für die betroffenen und verantwortlichen Akteure.
Diese Aufgabe zieht sich damit durch alle Ebenen forstlicher Akteure, denn zum populären Thema Wald sind letztlich alle Forstleute und Waldbesitzer "Unternehmenssprecher".
Empfehlungen für die Forstbranche
Einen harten Vorwurf konnten Forstleute am 4. August 2019 in der Süddeutschen Zeitung online lesen: "Waldsterben: Generationen von Förstern haben Fehler gemacht." Glücklicherweise wurde im Vorspann (Lead) relativiert, "[…] Inzwischen haben die meisten Förster umgedacht und arbeiten an mehr Vielfalt im Wald." Die Branche gerät damit in die unbequeme Rolle des Mitverursachers.
Forstwirtschaft und -wissenschaft sind auch hier vielfach reaktiv bzw. defensiv. Lösungen werden, befeuert von sozialen Medien, beim Kampf um Aufmerksamkeit und Deutungshoheiten von Branchenfremden angeboten. An diesen heutigen medialen Gallionsfiguren zeigt sich, wie fängisch Medien und Öffentlichkeit nach wie vor für Umweltfragen und damit Wald-Themen sind. Die Forstbranche stellt sich dabei auch zwiegespalten dar, zwischen Katastrophenberichterstattung und öffentlichem wissenschaftlichen und populistischen Schlagabtausch oder Beschwichtigung.
Forstliche Akteure sollten zudem unbedingt vermeiden, einen „Waldnotstand“ auszurufen. Das erinnert an Notstandsgesetze in den 1960er Jahren oder bereits in der Weimarer Republik als demokratische Rechte mit Notverordnungen ausgehebelt wurden. Die Stadt Berlin verwendet vielleicht auch deshalb den treffsichereren Begriff "Klimanotlage". Dennoch gibt es zunächst häufig nur forstwirtschaftlich angebotene politische Lösungen (trotz des Namens "Waldgipfel") und die Forstwirtschaft ist damit noch nicht ausreichend in die Rolle der Retter des Waldes geschlüpft. Der Wald und damit auch die Forstwirtschaft wird von unterschiedlichen gesellschaftlichen Milieus vertreten und wahrgenommen, die sich in Kerneinstellungen vielfach wesentlich unterscheiden. Dies sind einerseits nachhaltige, wenn auch eigentums- und wirtschaftsorientierte und oft wertkonservative Eigentümer und Bewirtschafter sowie staatliche Verwalter und Behörden mit starker Verankerung im Ländlichen Raum. Andererseits gesellschaftskritische, alternativ individualisierte und urbane Naturschutzaktivisten. Beide Seiten müssten aus ihrer "Milieu-Verengung" heraustreten. Ob sich der Begriff "Forst" in der postmateriellen Erlebnis- und Erregungsgesellschaft möglicherweise überholt hat, soll an dieser Stelle als Frage aufgeworfen werden. Möglicherweise muss an dessen Stelle ein neues Framing mit dem allseits positiv besetzen Begriff "Wald" treten. Die Antworten müssen kommende Diskussionen finden. Bereits im Jahr 2005 wurde für den Landesbetrieb Forst Brandenburg (LFB) dieser Prozess langsam angestoßen, in dem der claim „"Waldwirtschaft-aber-natürlich" vom Autor dieses Beitrages vorgeschlagen und etabliert wurde. Damit sollte auch das Selbstverständnis des LFB zum Ausdruck gebracht werden, Partner für den Wald-über die Forstwirtschaft hinaus-zu sein.
… im Telegrammstil
- Das "Waldsterben" ist Teil eines Issues, also einer öffentlichen Streitfrage. Es ist ein Issue-Management erforderlich
- Aktives Agenda-Setting durch die Forstbranche
- Sensibler Umgang mit Begrifflichkeiten (Framing, Wording) "Papierwald", "Kartonwald", "Waldsterben", "Wald-Katastrophe"
- Optimierung der Wissenschaftskommunikation
- Fingerspitzengefühl bei der Beteiligung der Wissenschaft am politischen Diskurs
- Intensiver fachlicher und persönlicher Austausch ("Kollektive Wirksamkeit")
- Davor hüten, einen Waldnotstand auszurufen
- Alternativen zu nur forstwirtschaftlich angebotenen politischen Lösungen aufzeigen
- Forstwirtschaft muss fachlich, gesellschaftlich, medial und politisch die Rolle der Retter übernehmen
- Klischees und Stereotype verantwortungsvoll für Story-Telling nutzen und ggf. eigene, neue Frames setzen