Köhlerei als immaterielles Weltkulturerbe

In vielen Waldgebieten sind Spuren erhalten geblieben, die zeigen hier wurde einst Köhlerei betreiben. Die Verkohlung von Holz steht in enger Verbindung mit der Erzverhüttung und der Eisenverarbeitung und gilt als eine der ältesten Handwerkstechniken der Menschheit. Im Jahr 2014 wurde sie von der UNESCO in das immaterielle Weltkulturerbe aufgenommen. Sehr häufig wird die Köhlerei jedoch auch mit Übernutzung von Waldbeständen und Waldverwüstung in Verbindung gebracht. Wissenschaftler der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt (NW-FVA) und der Nationalparkverwaltung Kellerwald-Edersee haben untersucht, ob sich dieser Zusammenhang für zwei große hessische Waldgebiete bestätigen lässt. 

Rückschlüsse auf historische Waldzustände

Im 20.600 ha großen Reinhardswald und auf 5.700 ha im Nationalpark Kellerwald-Edersee sind viele Zeugnisse der Köhlerei zu finden – von der schriftlichen Überlieferung über Forstortsnamen bis hin zu den zahlreichen Meilerplatten im Wald (Abb. 2). Nachdem Eisenprodukte zunächst in kleinen, dezentralen Schmelzöfen und Schmieden hergestellt worden waren, wurden ab der Mitte des 16. Jahrhunderts in landesherrlicher Regie stehende größere Eisenhütten und -hämmer etabliert, die Hauptabnehmer der Holzkohle waren. Wie aus Rechnungen und anderen Schriftquellen deutlich wird, wurde zu dieser Zeit die benötigte Holzkohle zentral in Gruben erzeugt. Seit dem 17. Jahrhundert nutzten die Köhler in den untersuchten Waldgebieten temporäre Meilerplätze, die dezentral in den für die Köhlerei nutzbaren Waldbeständen lagen. Die heute in den untersuchten hessischen Waldgebieten erkennbaren Meilerplatten dürften überwiegend zwischen der Mitte des 17. (Ende des  Dreißigjährigen Krieges) und dem Ende des 19. Jahrhunderts (Verlagerung der Eisenindustrie) entstanden sein. 

Neue Möglichkeiten für die Kartierung

Um die beiden Waldgebiete Reinhards­wald und Nationalpark Kellerwald-Edersee flächendeckend zu kartieren, wurden moderne Methoden genutzt. Aus Laserscanaufnahmen abgeleitete, hoch­aufgelöste digitale Geländemodelle (DGM) eröffnen neue Möglichkeiten für die Kartierung archäologischer Spuren. Meilerplatten zeichnen sich in der Regel sehr gut ab und lassen sich gegenüber einer Geländekartierung mit deutlich geringerem Zeitaufwand und höherer Genauigkeit erfassen (Abb. 2). Die gefundenen Verteilungsmuster wurden im Hinblick auf Geländemerkmale wie Hangneigung, Höhenlage, Nährstoff- und Wasserversorgung analysiert und mit der aktuellen Baumartenzusammensetzung in Beziehung gesetzt. Dabei stand die Frage im Vordergrund, welche Rückschlüsse sich aus den gefundenen Verteilungsmustern für den historischen und aktuellen Waldzustand ziehen lassen.

Mehrere Tausend Meilerplatten

Im Reinhardswald wurden insgesamt 2.626 Meilerplatten (MP) kartiert. Das entspricht einer Dichte von 13 MP/km² (vgl. Abb. 4). Im Nationalpark Kellerwald-Edersee wurden insgesamt 1.308 Meilerplatten nachgewiesen. Mit 23 MP/km² ist hier die Dichte deutlich höher (Abb. 5). Im Reinhardswald liegt die Schwankungsbreite zwischen 0 und 60, im Nationalpark zwischen 0 und 52 MP/km². Die in den beiden Waldgebieten festgestellten Meilerplattendichten passen gut zu den in anderen Regionen ermittelten Werten. So wurden in Teilgebieten des Harzes zwischen 5 und 30 MP/km² gefunden und für den gesamten Harz auf 13 bis 20 MP/km² hochgerechnet. Im Schwarzwald fand man 13 MP/km² bei einer Schwankungsbreite von 0 bis > 100 MP/km². Somit ist der für den Nationalpark Kellerwald-Edersee ermittelte Wert vergleichsweise hoch, während die Meilerplattendichte im Reinhardswald bei einer größeren Schwankungsbreite im Mittelfeld liegt. Die räumliche Verteilung der Platten ist jeweils ungleichmäßig. Im Reinhardswald befindet sich der Häufungsschwerpunkt in der Osthälfte des Gebietes und hier im mittleren und nördlichen Teil. Demgegenüber gibt es insbesondere im westlichen Reinhardswald große Bereiche ganz ohne Meilerplattenfunde. Im Nationalpark ist die Verteilung insgesamt gleichmäßiger, doch nimmt die Meilerplattendichte von Nordwest nach Südost etwas zu. Nur kleinere Bereiche sind weitgehend fundfrei (Abb. 4 und 5).

Buchenholz bevorzugt

Ein Vergleich der Ausprägung von Geländemerkmalen im Bereich der Meilerplatten mit der Gesamtheit der Geländemerkmale in den Untersuchungsgebieten lässt sich folgender­maßen zusammenfassen: 

In beiden Wäldern liegt der Schwerpunkt der Meilerplattenverteilung auf im weiteren Sinne frischen Standorten mit mittlerer Nährstoff­ausstattung. Die mit Abstand wichtigste Baumart an den Meilerplattenstandorten ist in beiden Waldgebieten heute die Buche. Sie ist an etwa drei Viertel der kartierten Meilerplätze zu finden. Die Böden im Bereich der Meilerplatten sind überwiegend den Braunerde-Komplexen zuzurechnen. Während sie im Reinhardswald häufig unter 300 m ü. NN angelegt wurden, sind diese im Nationalpark besonders in Höhenlagen über 500 m ü. NN zu finden. Im Hinblick auf die Hangneigung ist erkennbar, dass im Reinhardswald steilere Hangbereiche mit mehr als 20° Neigung deutlich, im Nationalpark Kellerwald-Edersee leicht überrepräsentiert sind. Die überwiegend auf Braunerden ausgeprägten frischen Standorte mit mittlerer Nährstoffversorgung, auf denen in beiden untersuchten Waldgebieten die Meilerplatten konzentriert sind, bieten ideale Wuchsbedingungen für die Buche. Es ist in den meisten Fällen davon auszugehen, dass dort auch zum Zeitpunkt der Anlage von Meilerplatten die Buche dominierte. Diese Annahme wird durch alte Forsteinrichtungskarten und -daten gestützt. In beiden untersuchten Waldgebieten erreichte Nadelholz erst ab etwa 1830 nennenswerte Anteile und wurde verstärkt auf stark verlichteten Flächen eingebracht. Für die Köhlerei in den untersuchten Waldgebieten hat Nadelholz daher wahrscheinlich keine Rolle gespielt. 

Somit ist erkennbar, dass sowohl im Reinhardswald als auch im Nationalpark Kellerwald-Edersee die Buche bevorzugt für die Holzkohlegewinnung eingesetzt wurde. Für beide Untersuchungsgebiete lässt sich dies auch durch die historische Überlieferung bestätigen. Diese offenkundige Bevorzugung der Buche steht in Übereinstimmung mit holzkohleanalytisch gewonnenen Ergebnissen aus dem niedersächsischen Solling in unmittelbarer Nachbarschaft des Reinhardswaldes. Dagegen wurde beispielsweise im Harz vor allem Fichte verkohlt.

Walderschließung war entscheidend

Ausgedehnte Buchenwaldbestände befinden sich heute im Reinhardswald an den Hängen zum Wesertal. Der Nationalpark Kellerwald-Edersee wurde aufgrund seiner großflächig ausgebildeten Buchenwälder ausgewiesen. In beiden Waldgebieten haben Buchenwälder offenbar vor allem dort überdauert, wo aufgrund einer schlechten Erreichbarkeit und Walderschließung eine intensive Nutzung nicht möglich war. Dies betrifft im Reinhardswald vor allem die steilen Weserhänge und im heutigen Nationalpark die höheren und ortsfernen Lagen. Die Köhler konnten solche durch Wege schlecht erschlossenen Standorte gut nutzen, da sich die Holzkohle hier, anders als Holz, gut abtransportieren ließ. Verschiedene Archivalien und historische Beschreibungen unterstützen die Annahme, dass um 1800 die an den Weserhängen im Reinhardswald gelegenen Buchenbestände vorratsreicher waren als viele andere hessische Wälder. Für das Fürstentum Waldeck, zu dem große Teile des heutigen Nationalparks Kellerwald-Edersee gehörten, berichten Zeitzeugen darüber, dass in den hoch gelegenen, wenig zugänglichen Forsten noch zum Anfang des 19. Jahrhunderts ein sehr bedeutender Holzvorrat vorhanden gewesen sei, der größtenteils nur als Kohlholz verwendet werden konnte. 

Gut erreichbare Waldflächen in beiden untersuchten Waldgebieten hingegen waren im 18. Jahrhundert in der Regel durch intensivere Holznutzung und Waldweide deutlich vorratsärmer. Oft waren sie durch Eiche und/oder Hainbuche geprägt bzw. wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts zu Nadelholzbeständen umgebaut. So werden die relativ ortsnah gelegenen, gut erschlossenen Waldbestände im äußersten Süden des heutigen Nationalparks Kellerwald-Edersee sogar noch um 1900 als vorratsarm beschrieben. Die hier ehemals vorherrschenden Laubholzbestände waren in starkem Maße zur Gewinnung von Waldstreu genutzt worden. Meilerplatten sind dementsprechend in diesem heute von Nadelholz dominierten Bereich nur vereinzelt angelegt worden. 

Schlussfolgerungen

Die Analyse der Verteilung von Meilerplatten in zwei großen hessischen Waldgebieten legt eine differenzierte Beurteilung des Waldzustandes im 17. bis 19. Jahrhundert nahe. In Abhängigkeit vom lokalen Nutzungsdruck und von den standörtlichen Gegebenheiten muss es zu dieser Zeit neben vorratsarmen auch größere vorratsreiche Laubwaldbestände gegeben haben. Hierbei handelte es sich offenbar vor allem um Buchenwälder auf wenig erschlossenen Standorten. Es ist davon auszugehen, dass eine heute feststellbare hohe Meilerplattendichte solche Waldstandorte anzeigt. Für die Landesherren in den verschiedenen hessischen Territorien lag es nahe, diese hohen Buchenholzvorräte durch die Gründung von Eisenhütten und -hämmern zu nutzen.

Zugleich ist festzuhalten, dass sich die weit verbreiteten Pauschalurteile über Waldverwüstung oder gar -vernichtung im 18. Jahrhundert vor dem Hintergrund der aktuellen Kartierungsergebnisse für das nördliche Hessen nicht aufrechterhalten lassen. Einen in zeitgenössischen Quellen beklagten allgemeinen Holzmangel kann es hier nicht gegeben haben. Schon im 19. Jahrhundert war eine generelle Holznot von Forstleuten infrage gestellt  und später auch von Historikern auf der Grundlage hessischer Archivalien widerlegt worden.