Durch die Auswertung von Laserscandaten der Landesvermessung sind in den vergangenen Jahren immer mehr Relikte ur- und frühgeschichtlicher Feldsysteme in heutigen Waldgebieten Mecklenburg-Vorpommerns entdeckt worden. Im Treptower Stadtforst handelt es sich dabei um sogenannte "Celtic-fields" (siehe Exkurs-Box). Diese Relikte historischer Ackerbausysteme wurden kürzlich durch ein Forscherteam im Hinblick auf die Art und den Zeitraum ihrer früheren Nutzung erforscht. Nachweise für eine menschliche Landnutzung sind datierbare Materialien wie Keramikscherben oder Holzkohlestücke. Im Gegensatz zu landwirtschaftlichen Flächen sind im Wald diese Spuren menschlicher Tätigkeit oft noch in einem zusammenhängenden Fundkomplex nachweisbar. Unter der Federführung von Professor Dr. Stöckmann von der Hochschule Neubrandenburg wurden bereits Celtic-fields im Nationalpark Jasmund auf Rügen, im Brudersdorfer Wald bei Dargun sowie im Golchener Wald bei Klempenow untersucht.
Nun ist auch der Stadtforst der Kleinstadt Altentreptow im nordöstlichen Teil der Mecklenburgischen Seenplatte in das Visier der Forschenden gerückt. In enger Zusammenarbeit mit der Stadt und dem Forstamt Stavenhagen konnten für einige erfolgversprechende Punkte im Stadtwald forst- und eigentumsrechtliche Bedenken sowie naturschutzrechtliche Restriktionen ausgeschlossen und somit die Forschung zur Natur- und Kulturgeschichte ermöglicht werden. Im Gebiet wurden im Juli 2022 und Mai 2023 im Rahmen des Projektes Bodenuntersuchungen durchgeführt. Projektbeteiligte sind neben der Hochschule Neubrandenburg die Landesarchäologie M-V, der Geologische Dienst des Landesamtes für Umwelt, Naturschutz und Geologie M-V (LUNG) sowie die Standortserkundung der Landesforstanstalt M-V. Studierende des Bachelorstudienganges Naturschutz und Landnutzungsplanung der Hochschule Neubrandenburg unterstützten die Forschungsarbeiten im Rahmen ihrer Sommerexkursion und konnten Gelerntes praktisch anwenden.
Erste Untersuchung im Treptower Stadtforst
Während der zehntägigen Untersuchung im Juli 2022 wurden zwei Bodeneinschläge nach einem Verfahren angelegt, welches bodenkundliche und archäologische Methoden miteinander kombiniert. Das bodenkundliche Standardverfahren allein genügt nicht, um kulturhistorische Archivböden zu erkennen und zu erfassen. Die Grabungen im Stadtwald wurden durch Stöckmann und eine Gruppe Studierender gemeinsam mit Dr. Michael Schirren von der Landesarchäologie durchgeführt. Zusätzlich zu den Bodeneinschlägen wurden mit Kleinsondagen an weiteren Standorten, deren genaue Lage mit dem damals zuständigen Förster Burghardt Schülke festgelegt wurden, Bodenproben entnommen. Dazu wurden einige ausgeprägte Ackerterrassen und Ackerkanten ausgewählt, an denen erfahrungsgemäß die höchste Wahrscheinlichkeit besteht auf auswertbares Fundmaterial zu stoßen. Im Unterschied zu den gängigen bodenkundlichen Verfahren wurden die Bodeneinschläge schrittweise in 5 cm-Schichten abgetragen, das getrennt ausgehobene Bodenmaterial noch vor Ort grob gesiebt und die Siebrückstände zur späteren Waschung und Durchsicht im Labor in Tüten gefüllt. Aus jeder Schicht wurde außerdem eine Bodenprobe zur späteren Untersuchung u. a. nach Korngrößen, Phosphatgehalt und Phytolithen – das sind aus Kieselsäure bestehende botanische Relikte des früheren Pflanzenbewuchses – entnommen. Abschließend wurde jeder Bodeneinschlag von den Bodenkundlern Frank Idler und Mario Hauschild vom Geologischen Dienst nach dem bodenkundlichen Standardverfahren dokumentiert und die Gruben wieder mit dem Aushub verfüllt.
Das Bodenmaterial dieser ersten Untersuchung erbrachte nur spärliche Funde, weshalb alternative Standorte für eine zweite Untersuchung diskutiert wurden. Darunter auch eine Parzelle, die anfangs wegen ihrer starken Hangneigung aussortiert worden war (in der Stubnitz hatten solche Standorte kaum Funde erbracht, vermutlich aufgrund der nach Nutzungsende einsetzenden natürlichen Erosion). Bei der Begehung entdeckte Stöckmanns Begleiterin, Wibke Martin, eine Scherbe, die aus dem Wurzelteller eines umgefallenen Baumes herausragte. Dieser lag am Steilhang des Mühlenbachtals genau auf der Kante einer größeren Parzelle des Feldsystems. Die Kante schien sehr gut erhalten und kaum erodiert zu sein, ein guter Untersuchungsort. Bei genauerer Durchsicht des Wurzeltellers fanden sich größere Holzkohlestücke und weitere Keramikscherben, die sich anhand ihrer Muster in die mittel- bis spätslawische Zeit datieren ließen. Die C14-Datierung eines der Holzkohlestücke ergab das Jahr 1160 (± 30) unserer Zeitrechnung (u. Z.) und passte somit gut zur zeitlichen Einordnung der Scherben. Für ein Celtic-field war diese Entdeckung ein Novum. In Schleswig-Holstein und Dänemark datieren sie meist in die Bronze- oder Eisenzeit, also mindestens eine Geschichtsepoche früher.
Weitere Untersuchungen
Abb. 4: Das Beispiel des Bodeneinschlags 2023 b verdeutlicht, dass Archivbodenstandorte wie dieser bis zu 6.000 Jahre kleinräumige Kulturgeschichte komprimiert beinhalten. Sie stellen somit einen Band in der “Kulturbibliothek des Waldes” dar und sind daher als besonders wertvolle Primärquelle für zukünftige Forschergenerationen zu erhalten. Quelle: Maik Stöckmann
Der von Funden gespickte, neu entdeckte Untersuchungsort gab den Anlass für eine zweite mehrtägige Bodenuntersuchung im Mai 2023. Auch hier arbeitete Stöckmann im engen Austausch mit der Stadt und dem Forstamt. Eigentumsrechtliche, naturschutzrechtliche und forstliche Restriktionen konnten ausgeschlossen und die Probenpunkte vorher mit dem zuständigen Förster Jan Almer festgelegt werden. Diesmal wurden drei Bodeneinschläge angelegt: zwei in der bereits auffällig gewordenen Parzelle am Mühlenbach und einer östlicher an einem weiteren Terrassenrand. Terrassen haben sich in Hanglagen aufgrund des Heckenbewuchses der ursprünglichen Feldränder nach und nach ausgebildet. In diesen “Sedimentfallen” ist erodiertes Bodenmaterial zusammen mit Kultur- und Umweltzeigern wie Mikroartefakten und Holzkohlestückchen in chronologischer Abfolge eingeschichtet, wenn es nicht nachträglich – etwa durch den Forstpflug – gestört wurde. Die bodenkundliche Aufnahme der Bodeneinschläge wurde diesmal durch die Standortserkunder Gerd Klötzer und Dietmar Frömdling der Landesforstanstalt M-V und den Diplom-Geologen Mischel Eismann von der Hochschule Neubrandenburg durchgeführt. Die Landesarchäologie war erneut durch Dr. Michael Schirren vertreten. Wie im vorherigen Jahr wurde das Team durch Studierende aus dem Bachelorstudiengang Naturschutz und Landnutzungsplanung der Hochschule Neubrandenburg im Rahmen ihres Sommerexkursionsseminars tatkräftig unterstützt.
Der Bodeneinschlag im Osten (Profil 2023 b, siehe Abb. 3 und Abb. 4) entsprach dem erwarteten Erscheinungsbild eines Ackerterrassenrandes und lieferte das für Celtic-fields übliche Fundmaterial: hauptsächlich Scherben der bronze- und eisenzeitlichen Rauhwandkeramik. Diese passten zu einem in der Untersuchung von Juli 2022 gefundenen Holzkohlestück, bei dem die C14-Datierung das Jahr 132 (±30) u. Z. ergab. Überraschend war, dass die unteren Bodenschichten Holzkohle aus der Jungsteinzeit enthielten (C14-Datierung auf ca. 4200 v. u. Z.). Möglicherweise ist das Feldsystem im Treptower Stadtforst also schon vor 6.000 Jahren entstanden. Die zwei Bodeneinschläge am Mühlbachtal enthielten neben größeren mittel- bis spätslawischen Scherben eine ungewöhnlich hohe Anzahl Holzkohlestücke. Als sich herausstellte, dass es sich bei dieser Parzelle nicht um einen Acker, sondern um eine Dorfstelle, also um einen klassischen archäologischen Befund handelte, wurde die Untersuchung abgebrochen, um eine spätere archäologische Untersuchung nicht zu beeinträchtigen. Eine Grube stellte sich als ehemalige Feuerstelle heraus, die andere lag vermutlich im Bereich einer abgebrannten Palisade, die dem Schutz der Siedlung diente.
Im Ergebnis verfestigt sich der Eindruck, dass die slawische Siedlung am Mühlbachtal in ein viel älteres vorgeschichtliches Feldsystem eingebettet ist. Zwischenzeitlich liegen auch von anderen Celtic-fields in M-V C14-Datierungen vor, die von der Bronze- über die Eisen- bis in die Slawenzeit reichen. Die betreffenden Feldsysteme scheinen daher durchgehend genutzt worden zu sein. Dies steht im Widerspruch zur derzeit geltenden geschichtlichen Annahme einer weitgehenden Siedlungsleere zum Ende der Völkerwanderungszeit. Die alternative These besteht in einer Neuanlage der Celtic-fields in der Slawenzeit, bei der die vorherigen Feldeinteilungen beseitigt worden wären. Hiergegen spricht, dass die bronzezeitlichen Hügelgräber in Feldsystemen oftmals wohl platziert wirken, also entweder an Parzellenecken liegen oder eng beieinander in separaten “Friedhofsparzellen” angeordnet sind. Außerdem wurden nach neuesten Forschungen bei slawischen Neugründungen wohl eher Langstreifenfluren angelegt, also eine ganz andere Flurform verwendet. Diese Forschungsfrage kann nur durch weitere Untersuchungen beantwortet werden, die spannende Ergebnisse versprechen. Mithin zeigen die bisherigen Resultate, dass auch im heutigen Nordostdeutschland ur- und frühgeschichtliche Äcker – wohl insbesondere durch konsequenten Humusaufbau – über Jahrhunderte hinweg nachhaltig genutzt wurden und nicht schon nach wenigen Jahrzehnten aufgegeben werden mussten, wie lange Zeit angenommen wurde.
Rechtslage und Bedeutung der Untersuchungen
Celtic-fields stellen – zusammen mit ihren begleitenden oberirdischen Landschaftselementen sowie ihren Archivbodenstandorten – einzigartige Primärquellen der Umwelt-, Klima- und Kulturgeschichte dar. Mecklenburg-Vorpommern trägt mit etwa 250 reliktisch erhaltenen urgeschichtlichen Feldsystemen im Wald eine besondere Verantwortung für den Erhalt dieser “Bibliothek”. Gemäß § 11 Abs. 2 des Bundeswaldgesetzes soll die Funktion des Waldes als Archiv der Natur- und Kulturgeschichte bei der Bewirtschaftung angemessen berücksichtigt werden. Auch gemäß jeweiliger Fachgesetze sollen die Schutzgüter Boden, Landschaft und Denkmäler als Zeugnisquellen, Forschungsobjekte sowie auch zu umweltpädagogischen Zwecken für zukünftige Generationen erhalten werden. Die Realität sieht bisher allerdings so aus, dass diese Kulturrelikte und -archive weitgehend unkontrolliert beeinträchtigt werden oder ganz verloren gehen, weil sie den wenigsten Waldbesitzenden bekannt sind. Hinzu kommt, dass es – bis auf wenige Ausnahmen – bislang weder eine Bestandserfassung von Flurwüstungen noch ein Konzept für die Ausweisung zugehörender kulturhistorischer Archivböden in Mecklenburg-Vorpommern gibt. Da jedes Archivobjekt und Bodendenkmal in seiner Ausprägung einmalig ist, gehen diese durch Bodeneingriffe und -veränderungen in den meisten Fällen unwiederbringlich verloren. Da kein Archivobjekt in seiner Einmaligkeit am Eingriffsort oder anderen Standorten im ursprünglichen Zustand wiederherstellbar ist, stehen keine Kompensationsmaßnahmen zur Verfügung. Demzufolge sollte der Berücksichtigung der Archivböden im Wald im Rahmen der Landschafts- und Forstplanung zukünftig ein höherer Stellenwert beigemessen werden, um möglichst viele der noch verbliebenen Quellen der Umwelt- und Kulturgeschichte unseres Landes für zukünftige Generationen zu erhalten.
Resümee
Dass Boden nicht nur der oberste Teil der Erdkruste ist, auf der wir stehen, Häuser bauen und Felder bestellen, ist heutzutage zum Glück bei den meisten Köpfen angekommen. Boden ist essentiell für die Bildung und Speicherung von sauberem Trinkwasser, für das Wachstum gesunder Lebensmittel und als vielfältiger Lebensraum und Lebensquell für sämtliche Lebewesen. Er filtert Verunreinigungen, beeinflusst das Klima, bedeckt Bodenschätze und er archiviert Kulturgeschichte.
Es gibt Menschen, die können die Landschaft und den Boden lesen wie ein Buch. Manche haben nur “so ein Gefühl”, weil ihnen neben den auffälligen Hügelgräbern und gut erkennbaren Wölbäckern im Wald auch kleine gerade Gräben, Geländekanten und regelmäßige Steinanordnungen als wahrscheinlich menschengemachte Relikte auffallen, für die sie jedoch keine wirkliche Erklärung haben. Ein schweifender Blick und plötzlich werden eine Waldkante oder der Verlauf einer Baumreihe zu Kulturlandschaftselementen, die eine ganze Menge über die Verflechtungen zwischen Menschen, der Natur und der Geschichte preisgeben. Goethe formulierte treffend “Man sieht nur, was man weiß.“. Stöckmann ergänzt es gern um ein ”... und man kann nur schützen, was man (er)kennt.“.