Beim Projekt "Akzeptanzanalyse über Ziele und Maßnahmen des Rotwildmanagements im Bayerischen Wald" zeigte sich eines recht deutlich: Ob Jäger oder Waldbesitzer, die Bayerwäldler teilen sich beim Thema "Rotwild" in zwei Lager. Während die einen auf bestehende Verhältnisse beharren,träumen die anderen vom "wandernden Hirsch".
Veränderte Umweltbedingungen erfordern neue Strategien
Bereits im Jahre 1968 wurde das "Rotwildgebiet Bayerischer Wald" per Rechtsverordnung ausgewiesen. Alle anderen Reviere wurden damals zur "rotwildfreien Zone" erklärt. In diesem Gebieten wird Rotwild nach derzeitiger Gesetzeslage nicht geduldet und muss im Rahmen der Jagdzeiten erlegt werden. Um Probleme mit der Land- und Forstwirtschaft vor allem in der vegetationsarmen Zeit zu vermeiden, wird ein Großteil des Rotwildes in sieben Gattern überwintert und wird dort auch gefüttert.
Allerdings hat sich in den letzten zehn Jahren die Lebenssituation des Rotwildes im Bayerischen Wald grundlegend verändert. Seit der Grenzzaun zwischen Deutschland und Tschechien nicht mehr existiert, wandern die Tiere zwischen Bayer- und Böhmerwald ungehindert hin und her. Infolge der Borkenkäfer-Massenvermehrung sind die Altbestände im Nationalpark teilweise abgestorben und zusammengebrochen. Auch davon profitiert das Rotwild, denn die Äsungs- und Deckungsverhältnisse haben sich deutlich verbessert. Und seit die Winter immer milder werden, können die Tiere sogar in den Hochlagen überwintern.
Die für das Wild durchaus positive Entwicklung, stellt vor allem die Landnutzer vor Probleme, die jeder für sich allein nicht lösen kann. Die Zeit ist damit reif für die Erarbeitung eines umfassenden Rotwildmanagements. Womöglich ließe sich auf diesem Wege noch ein bizarrer "Glaubenskrieg" aus der Welt schaffen, der die Gemüter von Jägern, Waldbauern sowie Natur- und Tierschützern in der Region seit Jahren erregt. Während die einen Wintergatter als Königsweg zur Verhinderung von Schäden auf land- und forstwirtschaftlichen Flächen bejubeln, verteufeln die anderen die Gatter als eine Form der "Haustierhaltung", die das "Wildtier Hirsch" der Natur entfremdet.
Fragebogen zum Reizthema Rotwild
In dem Projekt "Akzeptanzanalyse über Ziele und Maßnahmen des Rotwildmanagements im Bayerischen Wald" trug die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) im Zeitraum November 2003 bis Januar 2004 Vorstellungen, Kritik und Lösungsvorschlage aller Beteiligten – Waldbauern, Jäger, Förster, Natur-/Tierschützer, Bevölkerung, Tourismusbranche – zusammen. In der sozial-empirischen Studie wurden zunächst 60 zufällig ausgewählte Personen aus den genannten Interessengruppen in einem persönlichen Gespräch anhand eines standardisierten Gesprächsleitfadens zu dem Thema ausführlich befragt (Gesprächsdauer zwei bis vier Stunden). Basierend auf den Antworten der Befragten entstand ein neuer Fragebogen, der an 480 Personen aus dem Untersuchungsgebiet (Abb. 1) verschickt wurde. Der Rücklauf von mehr als 55 Prozent bei allen Interessensgruppen ist ein deutliches Indiz für das Interesse am Thema. Die Auswertung steht damit auf einem soliden Fundament.
Bei der Befragung der einzelnen Akteure findet man zwei grundsätzlich unterschiedliche Einstellungen zum Rotwild. "Sicher gibt es Unterformen", resümiert Projektleiter Hans-Ulrich Sinner, "aber die Grundmuster sind klar." Trotz gegensätzlicher Ansichten ist aber eine große Gemeinsamkeit festzustellen: Für alle Befragten ist das Rotwild eine faszinierende Wildart, die in der Region ihre Lebensberechtigung hat.
Typ 1: "Es bleibt, wie’s is"
In der Regel ist Typ 1 mit der derzeitigen Gebietsabgrenzung und Gesetzeslage zufrieden, kann sich aber auch eine Verkleinerung des Rotwildgebietes vorstellen. Im Extremfall fordert er, das Rotwildvorkommen auf Flächen des Freistaates Bayern (Nationalpark, Staatsforst) zu beschränken. Die Wintergatter hält er für die einzige Möglichkeit, Schäden auf land- und forstwirtschaftlichen Flächen wirkungsvoll zu verhindern. Änderungen bei der Bejagung (z. B. Jagdzeitverkürzung) steht er ablehnend gegenüber.
Typ 2: "Freiheit für den Hirsch"
Typ 2 kann sich im Gegensatz zu Typ 1 mit der "Vision des frei wandernden Hirschen" durchaus anfreunden. Deshalb fordert er, dass auch außerhalb des Rotwildgebiets kontrolliert bejagt und gehegt wird. Auch ist er bereit, die Praktiken der Hege und Bejagung kritisch zu überdenken und steht neuen Erkenntnissen der Wildbiologie aufgeschlossen gegenüber.
Obwohl er davon überzeugt ist, dass die Wintergatter Schäden verhindern, plädiert er für deren Auflösung. Er möchte dem Rotwild wieder die Chance geben, sich den Winterlebensraum selbst zu suchen. Besonders die Wintergatter im Nationalpark sind ihm ein Dorn im Auge, da sie seiner Meinung nach einen Widerspruch zum Nationalparkgedanken "Natur Natur sein lassen" darstellen.
Ein Reizthema nur für Grundbesitzer und Jäger.
Besonders schwierig gestaltete sich die Befragung von Einheimischen (keine Jäger oder Grundeigentümer) und den zahlreich anzutreffenden Bayerwald-Urlaubern. Es zeigte sich, dass die seit Jahrzehnten geführte und von Interessengruppen regelmäßig angeheizte Nationalpark-Debatte das Denken der Menschen nahezu vollständig überlagert. Gespräche zum Thema Rotwild waren kaum möglich. Nach wenigen Minuten endeten sie in einer Endlos-Diskussion über das Für und Wider des Nationalparks und setzen die Geduld der Befragenden zuweilen auf eine harte Probe. Touristen sprachen wir im Freiwildgehege des Nationalparks, in dem auch ein Rotwildrudel präsentiert wird, an. Ernüchternde Erkenntnis: Kaum jemand kann ein Reh von einem Rothirsch unterscheiden und wenn man, so die oft geäußerte Meinung, als Spaziergänger kein Stück Rotwild zu Gesicht bekommt, ist man selbst daran schuld. Nur ein Befragter von Hundert glaubt, die Jagd und nicht der lärmende Erholungssuchende würde das Wild so scheu machen.
Verschiedenste Interessen prägen die Meinungen zum Thema Rotwild
Abb. 2: Rothirsch im Hochschnee (Foto: H. J. Fünfstück, www.5erls-naturfotos.de).
Einige Themenfelder der Auswertung, wie z. B. die Bereitschaft, ein gemeinsames Bewirtschaftungskonzept zu entwickeln und umzusetzen, wurden hier nicht einbezogen. Unabhängig davon lassen sich einige Schlüsse ziehen.
- Die Angst vor möglichen Schäl- und Verbissschäden treibt die Waldbesitzer um und ist – Last der Vergangenheit – in den Köpfen fest verankert. Mit dem "Status quo" sind die Grundbesitzer weitgehend zufrieden, Veränderungen wollen nur wenige riskieren.
- Das Selbe gilt für die Jäger im Rotwildgebiet. Für die Mehrheit von ihnen ist es oberstes Ziel, die bestehenden Verhältnisse zu bewahren. Die Wanderung des Rotwilds ist ihrer Ansicht nach "eine Reise ohne Wiederkehr". Jagdneid lässt sich da wohl nicht ausschließen.
- Die Jäger außerhalb des derzeitigen Rotwildgebiets können sich mit dem wandernden Hirsch am ehesten anfreunden. Bei wohlwollender Bewertung lässt sich ein Gemisch der Motive ausmachen: Einerseits möchte man auch ganz gern mal einen Hirsch vor die Büchse bekommen, andererseits setzt man sich für die "berechtigten" Ansprüche des Rotwilds ein, größere Flächen zu besiedeln.
- Für die einheimische Bevölkerung und die Touristen ist die Rotwildfrage kein Reizthema. Interesse an dieser Wildart müsste erst mit Hilfe gezielter Aktionen geweckt werden. Erste Schritte in diese Richtung hat die Nationalparkverwaltung bereits unternommen (Führung in der Brunftzeit, Schaufütterung). Diese Aktivitäten könnten in Zusammenarbeit mit dem Tourismusverband Ostbayern ausgeweitet werden. Ohne intensive Werbung wird sich das Rotwild in absehbarer Zeit nicht zum Besuchermagneten á la "Hirsch-Watching" entwickeln.
Neue (Wander-)Wege beim Rotwild gehen...
Das Rotwild im Bayerischen Wald hat längst jede Wandertradition eingebüßt. Der vorgezeichnete Weg der Tiere führt direkt ins Wintergatter. Rotwild, das sich der Gatterhaltung zu entziehen versucht, wird intensiv bejagt. Es wäre einen Versuch wert, einige Tiere nicht im Wintergatter zu konzentrieren, sie zu telemetrieren und "ihrer Wege ziehen zu lassen". Die Jägerschaft sollte sich verpflichten, gekennzeichnete Tiere zu schonen.
Herauszufinden wäre: Wohin wandert das Rotwild? Gibt es einen spürbaren Schadenszuwachs? Auf der Basis dieser Erkenntnisse könnten die Karten dann neu gemischt werden.