Ein allein auf Abschusszahlen basierendes Rotwildmanagement kann die tatsächliche Entwicklung der Population nur näherungsweise und verzögert abbilden. Messungen der Rotwildpopulation anhand von Fotofallen sowie Parameter wie Lebensraumqualität und Schälanfälligkeit sind hier geeigneter, wurden aufgrund fehlender Daten bislang jedoch nur in geringem Maße im Rotwildmanagement berücksichtigt. Als fortlaufend erhobene Informationen können sie eine wichtige und objektive Entscheidungsgrundlage für gemeinsame Lösungen von Waldbesitzenden, Forstbewirtschaftenden, Jägerschaft, Rotwildhegegemeinschaften sowie weiteren Interessengruppen darstellen.
Wildschäden: Ursachen und Formen
Das Verbeißen junger Bäume durch Rehe sowie beim beim Rotwild das Schälen der Rinde sind bedeutende waldbauliche Themen. Ob Rotwild Schälschäden verursacht, hängt nicht nur von der Zahl der örtlich vorkommenden Tiere ab, sondern auch von der Nahrungsverfügbarkeit. Rotwild nutzt die Rinde von Bäumen vor allem dann, wenn es aufgrund der Waldstrukturen sowie der Jahreszeiten zu wenig andere Nahrung findet oder wegen menschlicher Aktivitäten nicht ungestört aufnehmen kann.
Rotwild bevorzugt grundsätzlich ungestörte Bereiche im Wald. Tagsüber meiden die Tiere wegnahe Bereiche und ziehen sich in Dickungen zurück. Im Altersklassenwald ist meist nur wenig bodennahe Nahrung für das Rotwild vorhanden. Erst wenn Licht den Boden erreicht, beginnen dort Gräser, Kräuter und Sträucher für pflanzenfressende Säugetiere zu wachsen. Im Winter verschärft sich die Situation. Lichte Strukturen, wie sie in ungleichaltrigen, kleinflächig bewirtschafteten Wäldern häufiger vorkommen, können einen entscheidenden Einfluss auf das Nahrungsangebot und damit auf die Schäle haben.
Abb. 2. Geschälter Baum in einem Transekt. Foto: S. Ehrhart (FVA BW)
Abb. 3. Lichte Waldstrukturen mit bodennaher Vegetation. Foto: S. Ehrhart (FVA BW)
Untersuchungsgebiet
Das 105.000 Hektar große Rotwildgebiet Nordschwarzwald besteht zu fast 90 Prozent aus bewaldetem Gebiet. Viele Verjüngungen stehen auf einstigen Windwurfflächen, die im Jahr 1999 durch Orkan Lothar entstanden. Inzwischen sind diese Bestände in einem schälgefährdeten Alter. Gleichzeitig finden in den Wäldern jagdliche und touristische Aktivitäten statt – anspruchsvolle Voraussetzungen für das Wald- und Wildtiermanagement vor Ort. Das Wildtierinstitut der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA BW) begleitet dieses im Rahmen des Projekts Rotwildkonzeption Nordschwarzwald. Die Forschenden untersuchen darin unter anderem:
- Rotwilddichte und -verteilung, Nahrungsverfügbarkeit, Schälgefährdung und Schadenssituation
- Zusammenhang der Faktoren und Folgen für das Wald- und Wildtiermanagement
Ergebnisse
Rotwildpopulation
Die Dichte und die räumliche Verteilung des Rotwilds wurde auf Basis temporär installierter Wildtierkameras ermittelt. Die Population hat klare Verbreitungsschwerpunkte. Der Rotwilddichteindex bildet die durchschnittliche, korrigierte Anzahl der wöchentlich aufgenommenen Tiere an den jeweiligen Fotofallenstandorten ab.
Nahrungsverfügbarkeit
Zur Analyse der Nahrungsverfügbarkeit wurden Luftbilder herangezogen. Pflanzen bis zwei Meter Höhe sind für das Rotwild erreichbar. Für Bereiche mit entsprechender Vegetation ist ein erhöhter Lichteinfall anzunehmen. Sie werden als lichte Waldstrukturen mit guter Nahrungsverfügbarkeit definiert.
Als schälgefährdet gelten Waldbestände ab dem Dickungsschluss bis ins Stangenholzalter. Im Untersuchungsgebiet entspricht dies einer durchschnittlichen Baum- bzw. Bestandeshöhe von zwei bis 17 Metern. In den folgenden Altersphasen ist die Rinde meist so stark verborkt, dass sie nicht mehr als Nahrung geeinget ist.
Diesen Richtwerten folgend sind insgesamt 34 Prozent der Fläche im Rotwildgebiet Nordschwarzwald schälgefährdet. Besonders betroffen sind einstige Windwurfflächen auf höheren Lagen im mittleren und nördlichen Teil. Dort liegt der Anteil gefährdeter Waldflächen regional bei bis zu 90 Prozent.
Abb. 3. Lebensraumfaktoren im Rotwildgebiet Nordschwarzwald.
A: Rotwilddichte-Index
B: Häufigkeit lichter Waldstrukturen in %
C: Häufigkeit schälgefährdeter Waldbestände in %
Grafik: FVA BW
Schäle
Zur Schätzung der Schäle wurden an Mess- bzw. Beobachtungspunkten entlang von Korridoren (Transekten) Schäden erhoben und in Klassen eingeteilt:
- Klasse 0: keine Schäle (kein Baum)
- Klasse 1: nur einzelne Bäume
- Klasse 2: ein Trupp (und evtl. einzelne Bäume)
- Klasse 3: mehrere Trupps oder eine Gruppe (und evtl. einzelne Bäume)
- Klasse 4: mehrere Gruppen (und evtl. einzelne Bäume oder Trupps)
- Klasse 5: größere Flächen oder flächig
Neuschäle war im untersuchten Gebiet kein flächendeckendes Problem, punktuell aber vorhanden.
Die Analyse zeigt, dass die Schäle während des Aufnahmezeitraums rückläufig bzw. gleichbleibend war.
Das Transektverfahren zur Ermittlung von Schälschäden wurde ihm Rahmen des Projekts entwickelt und erfolgreich auf Privat- und Staatswaldflächen erprobt. Die Erhebung erfolgte durch das jeweils verantwortliche Forstpersonal.
Zusammenhänge
Stellt man die erhobenen Parameter einander gegenüber, lassen sich Rückschlüsse auf die Ursachen der Schäle ziehen:
- Bei niedrigen und mittleren Rotwilddichten (Index 0,5 bis 1) wurde überwiegend keine Schäle bzw. Schälklasse 1 festgestellt
- Ab einem Rotwilddichteindex von 1 stieg der Anteil höherer Schälklassen
- Ab einem Indexwert größer als 1,25 überwog der Anteil höherer Schälklassen
Nur wenige Bereiche im Rotwildgebiet wiesen tatsächlich einen Indexwert höher als 1,25 auf. Übersteigt die Rotwilddichte den Indexwert 1, so ist zunächst von einem höheren Risiko für Schäle auszugehen. Höhere Schälklassen zeigten sich zudem in Waldbeständen, deren Anteil lichter Strukturen unter 40 Prozent lag. Lag der Anteil darüber, wurden nur die Schälklassen 0 und 1 festgestellt.
Die Präsenz lichter Strukturen und damit verfügbarer Nahrung im Wald, verringert die Schälgefährdung.
Risikobereiche sowie Bereiche mit guten Rahmenbedingungen lassen sich auf Basis der erhobenen Informationen gut in Karten darstellen: Rot umrandete Bereiche weisen auf ein erhöhtes Risikopotenzial für Schäle hin, besonders wenn der Anteil schälgefährdeter Bestände sehr hoch ist. Sind diese Flächen gleichzeitig grün umrandet, dann sind ausreichend lichte Waldstrukturen mit alternativer Nahrung vorhanden, die das Schälrisiko reduzieren. Infolge dieses Nahrungsangebots wird die Lebensraumkapazität und somit die wirtschaftliche Tragfähigkeit erhöht. In diesen Bereichen können höhere Rotwilddichten toleriert werden, ohne dass es zu Schäden kommt.
Abb. 7. Lebensraumfaktoren mit Schwellenwerten: rot umrandete Flächen = Rotwilddichteindex über 1, grün umrandete Flächen: Anteil lichter Waldstrukturen über 40 Prozent.
A: Rotwilddichteindex aus Fotofallenmonitoring
B: Häufigkeit lichter Waldstrukturen in %
C: Häufigkeit schälgefährdeter Waldbestände in %
Grafik: FVA BW
Maßnahmen
Der Anteil lichter Waldstrukturen kann in sehr kritischen Bereichen punktuell erhöht werden, um Rotwild innerhalb von Dickungen in wildschadensresistentere Bereiche zu lenken und so die Wildschadensanfälligkeit zu reduzieren. Auch Aufichtungsmaßnahmen in Verbindung mit Durchforstungen oder – im Nordschwarzwald – mit Maßnahmen zur Habitatverbesserung für das Auerhuhn können durchgeführt werden. Über die Schaffung von Wildruhezonen lassen sich zudem relevante Flächen beruhigen. Konzepte zur Lenkung von Waldbesuchenden und zur revierübergreifenden jagdlichen Abstimmung können eine sinnvolle Ergänzung sein. Räumlich und zeitlich besser abgestimmte menschliche Aktivitäten können die Störungen für das Rotwild mindern. Um Konflikte zu vermeiden, müssen die unterschiedlichen Nutzungsinteressen berücksichtigt werden. Über jagdliche Schwerpunktsetzungen lässt sich die Rotwilddichte lokal steuern.
Fazit
- Im untersuchten Gebiet existieren flächendeckend geeignete Lebensräume für Rotwild
- Der Rotwilddichteindex lässt keine wirtschaftlich gravierenden Schälschäden erwarten
- Ein Indexwert über 1 bedeutet nicht pauschal Schälschäden
- Risikobereich sind solche, in denen sich eine höhere Rotwilddichte (Index >1) mit einem geringen Anteil lichter Waldstrukturen (unter 40%) deckt
- Mithilfe kombinierter Informationen können Flächen mit erhöhtem Schälrisiko identifiziert werden
- Anhand von Monitoringdaten lassen sich Maßnahmen (jagdliche Steuerung, Auflichtung, Beruhigung, Besucherlenkung, etc.) ableiten
- deutliche Abnahme von Schäle durch angepasste Wildbestände, lichte Strukturen und Ruhebereiche im Wald