Der Eichelhäher ist ein vielseitiger Vogel; er nutzt im Waldbau und der biologischen Vielfalt
Eigentlich meinen viele, alles über den Eichelhäher (Garrulus glandarius) zu wissen. Doch die Facetten in der Biologie und im Leben des Rabenvogels sind so vielfältig wie die Farben seines auffälligen Gefieders. Der Eichelhäher gehört zweifelsohne zu den bekanntesten Vögeln überhaupt. Er heißt in der Fabel und bei Hermann Löns "Markwart" und trägt im regionalen Volksmund darüber hinaus etliche weitere Bezeichnungen. Seine forstliche Bedeutung bei der Gestaltung von Mischwäldern ist lange bekannt und wird insbesondere in den nord- und ostdeutschen Kiefernwäldern hoch geschätzt. In Brandenburg ist der Eichelhäher sogar zum Wappenvogel der dortigen Waldumbaukampagne geworden. Aber auch heimische Forstwissenschaftler können auf Erfahrungen aus langjährigen Waldbauversuchen zurückblicken, und manche Förster in Nordrhein-Westfalen danken dem Eichelhäher für die waldbauliche Hilfe, indem sie ihm gelegentlich den "Tisch decken".
Angerichtet für den Häher
Abb. 2: Zweijähriger Stieleichen-Sämling auf einer Versuchsfläche zur natürlichen Wiederbewaldung nach dem Orkan "Kyrill" im Arnsberger Wald. Foto: J. Preller
Abb. 3: Forstwirt-Auszubildender Niklas Rühl am Rand einer Sturmfläche im Staatswald Eckenhagen. Die Hähertische haben eine Grundfläche von 40 x 40 Zentimetern und einen Rand aus Dachlatten. Foto: D. Müller-Habbel
Das tut auch Daniel Müller-Habbel, Revierleiter im Staatswald Eckenhagen im Bergischen Land (Regionalforstamt Rhein-Sieg-Erft). Kennen gelernt in Brandenburg, startete der Forstwirtschaftsmeister sein Häher-Projekt nach dem Orkan "Kyrill" zunächst mit dem Auslegen von Eicheln auf markanten Windwurftellern auf den Kahlflächen. Mittlerweile hat Müller-Habbel 20 so genannte Hähertische in den "kyrillgeschädigten" Teilen des Reviers aufgestellt und dem Eichelhäher damit im vergangenen Herbst satte 600 Kilogramm Bucheckern und Eicheln aufgetischt. Den Häher mit seiner Leidenschaft für Eicheln freut das. Es sind besonders Wälder mit Stiel- oder Traubeneichen, die er mag und wo es im Rahmen der Evolution zu einer bemerkenswerten Beziehung zwischen Eiche und Eichelhäher kam, die für den Vogel letztlich auch namensgebend geworden ist. Einst klassischer Waldvogel, kommt der Eichelhäher heute aber ebenso im städtischen Grün vor und legt dort häufig seine ausgeprägte Scheu ab, deren akustische Folge in Form des kreischenden Warnrufes im Wald jeder kennt. In Nordrhein-Westfalen ist der Eichelhäher flächig verbreitet.
Im Winter liegt die wesentliche Überlebensstrategie des Eichelhähers in der Nutzung seiner bevorrateten Nahrungsreserven. Dafür sammelt er im Herbst Bucheckern, Haselnüsse und besonders Eicheln und vergräbt die Baumfrüchte in Hunderten von Verstecken. Bis zu zehn Eicheln transportiert der Eichelhäher in Kehlsack und Schnabel vom Fundort bis zum Versteck. Weil in Teilen seines Reviers keine Eichen vorkommen, hat Daniel Müller-Habbel dem Häher hier geholfen und ihm die Eicheln über die Hähertische in den nadelholzgeprägten und "kyrillgeschädigten" Revierteilen gezielt angeboten. Dank der üppigen Mast im vergangenen Herbst war das Sammeln der Früchte weder finanziell noch zeitlich ein großer Aufwand. "Das Eichelhäher-Projekt läuft sehr erfolgreich im Rahmen der Umweltbildung des Regionalforstamtes", erklärt Müller-Habbel. So sammelten Kinder der örtlichen Waldjugend das Saatgut unter qualitativ hochwertigen Stieleichen und Rotbuchen im Revier.
Im Verlauf des gesamten Herbstes wurden die Hähertische alle paar Tage mit Früchten aus dem Lager nachgefüllt. Beim Abholen der Eicheln vom Tisch durch den Vogel konnte Müller-Habbel interessante Details beobachten: "Der Eichelhäher sortiert die Eicheln genau durch, schlechte lässt er liegen."
Der mit dem Vogel pflanzt
Der Eichelhäher gehört mit seinem schwerfälligen Flug sicher nicht zu den schnellsten, aber zu den schlauesten Vögeln im Wald. Der Literatur zufolge kann ein einziger Vogel bis zu 5.000 Eicheln aus ausgewählten Standorten im Herbst vergraben. Nicht alle Verstecke, oft neben Stämmen oder Stümpfen, findet er wieder. Im Ökosystem Wald profitiert von der scheinbaren Vergesslichkeit des Eichelhähers zunächst nur die Eiche, die durch die Saat zur Verjüngung kommt. Doch auch dem Häher nützen die nicht wieder gefundenen Verstecke. Er optimiert und erweitert dadurch den Lebensraum seiner Art.
Für Daniel Müller-Habbel ist die gezielte waldbauliche Einbindung des Eichelhähers noch recht neu. Seine Methode des Sammelns mit Kindern und des Säens mit den Hähern liegt im eigenen Betrieb außerhalb der Bestimmungen des Forstvermehrungsgutgesetzes. Die ersten Ergebnisse auf den Orkanflächen im Revier Eckenhagen sind bereits sichtbar. Eichensämlinge sind auf den Flächen erschienen. Nicht systematisch und noch nicht flächig. Aber das Projekt ist auf mehrere Jahre angelegt. Erfahrungen mit älteren Hähereichen insbesondere in Bezug auf die Qualität hat Müller-Habbel noch nicht machen können. Dabei dürfen die forstwirtschaftlichen Leistungen des Eichelhähers nicht überschätzt werden. Er ist zwar ein Helfer im weitsichtigen Waldbau; ein denkender Waldbauer ist er aber nicht.
Hähereichen mit Zukunft
Abb. 4: Eiche aus Hähersaat unter lichtem Kiefernschirm in Mischung mit Birke, Faulbaum und Vogelbeere im Münsterland. Foto: B. Leder
"Doch gute Qualitäten sind durchaus möglich", sagt Dr. Bertram Leder. Der Forstwissenschaftler vom Lehr- und Versuchsforstamt Arnsberger Wald forscht seit 20 Jahren auf Hähereichenversuchsflächen im Münsterland. Leder sieht die Bedeutung der Hähereichen bei der waldbaulichen Gestaltung auch in Nordrhein-Westfalen vornehmlich in den von Natur aus lichten Kiefernbeständen. Auch gründlich durchforstete Fichtenbestände seien in der Regel zu dunkel für die Verjüngung von Eiche. Die Orkanflächen nach Kyrill bewertet Leder dagegen als waldbauliche Chance für den Häher und die Eiche. Auf den Freiflächen hat die Sukzession in unterschiedlicher Dynamik begonnen. Etliche Weichlaubhölzer, wie Birke, Eberesche, Weide oder Faulbaum, siedeln sich als waldbauliche Pioniere mit dienender Funktion an. "Auf die Wirkung der Weichlaubhölzer sind wir auch bei den Hähereichen angewiesen", erklärt Leder. Denn wenn aus Hähereichen auch Qualitätsstämme werden sollen, sei der Seitendruck enorm wichtig - ein weiteres Plädoyer für die waldbauliche Berücksichtigung der lange Zeit unterschätzten Begleit-Baumarten.
Der späteren Qualität der Stämme kann auch die Art des Versteckens durch den Eichelhäher dienlich sein. Er vergräbt Eicheln zumeist einzeln und diese oft in kleinen Gruppen. "Das kann eine natürliche Nesterpflanzung mit all ihren Vorteilen sein", sagt Leder. Eine Faustzahl für die Anzahl der Jungpflanzen aus Hähersaat je Hektar ist schwierig herzuleiten. Zu unterschiedlich sind die Voraussetzungen der Bestände und die Arbeit des Vogels. Daniel Müller-Habbel schätzt für sein Revier etwa 3.000 Sämlinge pro Hektar als Ergebnis der unterstützten Hähersaat. Für Dr. Bertram Leder ist die Zahl der bleibenden Zukunftsbäume die wichtigste langfristige Kenngröße. Diese kalkuliert der Forstwissenschaftler zusammen mit den Misch- und Begleitbaumarten auf der Fläche: "30 Z-Stämme je Hektar aus den Hähereichen genügen, wenn die Gesamtsituation passt." Allerdings dürfe die notwendige Aufmerksamkeit und der Pflegeaufwand in der Zeit zwischen dem keimenden Sämling und dem nutzbaren Stammholz nicht unterschätzt werden. Das sei typisch für die Eichenwirtschaft insgesamt und gelte insbesondere auch für die Anpassung des Wildbestandes.
Verbreitung schwersamiger Samen durch Tiere
Bäume nutzen wie alle Pflanzen ihre Samen zur Ausbreitung und zum Arterhalt. Im Rahmen dieser - generativen - Vermehrung kommt es darüber hinaus laufend zu der für die Anpassung an den Lebensraum notwendigen Durchmischung des Genpools.
Für die Verbreitung der Samen haben sich in der Natur zahlreiche Mechanismen entwickelt. Bei den Gehölzen ist oft die Samenverbreitung durch den Wind zu finden. Es sind aber auch die Tiere im Ökosystem Wald, die Samen aufnehmen und für die Pflanzen verbreiten. Innerhalb dieser als "Zoochorie" bezeichneten Ausbreitungsvariante gibt es wiederum mehrere Unterformen. Gehölze mit relativ schweren Samen wie der Wal- oder Haselnuss, der Rotbuche oder den Eichen nutzen die Vorratstätigkeit einzelner Tierarten. Diese deponieren die energiereichen Samen für den Winter und verzehren dann nur einen Teil. Die übrigen Samen können auskeimen. Bei der natürlichen Verbreitung und Verjüngung des Waldes helfen neben dem Eichelhäher auch der Tannenhäher, das Eichhörnchen und andere Nagetiere.
Vogel verteilt Vielfalt
"Er ist so schön und drollig und bringt so viel Leben in den stillen Wald, dass wir ihn dort nicht missen möchten", schrieb Löns als Schluss seiner Tiernovelle über Markwart, den Eichelhäher. Im von den Vereinten Nationen ausgerufenen Jahr der Biodiversität 2010 sind es so interessante und sympathische Tierarten wie der Eichelhäher, mit denen Menschen die ökologischen Zusammenhänge in der Natur kennen lernen können. Denn der Eichelhäher schafft Mischbestände zum Nulltarif und damit mehr Vielfalt in Bezug auf Lebensräume und Arten, häufig mit autochthonem Saatgut. Außerdem hilft er einer wichtigen Baumart mit forstlich langer Tradition und holzwirtschaftlich großer Bedeutung.
Die Eiche wird auch unter den prognostizierten Klimaveränderungen in der heimischen Forstwirtschaft wichtig bleiben und ihren Status möglicherweise langfristig ausbauen. Damit wird auch die waldbauliche Arbeit des Eichelhähers bedeutsamer. Seine Leistungsfähigkeit im Ökosystem Wald hat er bewiesen. Über die Qualität der Hähereichen und die betriebswirtschaftliche Kalkulation der Flächen diskutieren Fachleute anhand von Versuchsflächen seit Jahrzehnten. Die forstwissenschaftlichen Untersuchungen zur natürlichen Waldverjüngung auch mit Hilfe des Eichelhähers gehen in Nordrhein-Westfalen daher weiter. So plant der Landesbetrieb Wald und Holz NRW in diesem Jahr einen weiteren Versuch zur Anzahl und Qualität von Hähereichen-Zukunftsbäumen im Regionalforstamt Niederrhein.