Die weissbeerige Mistel (Viscum album) besiedelt das Gebiet von Südskandinavien und Mittelengland südwärts bis Nordwestafrika und ostwärts bis Japan. Sie ist ein Halbparasit, das heisst sie entnimmt ihrem Wirt Wasser und darin gelöste Nährsalze. Vor allem während Trockenperioden kann dies zu einem erhöhten Stress für den Wirtsbaum führen. Misteln sind in der Lage, selbstständig Fotosynthese zu betreiben.

Viscum album ist eine Pflanze mit hohem Licht- und Wärmeanspruch. Daher wurde sie in pollenanalytischen Untersuchungen gerne als Klimaindikator benutzt. Die Mistel hatte im nacheiszeitlichen Wärmeoptimum ein viel grösseres Verbreitungsgebiet als heute.

Die drei Unterarten der weissbeerigen Mistel, die Föhren-, die Tannen- und die Laubholzmistel, unterscheiden sich vor allem durch ihre Wirtsbaumarten. Allerdings besiedelt zum Beispiel die Föhrenmistel neben Kiefernarten in seltenen Fällen auch die Fichte.

Misteln wachsen auf Bäumen aller Altersklassen vom Stangen- bis zum starken Baumholz. Tannen- und Föhrenmisteln bevorzugen sehr junge Wirtszweige mit noch schwacher Rinde und Borke. Die Mistelsamen werden bei uns vor allem durch die häufige Misteldrossel, aber auch durch die Mönchsgrasmücke, die Wacholderdrossel und den Seidenschwanz verbreitet. Aufgrund des günstigen Nahrungsangebotes und der milden Witterung überwintert die Misteldrossel zunehmend auch in der Schweiz und ernährt sich ab November von den reifen Mistelfrüchten.

Das Klima im 20. Jahrhundert

In den vergangenen Jahrhunderten wies das Klima wiederholt beträchtliche Schwankungen auf. Im 20. Jahrhundert, und besonders markant in den letzten drei Jahrzehnten, registrierten die Thermometer eine sehr starke Erhöhung der mittleren Oberflächentemperatur in weiten Teilen der Nordhemisphäre. In der Schweiz ist die Temperaturzunahme noch deutlich stärker als im globalen Mittel: Seit 1970 wurde es um durchschnittlich 1,5 °C (weltweit 0,5 °C!) wärmer (BUWAL 2002). Diese Erwärmung hat Auswirkungen auf die Physiologie (Fotosynthese, Wachstum u. a.), die Phänologie (Fruchtreife, Blattverfärbung u. a.) sowie auf die Verbreitung (Immigration, Expansion) von Pflanzen. So blüht zum Beispiel die Weinrebe heute im Wallis rund 17 Tage früher als noch vor 50 Jahren (Defila 2003) – die Vegetationsperiode hat sich generell seit den frühen 60er-Jahren um knapp elf Tage verlängert. Temperaturempfindliche Tiere und Pflanzen verändern in der Folge ihren Lebensraum und dringen zunehmend in höhere Lagen sowie in Richtung Pole vor.

Diverse Literaturquellen besagen, dass die Mistel kaum über 1000 m ü. M. vorkommt. Coaz (1918) machte als Erster anhand von Umfragen bei den Forstämtern Aussagen über die Verbreitung aller drei Mistelunterarten in der Schweiz. Tubeuf (1923) übernahm diese Daten weitgehend und stellte sie in einen alpenweiten Kontext. Die letzte schweizerische Umfrage zu Mistelvorkommen, Befallsintensität und betroffene Baumarten führte Hofstetter (1985) Anfang der 1980er-Jahre durch. Er unterschied zwar die drei Unterarten, kam aber nur zu groben Verbreitungsdaten. Ausserdem grenzte Hofstetter von vornherein alle Gebiete oberhalb 1000 m ü. M. aus, da sie dem "möglichen Verbreitungsgebiet der Mistel" nicht entsprächen.

Die aktuelle Verbreitung der Föhrenmistel im Wallis

Die Verbreitung der Föhrenmistel im Kanton Wallis wurde von den Autoren in den Jahren 2002 und 2003 anhand von 201 Stichprobenflächen auf dem 1x1-km Netz des Landesforstinventars bis zu einer Höhe von 1600 m ü. M. untersucht. Auf 153 Flächen kommt die Waldföhre vor, und auf 85 Stichproben tritt auch die Mistel auf – also auf mehr als der Hälfte.

Abbildung 3 zeigt, dass bis zu einer Höhe von 1200 m ü. M. noch über 60% der Stichprobenflächen Misteln aufweisen. In höheren Lagen wird die Mistel seltener. So betragen die Anteile ab 1300 m ü. M. nur noch weniger als 30%. Die höchste Fundstelle liegt an einem Südhang auf knapp 1500 m Meereshöhe. Osthänge weisen am wenigsten Flächen mit Misteln auf. Ab einer Höhe von 1200 m ü. M. kommen die Halbparasiten fast ausschliesslich in den wärmegünstigen Süd- oder Westlagen vor.

Jede dritte Föhre unterhalb 1600 m ü. M. ist mit Misteln bewachsen. Betrachtet man die einzelnen Föhren in unterschiedlichen Höhenstufen bezüglich Befallsrate und -intensität, so wird ersichtlich, dass in den tieferen Lagen nicht nur mehr Bäume Misteln aufweisen, sondern dass der Befall dort auch stärker ist. Unterhalb 1000 m ü. M. ist fast jeder fünfte Baum mittelstark bis stark befallen (Tab. 1).

Tab. 1 - Anzahl und Anteil der befallenen, lebenden Föhren und Befallsstärke nach Höhenstufen.

Die Resultate belegen, dass die bisherige Annahme überholt ist, die Föhrenmistel wachse nur unterhalb von rund 1000 m ü. M. Heute liegt diese Grenze bei etwa 1250 m ü. M. Die Arealgrenze der Föhrenmistel hat sich im Wallis um rund 250m nach oben verschoben. Dieser Anstieg lässt sich durch die im Verlaufe des 20. Jahrhunderts stattgefundene Erwärmung erklären. In einem statistischen Regressionsmodell erwiesen sich sowohl die erhöhten Winter- als auch die Frühjahrstemperaturen als entscheidend für die Veränderung des Mistelvorkommens. Das Modell zeigte ferner, dass der Anteil der Föhren in einem Waldbestand die Häufigkeit der Misteln beeinflusst (je mehr Föhren, desto eher Misteln), dass die Exposition entscheidend ist (siehe oben) und dass auch die Stellung der Krone eine Rolle spielt (je freistehender die Bäume, umso eher Misteln). Die Kronenfreistellung dürfte in den letzten Jahrzehnten im Zuge der erhöhten Absterberaten der Waldföhre zugenommen haben (siehe Kasten unten).

Zukunft der Föhrenmistel

Es ist davon auszugehen, dass die Temperatur selbst mit klimapolitischen Massnahmen auch im 21. Jahrhundert weiterhin ansteigen wird (BUWAL 2002). Es stellt sich nun also die Frage, wie sich die Verbreitung der Föhrenmistel in Zukunft verändern wird. Aufgrund unserer Erkenntnisse ist mit einem weiteren Höhenanstieg zu rechnen. Modellgestützte Prognosen sagen bei einer weiteren Erhöhung der durchschnittlichen Temperatur um 1°C eine mittlere Höhengrenze von über 1350 m ü. M. voraus. Die Waldföhre hat sich vermutlich aufgrund ihrer Konkurrenzschwäche gegenüber anderen Nadelbäumen in den letzten paar Jahrzehnten nicht in höhere Lagen ausgebreitet. Deshalb ist es denkbar, dass die Föhrenmistel ihren Wirtsbaum bezüglich vertikaler Höhenverbreitung bald einmal einholen wird.

Es stellt sich auch die Frage, ob das zunehmende Vorkommen der Mistel in einem Zusammenhang mit dem erhöhten Absterben der Waldföhren im Kanton Wallis steht. Die Untersuchungen im Rahmen des Forschungsprogrammes "Walddynamik" (siehe Kasten) deuten zwar darauf hin, dass erhöhte Trockenheit in Kombination mit veränderten Konkurrenzverhältnissen, verschiedenen Schadinsekten sowie Pilzen und Nematoden hauptverantwortlich für das gegenwärtige Föhrensterben im Wallis sind. Allerdings zeigen erste Resultate auf einer Forschungsfläche in Visp (Projekt "Langfristige Waldökosystemforschung LWF"), dass Mistelbefall zu einer deutlichen Erhöhung der Absterberaten der Waldföhren führte. Es ist also durchaus denkbar, dass die zunehmende Verbreitung der Mistel die Widerstandskraft der Kiefern gegenüber anderen Stressfaktoren zusätzlich schwächt und somit indirekt zu deren erhöhtem Absterben beiträgt.
 

Forschungsprojekt "Föhre Wallis"

Seit mehreren Jahrzehnten geben die hohen Absterberaten der Waldföhren im Kanton Wallis Anlass zur Sorge. Einerseits besteht Unklarheit über die auslösenden Faktoren und andererseits sind die Folgen dieses grossflächigen Absterbens nicht abschätzbar. Die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft untersuchte im Rahmen des Forschungsprogrammes "Walddynamik" diese Absterbeprozesse in den Walliser Waldföhrenwäldern in enger Zusammenarbeit mit dem Kantonalen Forstdienst. Über einen interdisziplinären Forschungsansatz wurde der Einfluss der Klimaerwärmung und verschiedener Landnutzungsänderungen auf die gegenwärtig ablaufenden Prozesse analysiert. Die wichtigsten Ergebnisse sind in einem Merkblatt dokumentiert.

Literatur
  • BUWAL (Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft) (2002): Das Klima in Menschenhand – neue Fakten und Perspektiven. Bern.
  • COAZ, J. (1918): Über die Verbreitung der Mistel (Viscum album L.) in der Schweiz. In: Tubeuf, C. F. von (Hrsg.) (1918): Naturwissenschaftliche Zeitschrift für Forst- und Landwirtschaft 3/8, 1918, Stuttgart, 138–195.
  • DEFILA, C. (2003): Klimaerwärmung und Phänologie der Weinrebe. Schweiz. Z. Obst-Weinbau. 20:9–11.
  • HOFSTETTER, M. (1985): HPLC-Charakterisierung von Lektinen der Mistel (Viscum Album L.) und Verbreitung der Pflanze in der Schweiz. Dissertation, Zürich.
  • NIERHAUS-WUNDERWALD, D. und LAWRENZ, P. (1997): Zur Biologie der Mistel. In: Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL (1997): Merkblatt für die Praxis, 28, Birmensdorf.
  • TUBEUF, K. F. VON (1923): Monografie der Mistel. München, Berlin.

 

(TR)