Mit ausgeklügelter Technik wollen ETH-Forscher herausfinden, wie der Kohlenstoffkreislauf in der "grünen Lunge" wirklich funktioniert. Sie untersuchen hierfür die CO2-Aufnahme von Pflanzen an Buchen sowie die CO2-Abgabe durch Pflanzen, Baumstämme und den Boden. Eine Reportage über die Forschung im Freiluftlabor Wald und im ETH-Labor.

Die Biologin Lydia Gentsch fährt mit dem Auto über die hellen Kalkschotter den bewaldeten Berg hinauf. So hoch kommen normalerweise nur Wanderer. Auf den ersten Blick weisen lediglich Informationstafeln darauf hin, dass hier mehr als nur Wald ist: Die Forscherin ist auf dem Weg zu ihrem "Freiluftlabor" – einem "verkabelten Wald" auf der Lägeren, dem nordöstlichen Ausläufer der Jurakette zwischen Baden und Dielsdorf bei Zürich.

Ortstermin Lägeren, September 2010

Am Waldrand steht eine etwa sechs Quadratmeter grosse Holzhütte. Als Gentsch sie betritt, um in ihre Geländekleidung zu schlüpfen, überschreitet sie eine Grenze zwischen Natur und Hightech, markiert durch eine einfache Holztür: Draussen das leise Rauschen der Buchenblätter und Vogelgezwitscher - im Innern der Hütte dagegen herrscht ein geradezu ohrenbetäubender Lärm. Eine Klimaanlage und diverse Messgeräte laufen auf Hochtouren.

Die Holzbaracke entpuppt sich bei näherem Hinsehen als echtes Hightech-Labor. Auf den Tischen stehen dicht gedrängt zwei Laserspektrometer, Bildschirme und Computer; in der Ecke lagern Gasflaschen und ein Behälter mit flüssigem Stickstoff. Lydia Gentsch kontrolliert die Füllung der Gasflaschen und überprüft den Kompressor. Unter den quer durch den Raum verlegten Leitungen befinden sich Schläuche, die die Luft von den Messvorrichtungen, die draussen versteckt im Wald an den Bäumen und im Boden angebracht sind, zu den Analysegeräten transportieren.

Die Luft-Analysen sollen Antworten auf die grosse Fragestellung des Projekts finden: Wie viel Kohlendioxid (CO2) können Wälder binden? Welche Mechanismen sind dafür verantwortlich, wie laufen sie ab und wie reagiert dieser Prozess auf Klimavariationen – etwa auf längere Trockenperioden? Wälder und Graslandschaften sind wichtige Kohlendioxidsenken. Noch weiss man wenig darüber, wie sich diese Fähigkeit bei einem wärmer werdenden Klima verhält. Gelingt es Lydia Gertsch und ihren Kollegen mit ihrem Projekt, die grundlegenden Prozesse im Kohlenstoffkreislauf zu bestimmen und durch bestehende Modelle zu verifizieren, hilft dies, die natürlichen terrestrischen Kohlenstoffsenken besser in Klimamodellen zu berücksichtigen.

Leitungen, Plastikröhren und Verteilerkasten

Die Untersuchungsfläche im Wald liegt etwas abschüssig zu einer Lichtung hin. Ausgestattet mit festem Schuhwerk und diversen Utensilien, wie etwa flüssigem Stickstoff, macht sich die Biologin auf in den "Kabelwald". Zwei Meter ab vom Weg wird dieser zum ersten Mal richtig sichtbar: Jetzt enttarnen sich die Leitungen, die durch Gestrüpp und Blätter bis anhin unsichtbar waren, indem sie in einem grauen Verteilerkasten zusammenlaufen. Ein paar Meter bergab tauchen verkabelte graue Plastikröhren auf, Bodenkammern mit einem Durchmesser von etwa 20 Zentimetern, wenige Zentimeter tief in den Boden eingelassen. Einige sind durch einen verkabelten Plastikdeckel verschlossen, andere sind offen. Die offenen wirken unscheinbar, der Plastikring ist lediglich eine millimeterdicke Barriere zwischen dem Boden aussen und dem Boden innerhalb des Rings. Plötzlich ist das leise Surren eines Elektromotors zu hören: Wie von Geisterhand bewegt sich der Deckel einer der Kammern zur Seite und öffnet sich.

An einem Baumstamm etwas oberhalb ist eine Ringkammer um einen Buchenstamm gelegt, von der aus schwarze Kabel unter dem Laub auf dem Boden verschwinden. Auch hier wird gemessen: Kohlendioxid, Feuchte und Temperatur. Zur Lichtung hin, wo die Sonne ungehindert auf die Bäume auftrifft, sind die Astkammern installiert: Durchsichtige Teflon-Folien umschliessen belaubte Äste. Wie feine Blutgefässe ziehen sich dünne blaue Kabel in den Astkammern zu den Blattunterseiten, hin zu winzigen Sensoren, die kontinuierlich die Temperatur einzelner Blätter messen. Auch der Lichteinfall wird registriert – insgesamt alle wichtigen Faktoren, die den Grad der Photosynthese, den Umbau von CO2 und Wasser in Zucker, beeinflussen.

Konservieren der Vergleichsproben

Vorsichtig schneidet Lydia Gentsch mit einer Schere einzelne Blätter von einem Zweig ab, packt sie in kleine Plastiktüten, die sie dann in einen Behälter mit flüssigem Stickstoff taucht: Schlagartig erstarren die Blätter im sprudelnden Stickstoff und sterben ab – schockgefroren und konserviert im Zustand ihrer "Ernte". Die Wissenschaftlerin greift zu einem Spezialmesser, stanzt ein wenige Millimeter grosses kreisrundes Rindenstück aus einer Buche und füllt Bodenproben in ein Gefäss ab. Während der Messkampagne sammelt Gentsch einmal pro Woche solche Vergleichsproben zu den kontinuierlichen Messungen der Kammern. Immer zur selben Uhrzeit. Die Proben werden für den Transport ins ETH-Labor sofort in Trockeneis verpackt, damit sie sich nicht zersetzen. Dadurch würden die Messungen verfälscht.

Etwa 100 Quadratmeter Wald sind mit 15 Messkammern im Boden, an Stämmen und in den Ästen durchsetzt. Gentsch steigt bei ihrem Rundgang immer wieder über Kabel der Messvorrichtungen, die in den grauen Verteilerkästen zusammenlaufen. Die Verteilerkästen sind sozusagen die Knotenpunkte zwischen den Messeinheiten und der Hightech-Zentrale der Hütte. Die Hütte gehört zum Nationalen Beobachtungsnetz für Luftfremdstoffe der EMPA. Das Netzwerk ist ein von den beteiligten Wissenschaftlern und ETH-Werkstätten selbstgebautes ausgeklügeltes System, nichts ist hier von der "Stange". Das gesamte Mess-System ist voll automatisiert; wann die Kammern auf oder zu gehen, wird durch den Computer gesteuert. Der Postdoc Patrick Sturm vom Isocycle-Team hat diesem Computer so programmiert, dass er dem Kammer-Mess-System sowie den Laserspektrometern genau vorgibt, wann sich etwa eine Kammer schliessen soll und wann die Laserspektrometer welche Isotope messen müssen. Verteilerkästen und Schläuche für den Lufttransport sind beheizt, damit der Wasserdampf der Luft in den Schläuchen nicht kondensiert. Auch das könnte die Messwerte verfälschen.

Hightech-Labor in der Waldhütte

Zu selben Zeit messen die Laserspektrometer in der Hütte alle fünf Sekunden aus der angesaugten Luft die natürlich vorkommenden stabilen Isotope Kohlenstoff 13 (13C) und Sauerstoff 18 (18O) in Kohlendioxid. Im Wasserdampf messen sie zudem die stabilen Isotope 18O und Deuterium. Die Forscher nutzen diese Isotope als Werkzeug, um die Mechanismen des Kohlenstoff-Kreislaufs besser verstehen zu können. Die Isotope hinterlassen Spuren in der Pflanze, mit denen sich ihre Lebensbedingungen erforschen lassen. Während bei der Photosynthese im Blatt der Pflanze aus Kohlendioxid und Sonnenlicht Zucker für die Pflanze gebildet wird, bevorzugen die Pflanzen CO2-Moleküle mit dem leichteren 12C-Isotop. Das schwerere Isotop 13C , das ein Neutron mehr in seinem Atomkern hat, wird deshalb seltener eingebaut. Wie stark das Blatt die schwereren Isotopen für ihre Nahrungsbildung nutzt, hängt unter anderem von den Umweltbedingungen ab. Ist es heiss und trocken, schliesst das Blatt seine Spaltöffnungen um möglichst wenig Wasser zu verdunsten. Dabei wird es aber weniger wählerisch bei der Nahrungsproduktion und baut deshalb auch schwerere Isotope ein. Findet sich ungewöhnlich viel 13C in einem Jahresring eines Baumes, ist das ein Hinweis auf ein besonders trockenes Jahr."Aber auch unter normalen Bedingungen, kann der 13C Anteil im Pflanzen-Kohlenstoff ein Indiz für physiologische Vorgänge in der Pflanzen sein", erklärt Lydia Gentsch. "Derartige Schwankungen in der Isotopensignatur, ihre Grössenordnungen und Häufigkeit, sind in Feldversuchen bisher kaum untersucht worden."

Gemessen wird von den Forschern auch die Isotopensignatur von Wasserstoff und Sauerstoff im Wasserdampf der Luft. Auch hier wollen sie wissen, wann und warum sich das schwerere Sauerstoffmolekül im Blattwasser anreichert und bei der Photosynthese aus dem Blattwasser aufgenommen wird. Auf dem Bildschirm in der Holzbaracke werden die Messungen wie eine stufenförmige Fieberkurve sichtbar. Mit dem Cursor der Maus zeigt Lydia Gentsch auf eine Stelle: "Hier öffnet sich gerade eine Bodenkammer, während da" – sie zeigt ein anderes Fenster am Bildschirm – "eine der Astkammern misst." Die Forscherin tippt mit dem Zeigefinger auf die Kurve die plötzlich nach unten ausschwenkt. "Nachdem sich die Astkammer geschlossen hat, nimmt das Kohlendioxid mit dem 12C ab." Es wird durch die Photosynthese zu Zucker verarbeitet. 13C bleibt zurück, das Kohlenstoffverhältnisse von 13C zu 12C in den Zuckern im Blatt wird dadurch kleiner als das der Umgebungsluft. Die Messungen zeigen deshalb im Tagesgang charakteristische Isotopen-Signaturen.

Im Büro in Zürich, Januar 2011

Die Arbeit im Wald liegt Monate zurück. Seit dem Ende der Feldarbeit verbringt Lydia Gentsch die Tage in einem zum Büro umfunktionierten Labor an der Rämistrasse in Zürich, umringt von den abgebauten 15 Messeinheiten der Lägeren. Sie schreibt an ihrem Computer Programme, die den unleserlichen "Datensalat" von Millionen Datenpunkten der Messeinheiten extrahieren und auseinandernehmen. Hier im warmen Büro kann man sich kaum noch vorstellen, wie aufwendig es war, die Daten zu gewinnen.

Lydia Gentsch hat die ersten Daten ausgewertet. Was für Laien bunte Kurven sind offenbaren der Wissenschaftlerin überraschende Details. So konnte sie berechnen, wie stark Pflanzen während einer bestimmten Messphase durch Photosynthese assimilieren, also Zucker bilden, oder Kohlenstoff wieder abgegeben haben. Die Kurven zeigen, dass die Blätter nicht nur - wie erwartet -, im Tagesverlauf unterschiedlich stark Photosynthese betreiben, sondern auch einen typischen Tagesgang in der 13C-Aufnahme der Blätter aufweisen. In den handgesammelten Blattproben lässt sich ein ähnlicher Tagesgang im 13C-Gehalt verfolgen. Die Daten zu interpretieren und eine Erklärung für den unterschiedlichen Tagesgang zu finden, wird eine der nächsten Aufgaben der Wissenschaftlerin sein. "Wenn etwa die Stärke der 13C-Aufnahme mit den gemessenen Umweltparametern erklärbar wäre, wäre das natürlich ideal", sagt Gentsch. "Doch so einfach wird es nicht werden, weil Pflanzen, wie alle Lebewesen, ihre physiologischen Prozesse aktiv regulieren.". Der "Kabelwald" wird die junge Forscherin daher wohl soll schnell nicht loslassen.
 

Projekt Isosycle

Das Forschungsprojekt wurde von Alexander Knohl, Assistenzprofessor an der ETH Zürich, mit einem Marie Curie Excellence Grant der Europäischen Kommission initiiert. Das Projekt erforscht den elementaren Prozess im Stoffwechselkreislauf des Wald-Ökosystems:den Kohlenstoffhreislauf. Untersucht wird hierfür die CO2-Aufnahme von Pflanzen an Buchen, sowie die CO2-Abgabe durch Pflanzen, Baumstämme und dem Boden. Am Projekt beteiligt sind neben Lydia Gentsch und Patrick Sturm weitere Mitarbeiter der Gruppen Terrestrische Ökosystemphysiologie und Graslandwissenschaften.