Die Vegetationsperioden verlängern sich
In der Phänologie werden jahreszeitlich wiederkehrende Erscheinungen in der Pflanzen- und Tierwelt beobachtet wie zum Beispiel Austrieb und Blüte von Pflanzen oder die Wiederkehr von Zugvögeln im Frühjahr. Diese Phänomene, auch phänologische Phasen genannt, stehen zum Teil in engem Zusammenhang mit Umweltfaktoren wie der Lufttemperatur. Sie sind deshalb besonders sensible Indikatoren für allmähliche Veränderungen des Klimas und zeigen positive wie negative ökologische Auswirkungen des Klimawandels auf. Andere Reaktionen in der Pflanzen- und Tierwelt wie die Veränderung von Arealen und Verbreitungsgebieten, insbesondere ihre Verschiebung in Richtung Pole und höhere Lagen sowie die Veränderung der Zusammensetzung und der Dynamik der Ökosysteme sind ebenfalls bekannt. Der Eintritt von phänologischen Phasen ist aber der geradlinigste Prozess, um die Folgen der Klimaerwärmung aufzuspüren und soll deshalb im Mittelpunkt des folgenden Beitrages stehen.
Beobachtungen in Europa und Nordamerika
In den letzten vier bis fünf Jahrzehnten werden Frühlingsaktivitäten wie die Eiablage oder der erster Gesang von Vögeln, die Rückkehr von Zugvögeln, das Erscheinen von Schmetterlingen, das Laichen von Amphibien sowie der Austrieb und die Blüte von Pflanzen früher beobachtet als in der Zeit zuvor. Mittlerweile existiert eine Vielzahl von Studien, die eine durchschnittliche Verfrühung von Blattentfaltung und Blüte um 1,4 bis 3,1 Tage pro Dekade in Europa bzw. um 1,2 bis 2,0 Tage (im Einzelfall auch 3,8 Tage) pro Dekade in Nordamerika festgestellt haben (Walther et al. 2002).
Die Auswertung der Daten der in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts mit geklonten Bäumen und Sträuchern angelegten Internationalen Phänologischen Gärten in Europa war dabei ein wichtiger Meilenstein. Anhand der Beobachtungen an diesen genetisch identischen Pflanzen konnte für große Regionen in Europa gezeigt werden, dass sich der Zeitpunkt von Blattentfaltung und Blüte in den letzten 30 Jahren im Mittel um rund sechs Tage verfrüht hat, während sich Herbstphasen wie Blattverfärbung oder Blattfall im selben Zeitraum fast überall um durchschnittlich 4,8 Tage verspäteten, folglich die Vegetationsperiode um rund elf Tage länger geworden war (Menzel und Fabian 1999).
Beobachtungen in Deutschland
Im phänologischen Beobachtungsnetz des Deutschen Wetterdienstes werden seit 1951 kontinuierlich zahlreiche Phasen an wildwachsenden Pflanzen, landwirtschaftlichen Kulturen, Wein sowie Obstbäumen von interessierten Naturliebhabern beobachtet. Die Auswertung dieser Daten zeigt, dass standortsangepasste Pflanzen ähnlich reagieren wie die Klone in den Internationalen Phänologischen Gärten und dass sich in Deutschland die Vegetationsperiode wichtiger Laubbäume zwischen 1951 und 2000 um bis zu 2,3 Tage pro Dekade verlängert hat (Menzel 2002). Bestimmt man die mittlere Verlängerung der Vegetationsperiode nur für die letzten 30 Jahre, so ergibt sich mit ca. 10 Tagen ein ähnlicher Wert wie für die Internationalen Phänologischen Gärten in Europa.
Die ersten Phasen im Frühjahr - wie die Blüte von Schneeglöckchen oder Forsythie - verfrühen sich dabei mit bis zu 3,2 Tagen pro Dekade (1951-2000) stärker als beispielsweise der Austrieb von Bäumen im Mai (1,7 Tage/Dekade bei Hängebirke, 1,6 bei Roßkastanie, 0,8 bei Rotbuche, 1,2 bei Stieleiche, 1,3 bei Maitrieb der Fichte) oder die Blüte von Obstbäumen (0,9 Tage/Dekade bei Süßkirsche, 1,1 bei Apfel) (vgl. Abb. 4). Die Ergebnisse an einzelnen Beobachtungsstationen variieren, insbesondere im Herbst, wie in den Karten der zeitlichen Trends in Abb. 1 ersichtlich.
Abb. 1a: Die Trends für Laubentfaltung bei der Hängebirke (Betula pendula) in Deutschland, beobachtet zwischen 1951 und 2000 in mindestens 30jährigen Reihen.
Rote Quadrate: Stationen mit Verspätungen (positiver Trend),
Kreise: Stationen mit Verfrühungen, wobei gelb = schwach negativer, blau = stark negativer Trend // <> -0.2 Tage / Jahr),
große Symbole: Stationen mit signifikanten Trends.
Herbstphasen
Herbstphasen wie Laubverfärbung und Laubfall tendieren zu späteren Eintrittsterminen. Diese Veränderungen variieren jedoch stärker und sind weniger einheitlich ausgeprägt als im Frühjahr. Das liegt unter anderem daran, dass bei den Herbstphasen neben der Temperatur, die nahezu ausschließlich den Eintritt des Frühjahrs steuert, auch andere Einflussgrößen, wie z. B. Wasserstress von Bedeutung sind. In Europa hat sich über die letzten 30 Jahre der Zeitpunkt der Laubverfärbung um 0,3 bis 1,6 Tage pro Dekade verspätet. Unter Berücksichtigung des Frühjahrs verlängerte sich hieraus die Vegetationsperiode um bis zu 3,6 Tage pro Dekade in den letzten drei bis fünf Jahrzehnten (Walther et al. 2002, Menzel 2002).
Andere beobachtete Phänomene
Die in Europa und Nordamerika beobachtete verlängerte Vegetationsperiode stimmt sehr gut überein mit Veränderungen, die man anhand von Vegetationsindizes aus Satellitenbildern für die mittleren und höheren Breiten der Nordhalbkugel abgeleitet hat (Myneni et al. 1997, Zhou et al. 2001). Auch aus dem Jahresgang des CO2-Gehalts mit seinem winterlichen Maximum auf der Nordhalbkugel lässt sich ein früherer Eintritt des Frühjahrs ableiten, denn die Abnahme zum sommerlichen Minimum tritt heute sieben Tage früher ein als noch 1960 (Keeling et al. 1996). Die Höhe dieser jährlichen Schwankungen in den CO2-Messreihen und den Vegetationsindices aus Satellitendaten belegen auch eine verstärkte pflanzliche Aktivität während der Vegetationsperiode. Aufzeichnungen über das Auftauen und Zufrieren von Flüssen und Seen weisen ebenfalls auf eine fortschreitende Ausdehnung der warmen Jahreszeit bzw. der frostfreien Periode hin.
Zusammenhang mit Temperatur und anderen Umweltfaktoren
Abb. 2: Zusammenhang zwischen den mittleren Eintrittszeitpunkten von Schneeglöckchenblüte, Blattverfärbung von Roßkastanie und Stieleiche sowie der Dauer der Vegetationsperiode von Roßkastanie (nach oben aufgetragen als Tage seit Jahresbeginn bzw. Tage) und entsprechenden Monatsmitteltemperaturen (nach Menzel 2002).
Pflanzen sind "integrierende Messinstrumente" der gesamten Witterung. Insbesondere Frühjahrs- und Sommerphasen in den mittleren und hohen Breiten sind stark von der Lufttemperatur des vorangehenden Winters und Frühjahrs gesteuert. Man kann dies in Experimenten oder anhand von Modellen zeigen, beispielsweise für den Austriebszeitpunkt von Pflanzen. Diese Informationen erlauben dann auch eine Abschätzung der Veränderungen unter verschiedenen Szenarien der zukünftigen Klimaentwicklung. Aber auch anhand von einfachen statistischen Analysen kann man nachweisen, dass die Vorverlegung des Frühjahrs eine Reaktion auf veränderte Temperaturbedingungen und damit wahrscheinlich eine ursächliche Folge der globalen Erwärmung ist.
Für Deutschland konnte anhand von Monatsmitteln der Lufttemperatur und der mittleren Eintrittstermine gezeigt werden, dass für Frühjahr- und Sommerphasen die Lufttemperaturen bis zu drei Monate vor deren Eintritt ausschlaggebend sind und bis zu 90 Prozent der Variation erklären. Die untersuchten Phasen verfrühen sich zwischen 2,5 und 6,7 Tagen pro Grad Celsius Erwärmung im Frühjahr. Der Zeitpunkt der herbstlichen Laubverfärbung in Deutschland dagegen ist wesentlich schlechter durch Umweltfaktoren zu erklären, sogar zwei entgegengesetzt gerichtete Temperaturfaktoren wirken: Ein warmer Spätsommer verzögert, höhere Temperaturen im Mai und Juni verfrühen dagegen die Laubverfärbung. Die Länge der Vegetationsperiode in Deutschland lässt sich je nach untersuchter Laubbaumart etwa zur Hälfte mit den Monatsmitteltemperaturen von Februar bis April erklären (Abb. 2).
Veränderungen in der Tierwelt
Die phänologische Reaktion von Pflanzen auf veränderte Temperaturen spiegelt sich auch im Tierreich wider. In Abb. 3 sind die Ergebnisse phänologischer Beobachtungen an Vögeln und Pflanzen sowie mittlere Frühjahrstemperaturen in Deutschland gegenübergestellt. Andere Beispiele aus der Tierwelt betreffen beispielsweise die Erstbeobachtung von Schmetterlingen oder das Laichen verschiedener Amphibienarten (z. B. des Laubfrosches), die an vielen Stellen nun früher beobachtet werden. Eine Vielzahl von Vogelarten in Europa und Nordamerika brütet im Mittel 6 bis 14 Tage früher als noch vor 30 Jahren. Bei den Zugvogelarten in unseren Breiten wird in den letzten Jahrzehnten ein zunehmend späterer Wegzug, ein früherer Heimzug, eine Verkürzung der Zugstrecken oder häufigeres Überwintern im Brutgebiet beobachtet. So kommen Zugvögel nun um 1,3 bis 4,4 Tage pro Dekade früher an (Walther et al. 2002).
Der Einfluss der Temperatur auf Frühjahrsaktivitäten im Tierreich konnte an zahlreichen Beispielen untersucht werden. Bei Zugvögeln spielt zusätzlich der Temperaturverlauf auf der Wanderroute eine Rolle. Die Reaktion der Vögel auf die Temperatur wird durch Tageslänge, genetische Regulationsmechanismen sowie die Populationsgröße und -dichte verändert. Deshalb ist die Reaktion bei Langstreckenziehern komplexer, von denen einige Arten keine Reaktion bzw. auch Verspätungen zeigen. Daneben dehnen südeuropäische Tierarten zunehmend ihre Verbreitungsgebiete nach Mitteleuropa aus und wandern in Mitteleuropa ein (z. B. Delta-Lehmwespe, Feuerlibelle).
Unsicherheiten
Phänologische Beobachtungen hängen natürlich von der subjektiven Einschätzung und Genauigkeit der jeweiligen Beobachter ab. Zeitliche Veränderungen sind stark vom zugrundeliegenden Untersuchungszeitraum abhängig. So können längere Reihen, die beispielsweise das ganze letzte Jahrhundert abdecken, auch Zeiträume mit verspätetem Eintreten umfassen. Nicht alle Arten und Untersuchungsstandorte weisen gleichgerichtete Reihen auf. Nicht alle Veränderungen sind gleichermaßen statistisch signifikant wie die Beispiele der Abb. 1 zeigen. Kleinere Beobachtungsungenauigkeiten, unterschiedliche Untersuchungszeiträume, biologische Variabilität und Störeinflüsse der übrigen Umweltfaktoren (z. B. städtische Wärmeinseln) sorgen dafür, dass pflanzenphänologische Beobachtungen von Ort zu Ort variieren. Dies erkennt man aber erst bei der Analyse vieler Stationen bzw. ganzer Netzwerke.
Trotz Unsicherheiten und regionaler Abweichungen besteht kein Zweifel an dem engen Zusammenhang zwischen Temperatur und Frühjahrsphasen. Phänologische und klimatologische Extremjahre entsprechen sich weitgehend. Die Frühjahre mit früheren Aktivitäten in der Pflanzen- und Tierwelt seit 1989 stellen, neben einigen anderen Jahren mit extrem früher Pflanzenentwicklung, wie 1977 oder 1926, eine Besonderheit im 20. Jahrhundert dar.
Abb. 3: Beispiele für die Reaktion von Flora und Fauna auf die Klimaerwärmung in Deutschland (nach Walther et al. 2002).
Ökologische Folgen
Die zeitlichen Verschiebungen variieren deutlich innerhalb eines Jahres. In vielen Studien wird beobachtet, dass sich Blüte oder Austrieb im Erstfrühling mehr verfrühen als die Phasen des Vollfrühlings. Abb. 3 zeigt die mittleren Änderungen (1951-2000) einzelner Phasen in Deutschland im Jahresverlauf.
Aber auch unterschiedliche Reaktionen von Pflanzen verschiedener taxonomischer Gruppen und Arten sind bekannt. Eine Auswertung der ersten Blüte von 385 britischen Pflanzenarten zeigte neben einer Verfrühung im letzten Jahrzehnt große Unterschiede zwischen den Arten. So verfrühten sich einjährige Arten tendenziell mehr als mehrjährige und Insektenblütler mehr als Windblütler (Fitter und Fitter 2002). Diese Unterschiede in der Reaktion von Art zu Art werden die Struktur von Pflanzengemeinschaften verändern.
Ökologische Konsequenzen könnten auch auftreten, wenn etwa Pflanzen ungleich von der verlängerten Wuchsperiode profitieren oder unterschiedlich durch Spätfröste im Frühjahr gefährdet sind. Der Beginn der frostfreien Periode in Deutschland (1951-2000) hat sich aber im Mittel stärker verfrüht als der Austriebszeitpunkt von Bäumen (siehe Abb. 4), so dass das Risiko von Spätfrostschäden nicht gestiegen sein dürfte.
Die verlängerte Vegetationsperiode könnte sich, ausreichende Wasser- und Nährstoffversorgung vorausgesetzt, auch positiv auf das Pflanzenwachstum auswirken. So ist sie, neben der "Düngung" durch höhere Stickstoff- und Kohlendioxidgehalte in der Atmosphäre, eine der möglichen Ursachen für die europaweit beobachtete Steigerung der jährlichen Zuwächse an Biomasse.
Die Konkurrenz zwischen Arten kann sich auch in der Tierwelt verschieben, etwa im Wettbewerb um die besten Brutplätze, bei dem Standvögel und Kurzstreckenzieher durch stärkere Veränderung ihrer Rückkehrzeiten im Vorteil wären.
Phänologische Änderungen können vielfältige Auswirkungen in Ökosystemen haben, etwa über Nahrungsketten oder Bestäubung. Das Zusammenspiel zwischen Blühzeitpunkt und Vorhandensein bestäubender Insekten, zwischen Aufbrechen der Knospen bei der Eiche und Schlüpfen der Raupen des Kleinen Frostspanners oder zwischen Brutzeitpunkt und maximaler Nahrungsverfügbarkeit bei der Kohlmeise sind Beispiele, wo die enge Synchronität in Ökosystemen gestört werden könnte (Walther et al. 2002).
Abb. 4: Mittlere Trends ausgesuchter phänologischer Phasen (nach Menzel 2002) und des letzten bzw. ersten Frostes (nach Menzel et al., submitted) in Deutschland.