Die Tanne hat sich im Zuge des "Waldsterbens" als Problembaumart ins Gedächtnis eingeprägt. Die Luftverunreinigungen sind zurückgegangen, die Tanne hat sich erholt, nur die Verjüngung leidet noch immer unter dem Verbiss. Eine neue Forschungskooperation am Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) untersucht jetzt ihr Genom – hat es etwas für die Klimaanpassung zu bieten?
Mit dem Pfahlwurzelsystem reicht die Tanne (Abies alba) sehr tief, und schon dadurch sollte sie für den Klimawandel mit Stürmen und Trockenphasen gut gerüstet sein, meinen viele. Das mag einen Kontrast zur ebenso gängigen Meinung darstellen, dass sie luftfeuchte Lagen liebt. Wenn man sich ihr Verbreitungsgebiet ansieht, merkt man aber, dass es in Italien, in den Pyrenäen oder am Balkan viel weiter in den Süden reicht als jenes der Fichte.
Darüber hinaus gibt es nahe verwandte Tannenarten bis nach Südspanien, Sizilien und Nordafrika. Diese haben sehr kleine Verbreitungsgebiete und müssen streng geschützt werden; die Vorkommen der spanischen Tanne (A. pinsapo) im Süden des Landes sind etwa gar nicht so einfach zugänglich, und ähnlich ist es bei der sizilianischen Tanne (A. nebrodensis), die unter starkem Verbiss von Weidevieh leidet.
Es ist beeindruckend, welche trockenen Kalkstandorte diese Art besiedelt – es sind aber nur mehr rund 30 Bäume übrig! Die Nachrichten über die numidische Tanne (A. numidica) in Algerien sind noch spärlicher. Allen ist aber das Vorkommen in relativ trockenen Weltgegenden gemeinsam, wenn es sich auch um Berglagen handelt.
Doch auch bei der heimischen Weißtanne hat schon MAYER (1974, S. 264) auf das Vorhandensein von Ökotypen auf trockeneren Standorten hingewiesen, oft im Regenschatten höherer Berge. Das ist auch augenscheinlich z.B. bei manchen Standorten der Abies cilicica (kilikische Tanne) im Taurus-Gebirge im Süden der Türkei. Ist also die Tanne die Antwort auf den Klimawandel? (sh. klimafitter Wald)
Die Genome der Koniferen
Dazu müssen wir noch vieles erforschen. Leider gibt es ebensowenig "den Klimawandel" wie "die einzige Antwort", sondern noch viele Unsicherheiten. Es wäre deshalb "gute forstliche Praxis", eine Reihe von Vorgehensweisen parallel auszuprobieren, und genau hier hat auch die Tanne ihren Platz. Wir müssen aber noch viel mehr über sie in Erfahrung bringen. Zum Beispiel ist das Wissen um ihre Gene und ihr Genom (also die Gesamtheit aller Gene und deren Varianten) noch sehr gering.
Trockenstandort von A. cilicica im Taurus-Gebirge in der Türkei. (Bild: BFW)
Nadelbaum-Genome sind anders als jene der Laubbäume, Sträucher und krautigen Pflanzen. In erster Linie sind sie viel größer, ohne aber aus besonders vielen Chromosomen zu bestehen. In anderen Worten, die einzelnen Chromosomen der Nadelbäume sind riesig. Der Grund könnte darin liegen, dass Nadelbäume anders mit "Genomverdoppelungen" umgehen, die im Laufe der Entwicklungsgeschichte immer wieder vorkommen. Bei Nadelbäumen könnte auch die starke Aktivität von "springenden Genen" (Retrotransposons) eine Rolle spielen.
Während die Bedecktsamer die "neuen" Gene entweder einer anderen Verwendungsmöglichkeit zuführen (Mutation) oder umgehend wieder loswerden, scheinen die Nadelbäume eher auf das "Still-Legen" dieser überzähligen Gene zu setzen, die ansonsten das delikate Gleichgewicht im Netzwerk der Gen-Wechselwirkungen in der Zelle leicht durcheinanderbringen können. Durch das Inaktivieren angesammelter Genkopien wächst das Genom jeder Zelle stark an.
Neuartige internationale Kooperation
Das hat auch Nachteile in der Evolution. Andererseits haben sie sich in speziellen ökologischen Nischen gehalten, für die ihre Art der "DNA-Vorratshaltung" auch Vorteile bieten muss. Das sind vor allem die gemäßigten und nördlichen Breiten, wo auf Grund der kältetoleranten Blattorgane (Nadeln) Photosynthese auch in weniger optimalen Jahreszeiten möglich ist. Solche Zusammenhänge will ein neues Forschungsprojekt am Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) in enger internationaler Kooperation erforschen.
Einer der letzten überlebenden Bäume von A. nebrodensis in Sizilien. Bild: BFW)
Die Initiative dazu entstand im Netzwerk "Alpine Forest Genomics" – AForGeN. Das Netzwerk trifft sich einmal jährlich im Alpenraum, um aktuelle Probleme dieser Forschungsrichtung informell zu diskutieren und Arbeiten zu koordinieren. Vor kurzem wurde das Netzwerk in eine IUFRO-Arbeitsgruppe umgewandelt und hat dadurch den Sprung in die ganze "alpine" Welt gemacht – also in die Hochgebirge der Erde.
Das Interesse für das nächste Treffen in Norditalien (Juni 2017) ist groß. Das gemeinsame Tannenprojekt soll möglichst unkompliziert vorhandene Daten zusammenbringen, das Geld für die Sequenzierung eines Baumes aufbringen, und die Daten für gemeinsame Publikationen und Weiternutzung aufbereiten. Obwohl die Nadelbaum-Genome so groß sind, ist der Aufwand für das reine Durchsequenzieren der DNA nicht mehr so hoch wie noch vor wenigen Jahren. Es wird mit reinen Laborkosten von zirka 100.000 Euro gerechnet, und diese Summe wurde von etwa zehn Institutionen in Europa bereits eingesammelt – ein relativ unkomplizierter Bottom-up- oder Crowdfunding-Ansatz.
In Österreich beteiligen sich das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, die Landwirtschaftskammer sowie voraussichtlich die Bundesländer Steiermark, Vorarlberg, Tirol, Kärnten, Salzburg und Oberösterreich an der Finanzierung. Ein Baum am Gelände der schweizerischen WSL wurde ausgewählt, und im Augenblick laufen die Sequenziermaschinen in einem Institut in Barcelona (CNAG) bereits mit dem Material dieses Baumes.
Dabei wird die DNA der riesigen Chromosomen in ganz kleine Bruchstücke zerteilt und Stück für Stück sequenziert, das heißt die Abfolge der vier Grundbestandteile der DNA wird für jedes der Stücke bestimmt. Diese überlappen sich, und so kann man in monatelanger Computerarbeit versuchen, sie wieder zu ganzen Chromosomen zusammenzustückeln. Diese Arbeit wird durch Personal- und Computereinsatz aus dem Konsortium bewältigt. Es sind leistungsfähige "Supercomputer" notwendig, um dieses gigantische "Puzzle" aus Milliarden von Einzelteilen zu bewältigen.
Ost- und West-Tannen
Tannenverjüngung in Vorarlberg (Bild: BFW)
Um mit den Daten einen Mehrwert für Österreich zu schaffen, ist geplant, sich die Tannen in Österreich näher anzuschauen. Schon vor einiger Zeit wurde festgestellt, dass diese Baumart nach der letzten Eiszeit relativ spät, aus unterschiedlichen Richtungen, nach Österreich zurückgekommen ist (MAYER 1974, BREITENBACH-DORFER et al. 1997).
Deshalb nehmen wir uns vor, Unterschiede zwischen diesen Herkunftsgebieten zu suchen. Dafür wurden uns bereits Tannen aus Vorarlberg und der Oststeiermark zur Verfügung gestellt. Mit diesem Pflanzenmaterial wollen wir messenger-RNA (Boten-Ribonukleinsäure) isolieren und untersuchen. Diese RNA transportiert in der Zelle Kopien der gerade aktiven Gene zum Ort der Proteinherstellung und stellt das Bindeglied vom "genetischen Code" der DNA zu den Proteinen dar.
Wir wollen möglichst viele Gensequenzen durch deren Sequenzierung erfassen. Dabei wird wieder ein Gemisch möglichst vieler relativ kurzer RNA-Stücke hergestellt und an Spezial-Labors zur Sequenzierung geschickt. Mit den Daten erwarten wir uns erste Aussagen zur Unterscheidbarkeit von Herkünften innerhalb Österreichs.
Geographischer Fingerabdruck gesucht
Nicht alle Gene sind komplett einheitlich, es gibt immer Varianten – Allele genannt – und diese bilden die Grundlage der erblichen Unterschiede zwischen Individuen derselben Art. Durch umfangreiche Computer-Analysen können diese kleinen Sequenz-Unterschiede aufgespürt und validiert werden. Sobald diese genetischen Marker feststehen, kann man sie auf einfachere Weise in größeren Anzahlen von Pflanzen untersuchen.
Da damit ein überwiegender Teil des gesamten Genoms abgedeckt ist, kann man auf die Suche nach genetischen Ursachen für messbare oder beobachtete Unterschiede zwischen verschiedenartigen Pflanzen gehen. Wir erwarten uns davon Informationen zu einem etwaigen "geographischen Fingerabdruck" der Tanne in Österreich, und in weiterer Folge Anhaltspunkte für tatsächliche Wachstumsunterschiede die ja letztendlich nur durch unterschiedliche Genwirkungen zustande kommen können.
Grundlage für vielfältige Forschungen
Wenn eine größere Anzahl von Pflanzen analysiert ist, kann man sich weitere Eigenschaften anschauen und nach genetischen Ursachen suchen. Diese Methode wird auch in der Humanmedizin immer häufiger angewendet, und wir erfahren daraus, dass eigentlich jeder Mensch seine oder ihre "maßgeschneiderten" Medikamente in individueller Dosis benötigt.
Bäume sind ganz ähnlich; nicht jeder Baum reagiert auf jede Behandlung gleich. Oft unterscheiden sich Herkünfte in ihren Reaktionen ganz beträchtlich. Wie erwähnt, greifen die Gene in äußerst komplizierten Netzwerken ineinander, um zum jeweiligen Zeitpunkt ein den Umwelbedingungen entsprechendes, genau ausbalanziertes Spektrum an Genen und Varianten zu aktivieren.
Das soeben begonnene Projekt wird die Basis dafür schaffen, viele der Wachstumsphänomene der Tanne zu untersuchen. Das können reine Unterschiede in der Wuchsgeschwindigkeit, im Verhalten gegenüber Krankheiten, Wettererscheinungen (z.B. Frost oder Trockenheit) und Standort bis hin zur Holzqualität sein – es stellt also eine wichtige Investition in die vielfältige Zukunft einer wichtigen Waldbaumart in Österreich dar.
- Das Literaturverzeichnis ist beim Autor erhältlich. Falls sich jemand an dem Projekt - auch finanziell - beteiligen will, kontaktieren sie diesen bitte ebenfalls.