Die Tanne und das natürliche Waldkleid Bayerns
Die Weißtanne, ursprünglich in fast allen Waldgebieten Bayerns beheimatet, ist die Nadelbaumart mit der von Natur aus größten Verbreitung. In Bayern wie in ganz Süddeutschland ist sie jedoch stets mit anderen Baumarten vergesellschaftet und kommt nur selten bestandsbildend vor. Von ihrem Charakter her ist sie eine typische Mischbaumart. Tannen-Reinbestände auf größeren Flächen sind daher in der Regel auf menschliche Einflüsse zurückzuführen. Nach der Karte der natürlichen Waldzusammensetzung Bayerns wäre die Tanne auf 1,4 Millionen ha aktueller Waldfläche am Bestandesaufbau beteiligt. Der Schwerpunkt der Tannenvorkommen in Bayern - aktuell wie auch potenziell - liegt im Bergmischwald, den Buchenwaldgesellschaften der Gebirgslagen.
Rückzug gestoppt
Die Tanne wächst in Bayern derzeit auf einer Fläche von ca. 48.000 ha. Dies entspricht einem Flächenanteil von nur noch 2 %. Hauptverbreitungsgebiete sind die Bayerischen Alpen und der Bayerische Wald. Im bayerischen Staatswald nimmt sie eine Fläche von etwa 15.000 ha ein. Über 60 % der Tannen sind älter als 100 Jahre. Der geringe Tannenanteil vor allem in den 21- bis 80-jährigen Beständen fällt auf. Es ist uns in der Vergangenheit offenbar nicht mehr gelungen, die Tanne in ausreichendem Maße nachzuziehen. Ursache hierfür ist neben oft falscher waldbaulicher Behandlung ein übermäßiger Wildverbiss bedingt durch überhöhte Schalenwildbestände. Nach dem forstlichen Gutachten zur Situation der Waldverjüngung war noch im Jahre 1991 ein Leittriebverbiss von 40 % bei der Tanne zu verzeichnen. Bis zum Jahr 2003 verbesserte sich die Verbisssituation jedoch spürbar. So ging der Leittriebverbiss mittlerweile auf 19 % zurück, während sich der Tannenanteil in der Verjüngung nahezu verdoppelte.
Schatten bevorzugt...
Die Tanne bevorzugt ein kühles, aber nicht zu kaltes und feuchtes Klima. In Mitteleuropa findet sie daher in den Alpen und den süddeutschen Mittelgebirgen ideale Wachstumsbedingungen. Sie wächst auf sauren Standorten des Bayerischen Waldes ebenso wie auf kalkhaltigen Böden der Alpen. Eine stark entwickelte Pfahlwurzel und kräftige Hauptseitenwurzeln dringen unabhängig vom Standort auch in sehr dichte Böden bis zu 2 m tief ein und sorgen so für eine außergewöhnlich hohe Stabilität.
Neben dem Großklima, das für das natürliche Vorkommen entscheidend ist, hängt das örtliche Vorkommen erheblich vom Kleinklima ab. Ein Waldinnenklima mit viel Luftruhe und hoher Luftfeuchtigkeit, wie es ein stufiger, plenterwaldartiger Bestandsaufbau am besten gewährleistet, fördert das Gedeihen der Tanne in besonderem Maße. In solchen Beständen entwickelt die Tanne eine lange Krone, eine wichtige Voraussetzung für Vitalität und Leistungsvermögen. Im Schutze des Altbestandes findet die Tanne sehr günstige ökologische Bedingungen zur Verjüngung. Ihre Fähigkeit, mit wenig Licht über Jahre hinweg im Zwischenstand auszuharren und nach Freistellung in den Hauptbestand einzuwachsen, ist der entscheidende Konkurrenzvorteil gegenüber den anderen Baumarten. Daher ist die Förderung der Stufigkeit sowie des Unter- und Zwischenstandes eine wesentliche Vorraussetzung zu Erhalt und Förderung der Tanne.
Baumgiganten als Zeichen
Weißtannen können Höhen bis zu 60 m, Durchmesser über 200 cm, Volumina von über 60 m3 und ein Alter bis zu 600 Jahren erreichen. Sie zählt somit zu den mächtigsten heimischen Bäumen. Derzeit wachsen im bayerischen Staatswald ca. 400 Tannen, die älter als 400 Jahre sind. Etwa 500 Tannen weisen einen Durchmesser von über einem Meter auf; ca. 2.000 Tannen erreichen stattliche Höhen von über 45 m. Der Zuwachs kulminiert deutlich später als jener der Fichte. Charakteristisch für die Tanne ist vor allem das im Vergleich zu Fichte und Buche langsamere Jugendwachstum. Auf vergleichbaren Standorten benötigt daher die Tanne gegenüber Fichte und Buche einen zeitlichen Wuchsvorsprung von 20 bis 30, eventuell sogar bis zu 50 Jahren.
Keine Tanne ohne Jagd
Bei keiner anderen Baumart hängen Verjüngung und Vorkommen derart von den jagdlichen Bedingungen ab wie bei der Weißtanne. In den letzten 150 Jahren stiegen die Wildbestände außerordentlich stark an. Da sich die Tanne eher in geringen Stückzahlen verjüngt, andererseits aber bevorzugt vom Wild verbissen wird, verhindern hohe Schalenwildbestände vielerorts einen gesicherten Tannennachwuchs. Wegen ihres langsamen Jugendwachstums verbleibt sie zusätzlich noch über viele Jahre hinweg in der Verbisszone. Eine am Leittrieb verbissene Tanne bildet erst im übernächsten Jahr einen Ersatzleittrieb aus. Wenn nun andere, weniger stark verbissene Baumarten die Tannen überwachsen, ist meist mit einem Totalausfall der Tannenverjüngung zu rechnen.
Es geht wieder bergauf
Bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert wird gebietsweise ein Absterben von Alttannen beobachtet. In den 1980er Jahren werden zunächst bei der Tanne, dann auch bei anderen Baumarten auf weiten Flächen starke Kronenverlichtungen gemeldet. Weiterhin waren starke Zuwachseinbrüche zu verzeichnen. Die seit dem Jahr 1983 durchgeführten Kronenansprachen zeigen, dass die Tanne bis heute die am stärksten geschädigte Baumart in Bayern ist. Mit 7 % im Jahr 2003 ist jedoch der Anteil der Tannen mit Nadelverlusten von mehr als 60 % leicht gesunken und keine der beurteilten Tannen war in diesem Jahr frisch abgestorben.
Seitdem die Schwefelbelastung der Luft deutlich zurückgegangen ist, kann bei vielen Tannen wieder ein deutlicher Anstieg des Höhen- und des Durchmesserzuwachses beobachtet werden. Es besteht berechtigte Hoffnung, dass mit der Reduktion des SO2-Ausstosses die Weißtanne wieder verstärkt in den bayerischen Wäldern Einzug hält.
Die Tanne als Hoffnungsträger
Die Mischbaumart Tanne ist ein wichtiges Element bei der Anpassung unserer Wälder an den prognostizierten Klimawandel. Extremereignissen wie Dürren, Orkanen und Sturzfluten ist sie auf Grund ihrer hervorragenden Arteigenschaften deutlich besser angepasst als viele andere Baumarten. Mit ihren tief in den Boden dringenden Wurzeln kann sie auf Standorten, auf denen nach längeren Trockenzeiten die Wasservorräte des Oberbodens aufgebraucht sind, den für andere Baumarten nicht mehr verfügbaren Wasserspeicher des Unterbodens nutzen. Gerade auf solchen Standorten ist die Tanne deshalb ein Hoffnungsträger und eine Alternative zur Fichte, die wegen der Klimaerwärmung dort besonders gefährdet ist.
Die Tanne - heute wichtiger denn je
Die Tanne ist unter den einheimischen Nadelbaumarten diejenige mit der größten potenziellen Verbreitung. Als stabilisierende Mischbaumart steht sie nicht nur für einen naturnahen und stufigen Waldaufbau, sondern sie ist Dank ihrer großen Anpassungsfähigkeit auch ein Hoffnungsträger für die Gestaltung des Waldes von morgen. Zwingend notwendige Voraussetzungen dafür sind jedoch angepasste Wildbestände und eine waldfreundliche Jagdgesinnung. Die Reduktion der Schwefelimmissionen und der Wandel hin zu naturnahem Waldbau bieten der Tanne jetzt wieder Chancen auf eine erfolgreiche Zukunft, wenn wir das Unsere dazu tun.