Jung und Alt scheinen die Rosskastanie zu kennen. Wirklich? Sicher im Frühling wegen ihrer einzigartigen Blütenpracht und im Herbst wegen der reichlich vorhandenen, mahagonibraunen Samen, den Kastanien. Doch hinter diesem Baum steckt einiges mehr. Ursprünglich stammt die Rosskastanie vom östlichen Balkan. Sie wurde gemäss dem Botaniker Carolus Clusius 1561 via Konstantinopel nach Prag und 1576 nach Wien gebracht. Dort wurde sie mit Erfolg ausgesät und als Zier- und Alleebaum nachgezogen.
Für ihren Namen gibt es mehrere Erklärungen. So wird vermutet, dass der Name "Ross" nicht anstelle von "Pferd" steht, sondern auf das alte Wort "ross" zurückgeht, welches "falsch" bedeutet. Denn mit der Esskastanie ist die Rosskastanie nicht verwandt. Die Bezeichnung Rosskastanie könnte aber auch auf die Griechen zurückzuführen sein. Sie gebrauchten die Bezeichnung hippos (Pferd) und kastanon (Kastanie). Damit ist nahe liegend, dass die griechischen Wörter einfach mit "Rosskastanie" übersetzt wurden.
Im Volksmund sind von Region zu Region die unterschiedlichsten Namen geläufig, wobei nicht immer mit Bestimmtheit die Rosskastanie gemeint ist: Chestene, Kastüterä, Rosschegälä, Chegäläbaum, Saukestänä, Bitterkastanie sowie Gichtbaum, was auf die Heilwirkung hinweist. Die Ortsnamen "Kastanienbaum" und vor allem "Castasegna" weisen eher auf die Edelkastanie hin.
Botanik
Die in der Schweiz am häufigsten gepflanzten Varianten sind die weiss blühende Rosskastanie (Aesculus hippocastanum) und die rot blühende Rosskastanie (Aesculus x carnea). Sie gehören zur Familie der Rosskastaniengewächse, die 13 Arten umfasst. Die Edel- oder Esskastanie (Castanea sativa) gehört hingegen zur Familie der Buchengewächse und ist mit der Rosskastanie botanisch nicht näher verwandt.
Kennzeichnend für die Rosskastanie sind der kurze, oft drehwüchsige Stamm und die weit ausladende, im Sommer Schatten spendende Krone. Ihre fünf- bis siebenfach handförmig gefiederten, länglichen, verkehrt sitzenden Blätter können bis 25 cm lang werden. Für einen Baum in unseren Breitengraden einzigartig ist die Blütenpracht. Die 20 bis 30 cm grossen, aufrecht stehenden, vielblütigen Rispen erinnern an einen Kerzenschmuck. Aus bis zu 100 Einzelblüten setzt sich eine solche"Blütenkerze" zusammen. Die mit einem gelben Farbmal versehenen Blüten dienen den Bienen und Hummeln als Wegweiser zum Nektar.
Nach der Bestäubung ändert sich die Blütenfarbe von einem leuchtenden Gelb in ein intensives Rot - für Insekten gleichbedeutend wie ein Stoppsignal. Die im September/Oktober reifen Früchte befinden sich in einer 5–6 cm grossen, grünen und sehr stacheligen Schale. Die 1–3 cm grossen Samen glänzen "kastanienbraun" und haben oberseitig einen hellgrau-braunen Nabelfleck. Im Gegensatz zur Edelkastanie (Maroni) können die Rosskastanien nur von Tieren verzehrt werden und dienten früher speziell den Schweinen und Schafen als Futter. Hin und wieder werden Rosskastanien noch heute in Wildpärken und Farmen dem Dam- und Sikawild verfüttert.
Heilkunde und Mythologie
Vieles an der Rosskastanie findet in irgendeiner Weise in der Heilkunde Verwendung, aber auch in der Kosmetik und in der Farbindustrie. Der heilende Wirkstoff Aesculin wird aus der Rinde und Aescin aus Samen gewonnen. Diese Stoffe erhöhen beim Menschen den Venendruck und ziehen die Blutgefässe zusammen.
In der Hosentasche getragene reife Früchte sollen bei Gicht und Rheuma Linderung bringen. Für Wanderer, Velofahrer und Reiter empfehlen Naturheiler das Mittragen von Rosskastanien, um dem "Wolf" (entzündete Hautpartien durch Scheuern) vorzubeugen. Esoteriker schreiben den Rosskastanienbäumen besondere Kräfte zu. Weil diese Bäume einerseits Ruhe und Ausgleich vermitteln, andererseits eine nervenstärkende Ausstrahlung haben, empfehlen "Baum-Umarmer" einen regelmässigen Kontakt mit ihnen.
Abb. 4 - Dank der Vielfalt der grafischen Gestaltungsmöglichkeiten sind Briefmarken oft ausgereifte Kunstwerke und enthalten Botschaften auf kleinster Fläche. Die charakteristischen Merkmale der Rosskastanie: die 20 bis 30 cm grosse, aufrecht stehende "Blütenkerze", die 25 cm langen und bis zu 10 cm breiten, fünf- bis siebenfach handförmig geteilten herbstlich gefärbten Blätter sowie die 1 bis 3 cm grossen "kastanienbraunen" Samen in ihrer grünen, stacheligen Schale. Foto: Koni Häne
Durch Rosskastanien-Miniermotte gefährdet
Seit Ende der 1980er-Jahre wird die Rosskastanie in Mitteleuropa von einer kleinen Mottenart bedroht. Die erst 1984 in Mazedonien entdeckte Rosskastanien-Miniermotte (Cameraria ohridella) ist dafür verantwortlich, dass auch bei uns zahlreiche Rosskastanien bereits im Juli/August braune oder gar kahle Kronen aufweisen. Der vorzeitige Laubfall schwächt den Baum. Das knapp 5mm lange weibliche Insekt bevorzugt zur Eiablage vor allem die Blätter der weiss blühenden Rosskastanie.
Wann auch immer wir in diesem Jahr der Rosskastanie begegnen, entzücken wir uns doch an ihrer einmaligen Blütenpracht im Frühling, geniessen wir einen schönen Sommertag unter ihrem Schatten spendenden Kronendach, beispielsweise in einem Biergarten, oder erfreuen wir uns im Herbst an den sich leuchtend gelb verfärbenden, riesigen Blättern.
Abb. 5 - Rosskastanien-Miniermotte (Cameraria ohridella). Fotos: Beat Wermelunger, Beat Fecker (beide WSL)
(TR)