Sowohl ökologische als auch wirtschaftliche Potenziale könnten die Zerr-Eiche (Quercus cerris L.) zu einer interessanten Alternativbaumart werden lassen. Denn sie verfügt über eine breite ökologische Amplitude gegenüber wesentlichen abiotischen Standortfaktoren, die für die zweite Hälfte unseres Jahrhunderts für einige Regionen Brandenburgs prognostiziert werden.
Das European Forest Data Centre (EFDAC, Joint Research Centre), prognostiziert bei unterschiedlichen Szenarien des Klimawandels eine natürliche Migration der Zerr-Eiche aus ihrem (ost-)submediterranen Hauptverbreitungsgebiet in den norddeutschen Raum bis zum Ende des 21. Jahrhunderts (http://forest.jrc.ec.europa.eu/publications). Am Beispiel eines größeren Vorkommens im Kommunalwald Prenzlau sollen die Entwicklungschancen der Zerr-Eiche unter forstwirtschaftlichen Gesichtspunkten beleuchtet werden. Im Focus der Untersuchungen (2009-2012) standen der Wachstumserfolg und Kronenzustand als Vitalitätsweiser sowie Merkmale der Holzqualität der Eichen.
Beschreibung des Vorkommens
Abb. 1: Bestand der Zerr-Eiche im Stadtwald Prenzlau.
In dem bis dahin unbekannten, stammzahlreichen Vorkommen der Zerr-Eiche im Kommunalwald Prenzlau, (Oberförsterei Milmersdorf, Wuchsgebiet: Ostmecklenburg-Nordbrandenburger Jungmoränenland) kommen Zerr-Eichen in drei Teilpopulationen vor, die sich auf einer Gesamtfläche von 30 ha verteilen. Entsprechend der Standortkarte stocken die Bestände auf Böden der Stammnährkraftstufen „kräftig“ und „reich“, mit Lehmfahlerde und Bändersand-Braunerde als Feinbodenformen. Humusformen sind mullartiger Moder, Moder und Rohhumus. Die vorherrschende Klimastufe des Gebiets ist mäßig trockenes Tiefland (Großklimabereich Beta) mit mittleren Jahresniederschlägen von 450 mm bis 600 mm und einer Jahresmitteltemperatur von 8,6 °C (KÖSTNER 2007).
An 12 Zerr-Eichen wurden Bohrspäne und zusätzlich sechs Stammscheiben dendrochronologisch untersucht. Die durchmesserstärksten Eichen hatten ein Alter von 120 Jahren, so dass von einer künstlichen Bestandesbegründung um 1890 ausgegangen werden kann. Über die Herkunft des Saatgutes liegen keine Informationen vor. In mehreren Jahrzehnten der Bestandesentwicklung hat sich der ursprüngliche Bestand mehrfach natürlich verjüngt. Gezielte Bewirtschaftungseingriffe sind weder bekannt noch äußerlich sichtbar, so dass sich zumindest in den letzten Jahrzehnten eine weitgehend natürliche Differenzierung vollzogen hat.
Vitalität
Verglichen wurde der unbelaubte Kronenzustand im Winter 2009/10 (n= 134 Eichen) und 2011/12 (n=115 Eichen) nach KÖRVER et al. (1999). Während die Zerr-Eichen im belaubten Zustand deutlich vitaler aussahen als die Trauben-Eichen von Brandenburger Dauerbeobachtungsflächen, bestätigten die Kronenstrukturen diesen Eindruck nicht. Die durchschnittliche Vitalitätsstufe aller Bäume betrug im Jahr 2009/10 5,8 (Fensterstadium bis Mittel-/Grobaststadium) und bei der Wiederholungsaufnahme 2011/12 5,6. Bei der Bewertung ist zu berücksichtigen, dass der Bestand über Jahrzehnte nicht gepflegt wurde, so dass schlecht veranlagte Bäume das durchschnittliche Gesamtergebnis mindern.
Wuchsleistung und sekundäres Dickenwachstum
Für die Bewertung der Wuchsleistung wurde der Stammdurchmesser bei 1,3 m Höhe (BHD [cm]) und die Baumhöhe der 134 stärksten Stämme vermessen. Die BHD der untersuchten Eichen variierten von 15 und 74 cm mit einem mittleren Durchmesser von 46 cm. Die Baumhöhen schwanken zwischen 13 m und 34 m mit einem Mittelwert von 27 m. Angesichts der eingeschränkten Pflege ist der Wachstumsverlauf im Vergleich zur Ertragstafel der Trauben-Eiche (Grundflächenmittelstamm der höchsten Ertragsklasse, ERTELD 1962) beachtlich. Der Vergleich der mittleren Jahrringbreiten zwischen den untersuchten Zerr-Eichen und einer Trauben-Eichen-Versuchsfläche auf einem Standort überdurchschnittlicher Nährkraft (Hirschfelde, Abt. 5506) zeigt, dass die Zerr-Eichen an diese überdurchschnittliche Wuchsleistung heranreichen
Frostrisse und -leisten
Abb. 3: Frostleiste am Stamm einer Zerr-Eiche.
Die Bonitur der Frostrisse und Frostleisten erfolgte für die untersten sechs Meter des Stammes bei 134 Bäumen in vier Intensitätsstufen (0: keine Frostrisse und -leiste). Bei dem untersuchten Vorkommen wiesen 50 % aller Bäume (n = 67) frostbedingte Stammschäden auf, wobei ihre Häufigkeit mit dem BHD anstieg. Unterhalb von 29 cm BHD traten keine Stammschäden auf. Bei zunehmendem Durchmesser nahm gleichzeitig der Anteil der Intensitätsstufen 0 und 1 ab, während Bäume der Intensitätsstufen 2 und 3 immer häufiger wurden. Anderseits zeigte die Hälfte der Bäume keine Frostschäden. Zu dieser Gruppe gehören auch drei durchmesserstarke Eichen bis zu 69 cm BHD. Zusammenhänge zwischen dem Kronenzustand und den frostbedingten Stammschäden ließen sich nicht erkennen.
Stufe | Frostleisten | Frostrisse |
0 | keine | keine |
1 | keine | 1 |
2 | 1 (ab 1 cm Breite) | 2-3 |
3 | >1 | >3 |
Holzqualität des Schaftholzes
Ergänzend zu den frostbedingten Stammschäden wurden weitere wertbestimmende Merkmale des Schaftholzes nach der Handelsklassensortierung (HKS) am stehenden Baum klassifiziert.
Erwartungsgemäß war die Holzqualität aller erfassten Stämme des ungepflegten Bestandes zu gering, um Wertholz in überdurchschnittlichen Anteilen zu erzeugen. Dennoch konnten 11 % des Volumens aller Sägeholzabschnitte der Güteklasse A zugeordnet werden. Die restlichen 89 % entsprachen zu ungefähr gleichen Teilen den Güteklassen B, C und D. Die hauptsächlichen wertmindernden Merkmale waren tiefe Ansätze von Sekundärästen und Frostrisse und -leisten. Vor allem in den wertvollen stärkeren Sortimenten kam dadurch wenig Wertholz der Güteklasse A vor. Die Ansatzhöhe der ersten Sekundäräste lag zwischen 40 % und 20 % der Gesamthöhe der Bäume.
Schlussfolgerungen
Die Untersuchungen an den Prenzlauer Zerr-Eichen zeigen exemplarisch, dass die Zerr-Eiche in unserer Region seit langer Zeit überlebensfähig ist und sich erfolgreich verjüngt. Die Vorzüge der Baumart liegen neben ihrer hohen physiologischen Anpassungsfähigkeit vor allem im raschen Biomasseaufbau in der Jugend. Diese Fähigkeit kommt dem Druck nach kürzeren Umtriebszeiten bei zunehmenden Klimaveränderungen zur Risikominderung oder ihrer Verwendung in Agroforestry-Systemen entgegen.
Obwohl die wenigen Bäume des Prenzlauer Bestandes keine repräsentativen Aussagen zulassen, liegen die ermittelten Vorräte auf einem hohen Niveau (414 m3/ha), was den Angaben aus dem natürlichen Verbreitungsgebiet auf einem Standort mittlerer Güte (409 m3/ha) entspricht (SCHÜTT 1997). Da die heimischen Eichen der Ertragsklasse I bei gleichem Alter und mäßiger Durchforstung einen Vorrat von 385 m3 /ha (SCHOBER 1995) aufbauen, ist das Wuchspotenzial von Zerr-Eiche von besonderem forstlichen Interesse. Standortwahl und Genotyp werden künftig über das Wuchspotenzial der Zerr-Eiche im norddeutschen Tiefland entscheiden.
Die vorliegenden Ergebnisse unterstützen Ausbreitungsmodelle, nach denen sich die aktuellen natürlichen, nördlichen Arealgrenze der bislang submediterranen Hauptverbreitung gen Norden unter den Bedingungen des Klimawandels verschieben wird. Diese hohe Plastizität der Baumart sollte forstlich genutzt werden. Im Sinne eines „sanften“, proaktiven Waldbaus müssten hierzu mittelfristig (bevorzugt) auf potenziellen Grenzstandorten kleinflächig alternative Eichenarten (sowie auch Arten anderer Gattungen) vorzugsweise als Saat oder Pflanzung im Voranbauverfahren getestet werden (GLATZER und SCHRAMM 2010). Dies wäre sowohl ein Beitrag für die Entwicklung arten- und strukturreicher Mischbestände als auch für die Risikovorsorge zum grundsätzlichen Walderhalt unter Extrembedingungen. Bei diesem Vorgehen wären die (ökonomischen und ökologischen) Risiken gering bei gleichzeitiger Erhaltung der multifunktionalen Zielsetzung der künftigen Waldbewirtschaftung.