Als geeigneter Landschaftsausschnitt erwies sich ein hinsichtlich Wäldern und Waldreststrukturen stärker fragmentiertes Gebiet südlich von Güstrow (Mecklenburg-Vorpommern), welches durch eine überwiegend intensive Agrarnutzung gekennzeichnet ist. Neben der artenreichen Familie der Käfer wurden hier auch Wildbienen und -wespen sowie nachtaktive Großschmetterlinge erfasst und die Beifänge zahlreicher weiterer Artengruppen ausgewertet.

Unerwarteter Artenreichtum einer Kulturlandschaft

In den Wäldern und Waldreststrukturen des Untersuchungsgebiets wurde eine überraschend artenreiche Fauna mit vielen gefährdeten, seltenen und geschützten Arten sowie zahlreichen Urwaldreliktarten der Käfer (13 Arten nach Müller et al. 2015, 19 Arten nach Eckelt et al. 2017) vorgefunden. Auch die Lebensgemeinschaften der Großschmetterlinge und Stechimmen erwiesen sich als unerwartet artenreich. Darüber hinaus wurden für zusätzlich begutachtete Artengruppen wie Weberknechte, Schweb- und Raubfliegen und vor allem Schlupfwespen beachtliche Artenspektren ermittelt. Weitere Insektenordnungen sind noch in Bearbeitung.

Unter den nachgewiesenen Arten waren zahlreiche Neu- und Wiederfunde für Mecklenburg-Vorpommern, Deutschland und mit Acrotona nigerrima sogar eine neue Käferart für Mitteleuropa. Besonders bemerkenswert sind diese faunistischen Ergebnisse vor dem Hintergrund, dass es sich bei allen untersuchten Standorten im Gebiet um forstlich bewirtschaftete Wälder bzw. landwirtschaftlich genutzte Flächen handelt.

Bedeutung der Waldränder und weiterer lichtbegünstigter Waldstrukturen

Waldrändern kommt entsprechend unserer Befunde eine besonders hohe Bedeutung zu. Häufig finden wir hier Bäume, die deutlich älter als der dahinterliegende Bestand sind. Darüber hinaus sind Waldränder aufgrund des höheren Lichteinfalls reich an krautigen Pflanzen und Sträuchern (Blüten), was für viele Insekten essenziell ist. In unserer Untersuchung waren die Artenzahlen der Käfer und Stechimmen hier signifikant höher als in den Waldinnenbereichen (s. Abb. 2).

Diese Erkenntnisse lassen die "Verinselung" der Waldfläche in einem neuen Licht erscheinen. Denn daraus resultiert eine größere Gesamtlänge der Waldränder, die für die Waldfauna als aufwertende Biotopstrukturen mit positiven Randeffekten und höherem Lichteinfall zu bewerten sind.

 

Besondere Bedeutung historisch alter Waldstandorte

Die Bedeutung historisch alter Wälder konnte auch in unserer Untersuchung zumindest für die Käfer (aber auch für das Vorkommen von Großpilzen) untermauert werden. Es zeigte sich, dass historisch alten Wäldern eine hohe Bedeutung für den Erhalt ausbreitungsschwacher Spezialisten wie den Urwaldreliktarten (UWR) zukommt. So waren sowohl die Artenzahlen als auch die Aktivitätsdichten der UWR auf Probeflächen in historisch alten Wäldern signifikant höher als auf jungen Waldstandorten.

Bedeutung des Erhalts und der Förderung alter Bäume im Offenland

Besonders überrascht waren wir von der Untersuchung eines waldfreien Landschaftsausschnitts mit Waldreststrukturen wie isoliert stehenden, starken Alteichen, kleinen Feldgehölzen und alten Hecken innerhalb einer intensiv genutzten Agrarlandschaft (s. Abb. 3). Hier ließ sich bis mindestens in das Jahr 1786 die Existenz von Wald nachweisen. Bemerkenswert war die Konzentration von insgesamt 7 UWR in diesem waldfreien Bereich. An keiner der untersuchten Alteichen (BHD zwischen 110 und 180 cm) war die Artenkombination der nachgewiesenen UWR identisch. Daraus wird die hohe Bedeutung jedes einzelnen dieser alten Bäume inmitten der nicht besiedelbaren Agrarlandschaft für das Überleben der vorgefundenen Arten deutlich.

Alte Bäume mit zahlreichen Sonderstrukturen, wie ausgedehnten Totholzbereichen, Großhöhlen, Starkastabbrüchen, Pilzbesiedlung etc. sind in der Offenlandschaft essenzielle Habitatrefugien, räumliche Verbindungselemente ("Trittsteine") und sichern die zeitliche Lebensraumkontinuität für xylobionte Spezialisten. Ihre Anreicherung mit weiteren Waldreststrukturen und/oder extensiv behandelten Bereichen mit krautiger Flora wertet sie in ihrer Lebensraumfunktion zusätzlich auf. Die Erhaltung dieser Strukturen als besondere Träger der Biodiversität in unserer Kulturlandschaft ist von großer Bedeutung. Aufgrund des zumeist hohen Alters der Bäume, gerade in der offenen Landschaft, muss zeitnah für Kontinuität gesorgt werden. Dringend sollten in der Umgebung solcher Standorte geeignete Altbaumanwärter (breitkronig erwachsene Einzelbäume, insbesondere Eichen, Linden, übergangsweise ggf. auch Kopfweiden) eingebracht bzw. gefördert werden.

Fazit

Der Nachweis von 554 xylobionten Käferspezies, darunter 13 bzw. 19 UWR, verbunden mit unerwartet hohen Artenzahlen anderer Insektengruppen in der hier untersuchten Kulturlandschaft erscheint außergewöhnlich. Er erklärt sich zum Teil aus dem Set der untersuchten Flächen, das sich von geschlossenen Wäldern über kleinere Waldinseln bis hin zu Alleen, Hecken und einzeln stehenden Feldeichen erstreckt.

Die Ergebnisse belegen die Bedeutung des bisher im Waldnaturschutz oft zu wenig beachteten Faktors Licht für die Insektenfauna. Dabei kommt Waldrändern aufgrund ihrer höheren Lichtexposition eine besondere Rolle zu. Ihre Anlage, Erhaltung und Pflege wurde unter Berücksichtigung der Projektergebnisse durch die Oberste Forstbehörde Mecklenburg-Vorpommerns gerade neu geregelt.

Das Vorkommen solitärer, alter Bäume im Wald, an Waldrändern und auch in der Offenlandschaft hat essenzielle Lebensraum- und Trittsteinfunktionen und sichert das Überleben seltener Alt- und Totholzspezialisten z. T. über Jahrhunderte. Ihr nachhaltiger Bestand scheint gefährdet. Dem sollte im Interesse des Schutzes der Biodiversität heimischer Insektenpopulationen unbedingt Beachtung geschenkt werden.