Das Waldgesetz für Bayern (BayWaldG) legt nicht nur fest, dass der Wald nachhaltig bewirtschaftet werden soll, es führt auch aus, dass die biologische Vielfalt des Waldes zu erhalten und erforderlichenfalls zu erhöhen ist. Deutlich wird uns die Artenvielfalt am ehesten durch unsere Fauna. Aber wie steht es um die landbewohnenden Tierarten in Deutschland und in seinen Wäldern? Und wo genau liegt die Artenvielfalt in unseren Wäldern?
Überall kreucht ´s und fleucht ´s
Derzeit kommen in Deutschland auf fast 357.000 Quadratkilometern etwa 42.000 landbewohnende Tierarten vor. Dabei kommt Wäldern als Lebensraum für Tierarten eine besondere Bedeutung zu: Sie sind die mit Abstand bedeutendsten Vegetationsform und gehören zu den naturnächsten Elementen unserer Landschaft. Aufgrund ihrer vertikalen Struktur weisen Wälder ein vielfältiges Angebot an Nahrung, Deckung und Brutmöglichkeiten auf – gerade für kletternde und fliegende Tierarten.
Untersuchungen haben gezeigt, dass der einheimische Buchen-Wirtschaftswald deutlich mehr Arten beherbergt als bislang angenommen. In vier untersuchten Buchennaturwaldreservaten in Hessen kommen durchschnittlich 5.810 Tierarten vor. Damit kommen 14 Prozent der Tierarten Deutschlands auf rund 70 Hektar Wald vor! Einzelne Tiergruppen erhalten hier noch eine größere Bedeutung: Hier finden sich 50 Prozent der Regenwürmer, 30 Prozent der Großschmetterlinge, 28 Prozent der Spinnen und 21 Prozent der Käfer Deutschlands. Auf gerade mal 0,00002 Prozent seiner Fläche!
Es kommt uns im Wald aber nicht darauf an, die Artenzahl zu maximieren, sondern die waldtypische Artenvielfalt zu erhalten. So sind beispielsweise Moore schützenswerte Lebensräume, auch wenn dort nur wenige, dafür aber spezialisierte Arten vorkommen.
Auch in Bayern wurden Naturwaldreservate und Vergleichsbestände intensiv untersucht, unter anderem im Hienheimer Forst bei Kelheim. Diese Untersuchungen liefern wertvolle Informationen für die naturnahe Bewirtschaftung der Wälder.
Wo leben alle diese Arten im Wald?
Mit fast drei Viertel stellen den größten Teil der Tierarten die Insekten. Wirbeltiere machen lediglich zwei Prozent der heimischen Fauna aus. Deshalb bleiben dem Waldbesucher die meisten der waldbewohnenden Tierarten verborgen; sie leben beispielsweise im Kronenraum der Bäume, im Holz und unter der Rinde oder in der Streu- und Humusschicht.
Netzflügler, Wanzen und Schmetterlinge – Lieblingsplatz Kronenraum
In Mitteleuropa gibt es 140 Arten der Netzflügler (z.B. Kamelhalsfliege, Florfliegen). In den untersuchten Naturwaldreservaten im Hienheimer Forst wurden 45 Arten in den Kronen gefunden. In Wälder mit mehreren Baumarten war die Anzahl der Netzflüglerarten höher als in anderen. Lichtbaumarten wie Eiche oder Lärche beheimaten mehr Netzflüglerarten als Schattbaumarten wie die Buche. Erstaunlicherweise beherbergt im Hienheimer Forst die Lärche, die dort außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes vorkommt, die meisten Netzflüglerarten.
Auch Wanzen bevorzugen das Stratum Kronenraum. Von den 800 Wanzenarten in Mitteleuropa sind die meisten Pflanzensauger, nur zehn Prozent der Arten leben räuberisch. Viele Wanzenarten stellen besondere Ansprüche an Klima und Habitatstruktur und eignen sich daher besonders als Indikatorgruppe. In den Wäldern des Hienheimer Forstes konnten 60 Wanzenarten nachgewiesen werden (8 % der in Deutschland vorkommenden Wanzenarten). In den vier untersuchten hessischen Naturwaldreservaten konnten insgesamt sogar 181 Wanzenarten nachgewiesen werden (20 % der Wanzenarten Deutschlands). Sie bevorzugen eindeutig Laubbäume; die für Wanzen bedeutsamste Baumart ist die Eiche. Außerdem steigt die Artenzahl mit dem Alter der Waldbestände.
Von den 2.983 bayerischen Schmetterlingsarten leben 955 Arten an Laub- und 116 Arten an Nadelbäumen. Am beliebtesten ist dabei die Eiche, vor Birke und Weide. Relativ wenige Arten leben an Lärche, Wacholder und Eibe (Tab. 1). In den bayerischen Naturwaldreservaten konnten bisher rund 70 Prozent aller bayersicher Schmetterlingsarten nachgewiesen werden, in den vier Untersuchungsgebieten in Hessen 427 Großschmetterlingsarten.
Käfer – Holz und Rinde bevorzugt
Die Käfer stellen mit 350.000 bekannten Arten die größte Gruppe innerhalb der etwa eine Million bekannten Insekten. Allein in Bayern sind 5.000 Käferarten bekannt. Da viele Käferarten eng an Holz gebunden sind, ist der Wald für sie besonders bedeutsam. Neben Käfern, die das Holz als Lebensraum haben (z.B. holzbrütende Borkenkäfer, Bockkäfer, Pochkäfer) gibt es auch Rindenbewohner und Frischholzbesiedler (z.B. rindenbrütende Borkenkäfer, Bockkäfer, Prachtkäfer) oder Käfer, die auf Baummulm, Baumhöhlen, Holzpilze oder weitere Sonderstrukturen (z.B. Ameisennester, Saftstellen an Bäumen, Brandstellen im Wald) spezialisiert sind.
Sehr beliebt sind auch bei den Käfern die Eichen (über 1.000 Arten in Mitteleuropa). Im Spessart wurden allein an sechs untersuchten Traubeneichen 110 Käferarten, davon 48 Arten der Roten Liste gefunden. Im Eichenholz verschiedener Zersetzungsstadien entwickeln sich die größten heimischen Käferarten, z.B.
- Hirschkäfer (Lucanus cervus)
- Großer Eichenbock (Cerambyx cerdo)
- Großer Goldkäfer (Protaetia aeruginosa)
- Nashornkäfer (Oryctes nasicornis)
Durch gezielte forstliche Pflege und Verjüngung kann die ökologisch wertvolle Baumart Eiche gefördert werden.
Abb. 3: Der Große Eichenbock gehört zu den größten Käferarten, die in Bayern vorkommen. Er hält sich vor allem auf sehr alten, kränkeldnen Eichen auf. Die Larve lebt bis zu fünf Jahre im Holz der Eiche. Derzeit ist in Bayern nur noch ein Fundort im Bamberger Luisenhain bekannt (Foto: L. Straßer).
Xylobionte Käfer – Totholz-Fans
Von den 5.000 Käferarten in Bayern sind etwa 1.200 sogenannte xylobionte Käferarten. Xylobionte sind Käferarten, die sich während des überwiegenden Teils ihrer individuellen Lebensspanne am oder im gesunden oder kranken Holz aufhalten. Wichtig ist für sie der Habitatkomplex Totholz, der sich in unterschiedliche Lebensräume gliedert. Kronentotholz ist beispielsweise für die Eiche als Totasterhalter eine typische Struktur.
Für die xylobionten Käferarten ist aber weniger die Baumart als vielmehr der Zersetzungszustand des Holzes entscheidend. Totholz-, Mulm- und Rindenkäferarten treten am artenreichsten dort auf, wo große Mulmhöhlen in Bäumen entstehen können. Hier werden von den Totholzkäfern zum Beispiel Pappel, Linde und Ulme aber auch fremdländische Baumarten wie Rosskastanie, Trompetenbäume (Catalpa), Schnurbäume (Sophora) und Robinien (Robinia) genutzt (Abb. 4).
Schnecken – stecken in Streu und Humus
In Streu und Humus halten sich zahlreiche Tierarten auf. Regenwürmer, Asseln, Hornmilben, Springschwänze, Trauermücken, Haarmückenlarven und Schnecken spielen als Erstzersetzer der Streu eine wesentliche Rolle im Nährstoffkreislauf unserer Wälder. Gerade Schnecken (190 Landschneckenarten in Deutschland) können als Indikatoren für bestimmte Waldtypen herangezogen werden. In bayerischen Naturwaldreservaten wurden bisher 95 Landschneckenarten gefunden.
In Wälder mit hohen Laubholzanteilen, vor allem mit Edellaubbaumarten auf nährstoffkräftigen Böden, können durchaus 50 bis 60 Landschneckenarten vorkommen. Deutlich weniger sind es in bodensauren Hainsimsen-Buchenwäldern oder in Eichenwäldern. Ganz wenige Schneckenarten treten in Kiefern- und Fichtenwäldern wegen der dort sauren Nadelstreu auf (drei bis fünf Arten).
Schneckenarten lieben es grundsätzlich kühl, feucht und schattig. Sie benötigen vor allem liegendes aber auch stehendes Totholz, in dem sie sich während Trockenphasen verstecken können. Eine auffällige Art der Kalkbuchenwälder ist der Steinpicker (Helicigona lapicida). Er besitzt ein bis zu zwei Zentimeter durchmessendes Gehäuse, das scharf gekielt ist (Abb. 5).
Leckerbissen Weichlaubholz
Bedeutsam für die Artenvielfalt in unseren Wäldern sind die Weichlaubhölzer. Dabei werden Vogelbeere, Weide, Aspe und Birke von den Tierartengruppen unterschiedlich genutzt (Abb. 5). Während die Vogelbeere für Vögel sehr interessant ist, haben Weiden und Birken einen besonderen Stellenwert für Schmetterlinge. Birken bieten mit ihren Kätzchen auch noch einigen Vogelarten Nahrung (z.B. Birkenzeisig, Erlenzeisig, Haselhuhn).
Wichtig ist allerdings, dass einzelne Weichlaubhölzer auch in Altbestände einwachsen können. Denn nur am alten Baum können spezialisiert Arten wie beispielsweise der Aspenborkenkäfer (Trypophloeus asperatus) vorkommen. Diese Art war in Bayern etwa 100 Jahre verschollen und konnte erst durch ein Projekt der LWF an alten Aspen in Franken nachgewiesen werden.
Naturnahe Forstwirtschaft – erfolgreich in Bayern
Nach der Bundeswaldinventur (BWI) ist die Fläche der Laubbäume in Bayern in den letzten Jahren stetig gewachsen. Auch die für die Biodiversität so wichtigen Weichlaubhölzer halten mit 190.000 Hektar einen bemerkenswerten Anteil von acht Prozent. Die Totholzanteile, als wichtigstes ökologisches Strukturelement unserer Wälder, sind auf 22,0 Kubikmeter pro Hektar angewachsen.
Wie Waldbewirtschafter weiter an der Biodiversitätsschraube drehen
An erster Stelle steht, die natürlichen Waldgesellschaften zu erhalten und zu fördern. Förster und Waldbesitzer streben weiterhin stabile Mischwälder an, die neben den Klimaxbaumarten auch Pionierbaumarten enthalten. Wichtig ist zudem, die Strukturvielfalt zu erhalten bzw. zu fördern. Das kann durch Totholzanreicherung, Biotopbäume, Lichtschächte und Lücken (für vertikale und horizontale Strukturen) sowie lichte und dichte Waldpartien, verschiedene Produktionszeiträume und Zeitmischungen geschehen. Besonders wichtig sind punktuell und lokal größere Anteile an Alters- und Zerfallsstadien. Außerdem sind auch "Null-Flächen" als Trittsteine notwendig (z.B. Altholzinseln, Naturwaldreservate).
Letztendlich führt eine Vielfalt von Strukturen und Nischen zur Artenfülle unserer Wälder. Maßnahmen dafür sind:
- Habitate (Mulmhöhlen usw.) erkennen und belassen, Markierung von Biotop- und Methusalembäumen
- stehendes und liegendes Totholz belassen
- Weichlaubhölzer in Verjüngungen und Kulturen belassen und einzelne Exemplare in ältere Altersklassen einwachsen lassen
- blütenreiche Wegränder im Wald sowie Waldränder erhalten und entwickeln
Naturnahe Forstwirtschaft – auf ganzer Fläche
Es ist machbar, die Habitatpflege auf möglichst großer Fläche in die Bewirtschaftung zu integrieren und damit Trittsteine für waldtypische Arten zu schaffen. Diese waldtypischen Arten kennen weder Nutzungs- noch Schutzkonzepte – sie reagieren auf Strukturen!
Die Strukturvielfalt im Urwald entsteht durch dynamische Zerfallsprozesse (z.B. Sturm, Brand), im Wirtschaftswald durch forstliche Nutzung (z.B. Pflege, Durchforstung). Ein naturnaher Waldbau nutzt natürliche Prozesse ganz selbstverständlich. Eine integrative Waldbewirtschaftung kann mit geeigneten forstlichen Maßnahmen kleinflächige Störungsmuster (z.B. Lichtschächte) und deren positive ökologische Wirkungen nachahmen. Sie kann auch kleinflächige natürliche Störungen als ökologische Bereicherung integrieren – ohne dabei andere Waldfunktionen oder ökonomische Ziele zu gefährden.
Die naturnahe Forstwirtschaft hat die Verantwortung für den Artenschutz in den Wäldern erkannt und bekennt sich dazu. Eine multifunktionale Forstwirtschaft hat auch das Ziel, die waldtypische Artenvielfalt zu erhalten. Diesem Ziel wird ein integrativer Ansatz am besten gerecht: Naturnahe Nutzung und Prozessschutzelemente (z.B. Biotopbäume, Totholz) auf ganzer Waldfläche!
Der Vorteil dieses integrativen Ansatzes besteht eindeutig in seiner Trittsteinfunktion für viele Arten und in dem vergrößerten Nutzungsgeflecht zwischen Lebensräumen und Arten.