Waldbau ist heutzutage – obwohl klassisches forstliches Grundhandwerk - nicht mehr das alleinige Privileg der Forstleute. Nicht zuletzt durch den Rio-Prozess mit der Initiierung von Lokaler Agenda und den Waldzertifizierungsprozessen muss waldbauliches Handeln heute Aspekte der Ökonomie, der Ökologie und der Gesellschaft aufnehmen und integrieren. Dies gilt insbesondere in der dicht besiedelten und intensiv genutzten Oberrheinebene.
Der badische Rheinauewald ist kommunal geprägt - und bedeutsam
Als Bezugsgebiet werden ausschließlich die Waldgebiete unterhalb des sogenannten Hochgestades in der nacheiszeitlichen (holozänen) Rheinaue betrachtet. Dieses schmale Waldband zieht sich am Rhein entlang von Basel bis Mannheim. Es weist mit Mannheim im Norden und Karlsruhe in der Mitte den zweit- und drittgrößten Ballungsraum in Baden- Württemberg auf. Entsprechend intensiv ist das Gebiet besiedelt und industrialisiert.
Die Waldnutzung in diesen Bereichen ist durch die Freizeit- und Erholungsaktivitäten einer urban geprägten Bevölkerung charakterisiert. Die Waldfläche beträgt insgesamt ca. 16.000 ha Wald, davon liegen etwa 3.000 ha in der sog. Trockenaue südlich von Breisach. Der Waldbesitz ist zu 71% kommunal, schlägt man die französische Gemeinde Rhinau, die forstrechtlich als Privatwald behandelt wird, ebenfalls dem Gemeindewald zu, befinden sich die Auewälder zu fast 80% in kommunaler Hand.
Außerhalb der genannten Ballungsgebiete liegen die waldbesitzenden Gemeinden überwiegend im ländlich geprägten Raum mit häufig schwacher wirtschaftlicher Struktur. Den Erträgen und den Überschüssen aus der Waldbewirtschaftung kommt in diesen Gemeinden noch ein besonderes Gewicht zu. Dementsprechend wird auch eine wirtschaftlich erfolgreiche Ausrichtung bei der Führung des Forstbetriebs erwartet.
Auch wenn der kommunale Waldbesitz teilweise der Betriebsleitung und der Beförsterung durch das Land Baden-Württemberg unterliegt, erfolgt die Festlegung der waldbaulichen Zielsetzung nur in enger Abstimmung mit der Gemeinde als Waldbesitzer.
Noch geringer ist der staatliche Einfluss auf die Jagdbewirtschaftung und Jagdausübung in diesen Kommunalwäldern, obwohl dies von großer waldbaulicher Relevanz ist.
Auewälder haben hohe naturschutzfachliche Bedeutung
Abb. 2: Totholz im Auewald unterliegt schnellen Zersetzungsprozessen. (Foto: FVA)
Neben diesen wirtschaftlichen und eigentümerspezifischen Zielsetzungen sind in jüngerer Zeit auch naturschutzfachliche Anforderungen und Ziele – vor allem durch Natura 2000 mit FFH- und Vogelschutz-Richtlinie – zunehmend von Bedeutung. So sind derzeit fast 98% der Waldfläche FFH-Gebiet. In der Rheinaue ist dies durch die hohe Dominanz von Waldgesellschaften, die zu den FFH-Lebensraumtypen zählen, wie Weich- und Hartholzauewälder, bedingt. Dabei sind die Erhaltungs- und Entwicklungsziele für diese Lebensraumtypen über geeignete waldbauliche Verfahren mit der Waldbewirtschaftung in Einklang zu bringen.
Besonders betroffen sind hiervon Baumartenwahl und Verjüngungsverfahren, ferner die Erhaltung von Strukturen vom stehenden Totholz bis hin zur historischen Mittelwaldwirtschaft.
Standortsbedingungen haben sich großflächig verändert
Weitere Rahmenbedingung für den Waldbau bilden die natürlichen Voraussetzungen für die Waldwirtschaft, insbesondere die Beschaffenheit der Standorte. Auf regionaler Ebene untergliedert sich das Gebiet in drei Wuchsbezirke:
- Den Bereich zwischen Basel und der Stauzone des Kulturwehrs Breisach mit dem Rheinseitenkanal und dem Rest-Rhein sowie dem durch die Wasserausleitung und die Rheineintiefung entstandenen Trockengebiet. Hier finden sich nur noch schmale Galeriewälder entlang des Rheinufers unterhalb des ersten Uferdamms. Die Trockenaue hat einen Anteil von knapp 20% am Gesamtgebiet.
- Zwischen Breisach und Iffezheim den Bereich der sog. Schlingenlösung mit den großen Stauhaltungen mit abwechselnd eingetieften und aufgestauten Fließstrecken. Hier finden sich noch flächig Auenwälder, deren Auendynamik aber stark gestört ist und vielfach schon normalen terrestrischen Standorten gleicht. Die Wälder der Staubereiche haben mit etwas über 50% den größten Anteil am Rheinauewald.
- Zwischen Iffezheim und Mannheim der Bereich des Vollausbaus mit dem frei fließenden Rhein. Hier finden sich innerhalb der Haupthochwasserdämme noch Auenwälder mit weitgehend intakter Auendynamik. Die Wälder der freien Fließstrecke haben fast 30% Anteil am Rheinauewald.
Die lokale standortskundliche Gliederung entspricht weitgehend der Aufteilung in die bekannten Auewaldstufen mit Hoher und Tiefer Hartholzaue sowie der Weichholzaue, die in Pappel- und Weidenaue untergliedert ist. Hinzu kommen die Standorte der historischen Aue, welche durch die Störung der Überflutungsdynamik außerhalb der intakten Aue entstanden sind.
Im Gesamtgebiet überwiegen mit 75% Anteil an der Waldfläche die Standorte der historischen Aue. Hartholz- und Weichholzaue verteilen sich etwa hälftig auf das restliche Viertel. Diese noch weitgehend auetypisch funktionierenden Standorte befinden sich zu fast 90% im nördlichen Wuchsbezirk zwischen Iffezheim und Mannheim, im mittleren Rheinabschnitt finden sich davon noch 7% überwiegend der Weichholzaue und im südlichen Rheinabschnitt sind sie flächig ohne Bedeutung.
Auf den historischen Auestandorten mit Substratangabe überwiegen die Standorte mit schluffig-lehmigem Substrat deutlich gegenüber sandig-kiesigen Substraten. Das ist deshalb von waldbaulicher Bedeutung, weil sich auf diesen günstigeren Standorten bei der Waldverjüngung und teilweise auch in älteren Waldphasen die konkurrenzstarken Buntlaubbäume meist gegenüber langsamer startenden Baumarten, z. B. der Stieleiche, durchsetzen.
Größter Unterschied in der jüngeren Waldgeschichte im Vergleich zum Elsass - die flächige Überführung zum Hochwald
Während die Waldgeschichte bis etwa Mitte des 19. Jahrhunderts in Elsass und Baden noch weitgehend parallel verlief (siehe Kasten), hat in Baden im 20. Jahrhundert die Entwicklung des Waldbaus und der Waldgeschichte durch die planmäßige Überführung zum Hochwald und die hydrologischen Auswirkungen des Baus von Rheinseitenkanal und Kraftwerksstufen einen anderen Verlauf als im Elsass genommen. So waren Mittel- und Niederwälder, die als solche bewirtschaftet wurden, das letzte Mal in der Forsteinrichtungsperiode 1961- 1970 ausgewiesen (2% Niederwald, 3% Mittelwald).
In den Folgejahrzehnten wurden mangels entsprechender Bewirtschaftung nur noch ehemalige Mittelwälder erfasst, deren Anteil sukzessive von 10% (1971-1980) auf 3% (1991-2000) zurückging.
Überblick der Waldgeschichte in den badischen Rheinauewäldern
• bis Ende 18. Jahrhundert: Viehweide, Eckerweide, Gras- und Schilfnutzung, Brenn- und Bauholzwirtschaft, Förderung fruchttragender Baumarten
• Mitte 19. Jahrhundert: Rheinkorrektur durch Tulla, Übergang zu einem geregelten Mittelwaldbetrieb für Brenn- und Bauholz, weiterhin Vieheintrieb, Faschinengewinnung
• ab Ende 19. Jahrhundert: Zunehmende Industrialisierung mit hohem Nutzholzbedarf bei abnehmendem Brennholzbedarf: Allmähliche Überführung in Hochwald
• ab Mitte 20. Jahrhundert: Starke Kriegsverwüstungen und Bestandesschäden. Nach Ende des 2. Weltkriegs Bau des Rheinseitenkanals und der Kraftwerksstufen und nachfolgender Veränderung der Waldstandorte
Basis der waldbaulichen Behandlung - die naturnahe Waldwirtschaft
In der badischen Rheinaue bilden im öffentlichen Wald - wie in ganz Baden-Württemberg - die Grundsätze und Ziele der naturnahen Waldwirtschaft das Fundament für den Waldbau. Dies sind im wesentlichen:
- Nutzung natürlicher Entwicklungsprozesse im Waldökosystem
- Naturnahe, standortsgerechte und stabile Mischwälder zur Wertholzproduktion
- Möglichst den Lichtansprüchen der Baumarten angepasste Naturverjüngungsverfahren
- Stufiger, ungleichaltriger Bestandesaufbau und Aufbau von Naturverjüngungsvorräten
- Schadensvermeidung bei Holzernte und Walderschließung;
- Angepasste Schalenwildbestände
- Konkretisierung und Operationalisierung des Waldbaus mit sogenannten Waldentwicklungstypen als Verfahrensbeschreibung für die waldbauliche Behandlung. Diese umfassen Waldbestände mit vergleichbarem Ausgangszustand, ähnlicher Zielsetzung und Behandlung.
Von den landesweit 19 Waldentwicklungstypen sind in der Rheinaue der Buntlaubbaum-Mischwald mit 28% Flächenanteil, der Stieleichenmischwald mit 11% Flächenanteil und der Pappel-Mischwald mit 8% Flächenanteil am wichtigsten und häufigsten. Die langfristige Baumartenplanung und damit Bestockungszielsetzung setzt mit 94% Laubbaumarten (ca. 28% Bergahorn und Esche, 29% sonstige Laubbäume inkl. Erle und 25% Eiche) den Schwerpunkt auf Standortsgerechtigkeit und Naturnähe.
Die waldbauliche Bilanz – viel Licht, aber auch Schatten
Baumartenzusammensetzung:
Mit 93% Laubbaumarten liegt die aktuelle Baumartenzusammensetzung ziemlich exakt auf dem anvisierten Zielanteil. Größere Abweichungen liegen bei den sonstigen Laubbaumarten, bei denen derzeit Pappel, Erle und Esche über den Zielanteilen liegen, und der Eiche vor, deren derzeitiger Anteil deutlich unter dem langfristigen Ziel liegt. Der Negativtrend bei der Eiche zeichnet sich nicht nur durch die Zeitreihe der Nachkriegszeit ab, er wird auch besonders deutlich bei den jüngsten Daten der BWI 2. Hier erreichen in der Verjüngung die langlebigen sonstigen Laubbaumarten Anteile von fast 90%, währenddessen die Eiche nur noch auf 1% kommt. Die geänderten standörtlichen Voraussetzungen, aber auch der naturnahe Waldbau mit einer stärkeren Orientierung der waldbaulichen Behandlung am Einzelbaum und der Bevorzugung der Naturverjüngung finden hier ihren Niederschlag.
Naturnähe der Bestockung:
Überraschend angesichts der positiven Entwicklung in der Baumartenzusammensetzung ist die Bewertung der Naturnähe der Bestockung. Gegenüber dem Landesdurchschnitt aller Wälder, hat der Rheinauewald im Bereich der bedingt naturnahen und kulturbetonten Wälder überdurchschnittlich hohe Anteile, währenddessen sehr naturnahe Waldausprägungen unterrepräsentiert sind. Da die Naturnähebewertung auf der hypothetischen Baumartenzusammensetzung des Standortswaldes beruht, schlagen die ungünstige Bewertung des Bergahorns in der Rheinaue, teilweise aber auch der anderen Buntlaubbaumarten sehr stark durch. Der Anteil der kulturbestimmten Wälder resultiert überwiegend aus den Beständen der Schwarzpappelhybriden, der Roteiche und der wenigen Nadelbaumarten.
Totholzvorräte:
Auch hier ist das Bild zwiegespalten. Einerseits weist der Auewald gut das 1,4 fache der liegenden Totholzvorräte des Landesdurchschnitts auf, andererseits betragen die stehenden Totholzvorräte gerade mal dessen Hälfte. Auch wenn die schnellere Totholzzersetzung im Laubholz eine natürliche Ursache für dieses Ergebnis bildet, sind die stehenden Totholzvorräte absolut als zu gering zu bewerten.
Schalenwildverbiss:
Die exemplarische Darstellung der Verbisssituation bei der Eiche zeigt für das Ende der 90er Jahre mit fast der Hälfte gering verbissener Fläche ein sehr erfreuliches Bild, das sich in den zwei folgenden Erhebungen deutlich verschlechtert. Mit nur noch einem Viertel gering verbissener und einem Viertel stark verbissener Fläche ist die ungünstige Verjüngungssituation der Eiche im Auewald zusätzlich belastet. Eine Rolle haben hier sicherlich die Sturmflächen infolge Lothar gespielt, welche die Biotopkapazität für das Schalenwild erhöht, die Bejagbarkeit aber häufig erschwert haben.
Waldbauliche Handlungsfelder für die Zukunft
- Naturschutzfachliche Bewertung und Zielsetzung für die Buntlaubbaumbestände:
Angesichts der Standortsveränderungen und des Naturverjüngungspotentials der Buntlaubbaumarten sollte gemeinsam mit dem Naturschutz eine Form der waldbaulichen Behandlung dieser Bestände gefunden werden, welche einerseits die Baumartenzusammensetzung in den Naturverjüngungen nicht gegen den Strich bürstet, andererseits auch zu für den Naturschutz befriedigenden Bestandeszusammensetzungen und -strukturen führt. Eine solche Vorgehensweise könnte unabhängig von der bekanntermaßen kontrovers geführten Naturnähebewertungs- Diskussion zum Ziel führen. - Verjüngungsproblematik bei der Eiche:
Die Eiche ist und bleibt das Sorgenkind Nr. 1 im Auewald. Auch in Zukunft wird sich eine gewünschte Eichenbeteiligung nur über kostenintensive Anbaumaßnahmen erreichen lassen. Es steht zu befürchten, dass ohne zusätzliche Fördermaßnahmen die Kostensituation künftig das Maß der Eichenbeteiligung bestimmen wird. - Erhaltung und Förderung der Totholzanteile:
Hierbei sollte eine nachhaltige und mit der normalen waldbaulichen Behandlung kompatible und umsetzbare Konzeption zur Totholzbewirtschaftung angestrebt werden. - Verbesserung der Verbisssituation.
- Auswirklungen des Klimawandels auf Standortsbedingungen, Baumarteneignung und -zusammensetzung sowie auf die Waldschutzsituation.
- Verschärfung der Waldschutzsituation.
- Auswirkungen der geänderten Überflutungsdynamik und der neuen hydrologischen Verhältnisse im Integrierten Rheinprogramm.
- Verbesserung der Ertragslage der kommunalen Forstbetriebe.
Es scheint so, als sei das Bündel der Handlungsfelder so vielfältig wie der Rheinauewald selbst. Angesichts der zunehmenden interdisziplinären und supranationalen Vernetzung in forstlicher Wissenschaft und Praxis besteht für eine erfolgreiche Aufarbeitung dieser Problemfelder aber berechtigte Hoffnung.