Dass liegen gelassenes Sturmholz Wildtiere in der Mobilität behindert und junge Bäume vor Verbiss schützt, ist einleuchtend und wird deshalb meist nicht weiter hinterfragt. Anderseits gibt das Sturmholz den Wildtieren Deckung und Schutz vor Störungen. Ein Versuch hat nun gezeigt, dass das Wild auch an Orte hingelangt, wo man es nicht unbedingt vermuten würde. Es wurde aber auch bestätigt, dass das liegen gelassene Sturmholz tatsächlich eine schützende Wirkung hat.

Bei der Wiederbewaldung von Windwurfflächen können frei lebende Huftiere das Wachstum junger Bäume entscheidend beeinflussen. Wird eine rasche Wiederbewaldung angestrebt (Schutzwälder), kommen Wachstumseinbussen oder gar Ausfälle durch Wildverbiss ungelegen. Es stellt sich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen liegen gelassenes Sturmholz kleine Bäume vor dem Verbiss durch Schalenwild schützen kann.

Da wir Menschen es als höchst beschwerlich empfinden, eine ungeräumte Fläche zu durchqueren, liegt die Vorstellung nahe, dass das auch für Huftiere der Fall ist. Literatur zum Thema ist jedoch nur dürftig vorhanden und lässt kein abschliessendes Urteil zu.

Nach dem Sturm "Vivian" (27./28. Februar 1990) untersuchte die Forschungsanstalt WSL die Entwicklung auf geräumten und ungeräumten Flächen. Dabei stellte sich auch die Frage, ob das kreuz und quer liegende Sturmholz die natürliche Verjüngung vor dem Verbiss schützen könnte. Erste Beobachtungen führten zur Vermutung, dass der Schutz junger Bäume gegen Verbiss nicht homogen auf der ganzen belassenen Fläche im gleichen Ausmass zu erwarten ist. Eine Diplomarbeit, in der neben Verjüngung und Verbiss auch der Kot von frei lebenden Huftieren ausgezählt wurde, bestätigte die sehr heterogene Nutzung von belassenen Windwurfflächen durch Schalenwild. Es wurde festgestellt, dass "auf der nicht behandelten Teilfläche eine flächige Nutzung durch das Wild nicht mehr möglich ist".

Gibt es Stellen, wo das Wild nicht hinkommt?

Als Hypothese nahmen wir an, dass die liegenden Baumstämme Huftiere am Zugang zu bestimmten Stellen hindern. Dies würde bedeuten, dass es innerhalb der ungeräumten Fläche ganze Stellen von mehreren Quadratmetern Grösse gibt, die von Wildverbiss verschont werden. Die Kenntnisse zu Existenz, Lage und Beschaffenheit solcher Stellen sollten verbessert werden. Der Schutz, den auch Äste für einzelne Pflanzen punktuell darstellen, war hingegen nicht Gegenstand der Untersuchung. Auch bestand in diesem Versuch nicht die Absicht, die Auswirkung des Verbisses auf die Wiederbewaldung zu messen und zu beurteilen.

Untersuchungsgebiet Wildbanngebiet Kärpf

Die Fallstudie realisierten wir im Niderental in der Gemeinde Schwanden, Kanton Glarus, zwischen 900 und 1100 m ü. M. (Abb. 1). Das Gebiet war 1990 vom Sturm "Vivian" stark betroffen. Insgesamt entstanden in der Region 300 ha Kahlflächen. Der zerstörte Wald hatte aus Fichte sowie wenig Tanne, Buche und Bergahorn bestanden. Das Objekt liegt im Eidgenössischen Wildbanngebiet Kärpf. Erfahrungsgemäss werden hier gepflanzte und nicht geschützte Tannen schon nach wenigen Tagen verbissen.

Wildpräsenz, Baumart und Art der Wiederbewaldung lassen eine extreme Verbissgefährdung erwarten. Für die Prüfung der aufgestellten Hypothese waren die Bedingungen jedoch optimal: Nur wenn auch unter derartigen Umständen bestimmte Stellen im Sturmholzverhau von Verbiss verschont blieben, könnte man daraus schliessen, dass es wirklich Stellen gibt, die für frei lebende Huftiere unzugänglich sind beziehungsweise vollständig von ihnen gemieden werden.

Testpflanzung von Tannen

Da an den Stellen, die wir als genügend geschützt betrachteten, kaum Naturverjüngung zu finden war, die wir hätten beobachten können, legten wir Testpflanzungen an. Im Jahre 1997 wurden in schwer zugänglichen, geschützten Winkeln der ungeräumten Sturmfläche einige Tannen gepflanzt. Es wurden also Stellen ausgesucht, wo nach unserer Einschätzung das Wild nicht hinkommen sollte (Abb. 2). An zehn Stellen wurden am 16. April 1997 je sieben dreijährige, nicht verschulte, 10 bis 20 cm grosse Tannen aus dem Pflanzgarten der WSL gesetzt (Abb. 3), total 70 Pflanzen. An acht Stellen auf der angrenzenden geräumten Fläche wurden ebenfalls je sieben Tannen gesetzt (total 56 Pflanzen).

Zugang erschwert, aber nicht verhindert

Nach 16 Tagen waren auf der belassenen Fläche vier Bäume verbissen, alle auf der gleichen Pflanzstelle. Auf den anderen neun Pflanzstellen fand sich noch keine Wildeinwirkung. Auf der geräumten Fläche waren hingegen insgesamt 14 Pflanzen verbissen, verteilt auf fünf der acht Pflanzstellen. Schon ein Jahr später hatte das Wild an allen Pflanzstellen Bäume verbissen, sowohl in der geräumten als auch in der belassenen Fläche, obwohl letztere durch Baumstämme und Äste stark verbarrikadiert war (Abb. 4).

Keine Pflanzstelle im Sturmholz blieb ganz verschont. Der Anteil verbissener Individuen zeigt aber, dass diese Stellen deutlich weniger frequentiert werden als die frei zugänglichen. Nach zwei Wochen waren noch 94% der gepflanzten Bäume unversehrt (gegenüber 75 auf der frei zugänglichen Fläche), nach einem Jahr waren es 36 (7), nach drei Jahren 24 (2) und nach sieben Jahren immerhin noch 17% (0); siehe Abbildungen 5 und 6.

Folgerungen für die Praxis

Stellen, von denen das Wild ganz fernblieb, wurden nicht gefunden. Insofern konnten wir die Hypothese nicht bestätigen. Im Winter sucht das Wild mit Vorliebe Nahrung unter Vorsprüngen aller Art. Dort ist die Vegetation nicht von Schnee bedeckt und leichter zugänglich. Spuren im Schnee bestätigten, dass das Wild speziell im Winter für die Nahrungssuche in den Sturmholzverhau vordringt. Das erklärt, warum wir schliesslich an sämtlichen Pflanzstellen Frassspuren des Wildes fanden, obwohl wir für die Pflanzung möglichst unzugängliche Stellen ausgesucht hatten.

Es zeigte sich aber auch, dass liegen gelassenes Sturmholz tatsächlich eine gewisse Schutzwirkung hat. Im Sturmholzverhau war der Verbiss deutlich reduziert, sowohl hinsichtlich Häufigkeit wie hinsichtlich dem Anteil betroffener Pflanzen. Die praktische Relevanz der Schutzwirkung wird aber durch einige Aspekte relativiert:

  • Die besonders geschützten Stellen sind nicht sehr verjüngungsfreundlich und die Verjüngung stellt sich nur in reduziertem Ausmass natürlich ein.
  • Die Untersuchung betrachtet nur einen Zeitraum von sieben Jahren. Danach sind die Tannen dem Verbiss noch nicht entwachsen, und es ist davon auszugehen, dass die Schutzwirkung mit dem Zerfall des Holzes abnimmt.
  • Holz liegen lassen kommt am ehesten in Betracht, wenn die Nutzfunktion des Waldes nicht im Vordergrund steht, etwa in Reservaten oder Schutzwäldern. Handelt es sich um ein Reservat, ist die Abwendung des Verbisses jedoch kein vordringliches Anliegen, und um die Wirkung eines Schutzwaldes möglichst schnell wieder herzustellen, ist die Räumung kombiniert mit technischer Wildschadenverhütung das sicherere Vorgehen.

Folgende Erkenntnisse lassen sich aus der Pilotstudie gewinnen:

  1. Sturmholzverhau schützt die von Huftieren bevorzugte Baumart Tanne nur in beschränktem Ausmass und über wenige Jahre vor Verbiss. Diese Schutzwirkung könnte bei geringeren Huftierdichten und weniger gern geästen Baumarten zwar höher sein; sie müsste allerdings in einem Schutzwald deutlich länger andauern, damit die Verjüngung rasch dem Äser entwächst und schutzwirksam wird.
  2. In wichtigen Schutzwäldern auf Sturmholz als Verbissschutz zu setzen, ist beim heutigen Kenntnisstand zu riskant.
  3. Um die Dauer der Verbissschutzwirkung von Sturmholz besser abschätzen zu können, sind weitere Untersuchungen anderer Baumarten und auf anderen Standorten nötig.

 

(TR)