Der Tannenkrebs wird durch den einheimischen Rostpilz Melampsorella caryophyllacearum verursacht. An den Befallsstellen an jungen Zweigen bilden sich Anschwellungen, Faserstörungen im Holz und Risse im Rindengewebe sowie ein abnormes Triebwachstum ("Hexenbesen", Abb. 1). Wenn der Leittrieb bzw. der Stamm befallen sind, wird die Holzqualität nachhaltig beeinträchtigt (Abb. 2); betroffene Baumhölzer (Abb. 3) werden als "Rädertannen" bezeichnet. Im Lauf von Jahren oder Jahrzehnten kommt es häufig zu sekundären Infektionen durch den Tannenfeuerschwamm(Phellinus hartigii), wodurch die Bäume an dieser Stelle faulen und nachfolgend abbrechen.

Die Krankheit ist im gesamten Areal der Weißtanne (Abies alba) und einiger anderen Tannenarten in Europa und Nordamerika verbreitet. Der spezifische Wirtswechsel des Schadpilzes mit Nelkengewächsen, die in der Bodenvegetation mehr oder weniger dicht mit der Tanne vergesellschaftet sind, ist Teil der natürlichen Biodiversität von Tannenwäldern. Für den Wirtschaftswald wurde diese Krankheit bereits von Heck (1894) als teils gravierender Schadfaktor dokumentiert.

Gegenwärtig werden viele Fichtenbestände auf geeigneten Standorten zu Mischwäldern umgebaut. Dadurch sollen die Bestände stabilisiert werden. Bei Fehlen von Naturverjüngung wird dies über Vorbauten in die Wege geleitet. In den letzten Jahren mehrten sich die Beobachtungen, dass nicht nur Naturverjüngungen sondern auch die Vorbauten teilweise stark vom Tannenkrebs befallen werden.

Symptome und Entwicklungszyklus

Tannen vom Dickungsalter bis zum jungen Baumholz können im Frühjahr an jungen Nadeln infiziert werden. Der Pilz wächst von hier in die Zweigachse und bleibt auf Dauer dort lokal im Kabialbereich. Durch die Produktion von Pflanzenhormonen veranlasst der Pilz dort zunächst eine Verdickung (Abb. 4, Pfeil). In den Folgejahren entsteht hier ein immer umfangreicherer "Hexenbesen"), der systemisch (durch und durch) vom Pilz infiziert ist. Die Nadeln sind hier gedrungen, heller gefärbt und nur einjährig und fallen im Spätsommer bereits wieder ab, so dass diese abnormen Zweige im Winterhalbjahr kahl sind (Abb. 1). Die Hexenbesen treiben im Frühjahr bereits im April etwa vier Wochen vor dem normalen Austrieb. An der Unterseite ihrer Nadeln brechen zahlreiche Sporenpusteln auf, welche blassgelbe Aecidiosporen verstäuben (Abb. 5, 6), die ausschließlich Nelkengewächse (hauptsächlich Sternmieren und Hornkräuter) infizieren können. Dieser Wirtswechsel ist obligatorisch. Eine Übertragung von Tanne zu Tanne findet nicht statt.

Das häufigste Nelkengewächs in den Tannenwäldern Baden-Württembergs ist die Waldsternmiere (Stellaria nemorum, Abb. 7, 8); sie ist somit der Hauptüberträger des Tannenkrebses. Nach ihrer Infektion durch die Aecidiosporen des Rostpilzes entstehen an ihrer Blattunterseite Sommersporen (Abb. 9). Diese Uredosporen dienen der Propagation des Pilzes unter den Sternmieren. In deren Blättern und Stielen überwintert der Pilz in Form von unauffälligen Teliosporen, von denen wiederum im Frühjahr über Basidiosporen die Tannen infiziert werden.

Verbreitung und Schäden

In einer aktuellen Untersuchung an 11 Beständen im Südschwarzwald und auf der Baar wurde festgestellt, dass neben Naturverjüngungen auch Vorbauten von zwei bis zu 100 % in den Stammachsen vom Tannenkrebs befallen sein können. Damit entstand zum Teil erheblicher wirtschaftlicher Schaden. Starker Befall ist immer an ein deutlich sichtbares Vorkommen der Waldsternmierein der unmittelbaren Nachbarschaft gekoppelt. Dies ist besonders entlang von Gräben, Wegrändern und Rückegassen der Fall. Weitere Standortsfaktoren sind von geringer Bedeutung. In der Forstschädlingsmeldung 2009 wurde Tannenkrebs auf 1435 ha als wirtschaftlich fühlbar und auf 16 ha als bestandesbedrohend gemeldet (Abb. 10). Der Befall von Zweigen kann als völlig harmlos gelten. Mit steigendem Befallsgrad steigt jedoch auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Stammachse befallen wird, was mit wirtschaftlichem Schaden durch Qualitätseinbußen und evtl. vorzeitigem Einschlag verbunden ist. Auch wenn sich Astinfektionen in Stammnähe befinden, wachsen sie im Lauf der Jahre jeweils langsam aufeinander zu, so dass der Pilz schließlich in den Stamm einwächst. Bei Astkrebsen, die sich näher als 10 cm vom Stamm befinden, kann man dies als sicher annehmen (Abb. 12). Wenn der betroffene Ast jedoch vorher durch Ausdunkelung abstirbt, geht auch die entsprechende Infektion zugrunde.

Der Pilz im Kambialbereich führt sowohl zu einer abnormen lokalen Verdickung der Rinde als auch des Holzes. Das Holz weist hier zwar Faserstörungen auf, jedoch zunächst noch keine Fäule. Allerdings ist die Rindenbildung unter diesen Bedingungen oft fehlerhaft (Abb. 11), so dass der Holzkörper insbesondere am Stamm von vieljährig befallenen Tannen ("Rädertannen") oft freiliegt (Abb. 13). Dadurch kommt es hier nicht selten zu Sekundärinfektionen durch holzzerstörende Pilze. Insbesondere der Tannenfeuerschwamm (Phellinus hartigii) führt oft zu einer Fäule, so dass die Tannen an dieser Stelle abbrechen (Abb. 14). Die Stammkrebse von Baumhölzern befinden sich auf unterschiedlichen Höhen; im Schnitt bei etwa fünf Metern. Geerntete Rädertannen werden in der Regel an den Befallsstellen abgelängt, um qualitätsbedingte Preisabschläge zu vermeiden.

Zusammenfassung und Folgerungen

  1. Der Tannenkrebs ist eine natürlich mit der Tanne vergesellschaftete Pilzkrankheit, die bereits in früheren Jahrhunderten zu Schäden an Tannenbeständen geführt hat.
  2. In aktuellen Tannenvorbauten wurden teilweise extrem hohe Befallsanteile festgestellt. Diese sind immer mit einem starken Vorkommen von Zwischenwirten des Rostpilzes, insbesondere der Waldsternmiere (S. nemorum), verbunden.
  3. Zur Verminderung des Befallsdrucks wird vorgeschlagen, keine Tannen im unmittelbaren Bereich von Gräben, Waldstraßen und Rückegassen, wo die Waldsternmiere vor allem vorkommt, zu pflanzen. Evtl. sind Randstreifen mit Mischbaumarten sinnvoll. Weiterhin sollten gefährdete Bestände nicht zu stark aufgelichtet werden, um eine zusätzliche Ansiedelung von Sternmieren in der Bodenvegetation zu verhindern.
  4. Eine reguläre Ästung der Tannen sollte in gefährdeten Bereichen unterbleiben. Wegen der Neigung der Tanne zu Wasserreisern könnten frische Infektionen dort zu Stammkrebsen führen. Die selektive Entnahme von Ästen mit stammnahen Krebsen (vor deren Verwachsung mit dem Stamm) kann unter günstigen arbeitswirtschaftlichen Bedingungen sinnvoll sein.
  5. Tannen mit Stammkrebsen ("Rädertannen") stehen gesunden Tannen zunächst im Wachstum kaum nach. Wegen der Rindenrisse sind sie jedoch anfällig für holzzerstörende Pilze, so dass sie oft an der Befallsstelle abbrechen. Wegen dieses Risikos sollten sie bei regulären Durchforstungen und bei der Bestandespflege bevorzugt entnommen werden.

Literatur

  • [1] Heck CR, 1894: Der Weisstannenkrebs. Springer Berlin, 163 S. [2] Holdenrieder O, 1994: Krankheiten der Tanne Abies spp.. Schweiz. Beitr. Dendrologie 43: 11-21. [3] Podner T. 2008: Zum Vorkommen von Tannenkrebs in Weißtannenvorbauten im Südschwarzwald und auf der Baar. Bachelorarbeit im Studiengang "Waldwirtschaft und Umwelt" der Uni Freiburg. 41 S. [4] Podner T; Metzler B: 2009; Factors favouring broom rust infection in advance plantings of Abies alba in SW-Germany; IUFRO-Conf. SDU Faculty of Forestry Journal, Isparta TR, Spec Ed.: 182-186. [5] Roth C, 1955: Die Wachstumsgeschwindigkeit von Weißtannenkröpfen. Schweiz. Z. Forstwes. 106: 657-665. [6] Schroeter H; Delb H; Metzler B: 2009. Waldschutzsituation 2008/2009 in Baden-Wuerttemberg. AFZ/Der Wald 64: 336-339. [7] Solla A; Camarero JJ, 2006: Spatial patterns and environmental factors affecting the presence of Melampsorella caryophyllacearum infections in an Abies alba forest in NE Spain. Forest Pathology 36: 165 – 175.