In Schweizer Tierparks gehört er zu den Publikumslieblingen: der nordamerikanische Waschbär. Die Indianer nannten ihn ursprünglich Aroughoun, "der mit den Händen kratzt". 1976 wurde im Kanton Schaffhausen erstmals ein Waschbär beobachtet. Fast unbemerkt hat sich der drollige Kleinbär mit der charakteristischen Gesichtsmaske, dem schwarz-weiss geringelten Schwanz und den flinken, krallenbewehrten Pfoten in die Schweiz eingeschlichen. Seit 2003 besiedelt er auch die Uferregion des Genfersees.
Erfolgreiche Vermehrung
Die ersten in die Nordschweiz eingewanderten Waschbären hatten sich offensichtlich erfolgreich vermehrt, denn sonst wären in den 1980er-Jahren keine weiteren Exemplare in den Kantonen Solothurn, Baselland, Thurgau, Schaffhausen, Aargau, Bern und Zürich aufgetaucht. Dem gut katzengrossen Beutegreifer scheint es in der Schweiz zu gefallen. Der Waschbär hat bei uns kaum natürliche Feinde, und er kann sich gut anpassen. Er darf ganzjährig gejagt werden, weil man befürchtet, dass der Eindringling anderen Tierarten den Lebensraum streitig macht.
Des Pelzes wegen eingeführt
Die ersten Waschbären wurden vor etwa 80 Jahren zum Zwecke der Pelztierhaltung nach Deutschland eingeführt. 1934 schafften sie dann den Sprung in die freie Wildbahn Mitteleuropas. Dank der grossen Fruchtbarkeit zählt man heute weit über 100'000 Tiere.
Tierliebe hat Grenzen
Viele Menschen bringen dieser Tierart, die in Nordamerika heimisch ist, Sympathien entgegen. Zahlreiche Bewohner von Kassel, Hannover, Hamburg oder Berlin haben jedoch wegen der geringen Fluchtdistanz und der Anpassungsfähigkeit der kleinen Schleckmäuler seit einigen Jahren grosse Probleme. Zuerst füttern sie die Waschbären mit schmackhaften Früchten und Küchenabfällen. Wenn sie dann fast zahm sind und immer mehr Artgenossen mitbringen, werden sie die Bären nicht mehr los. Diese nisten sich im Gebälk der Einfamilienhäuser ein und toben dort zu Dutzenden herum. Als nächstes entstehen auf den Dachböden penetrant stinkende Latrinen. Und wenn sie auch noch Dachbalken und Mauerwerk aushöhlen, bis der Putz auf die Köpfe der Hausbewohner herab bröckelt, dann ist es mit der Tierliebe plötzlich vorbei.
Datenbank der Waschbären
So weit ist es in der Schweiz glücklicherweise noch nicht. Zurzeit dürfte die schweizerische Waschbärenpopulation nur wenige Hundert Tiere ausmachen. Die Eidgenössische Jagdstatistik weist für die Jahre 1993 bis 2015 lediglich zwischen null und vier (Jahre 2001 und 2002) Waschbären pro Jahr aus. In denen Jahren 2010-2012 und 2014 wurde kein Tier geschossen und pro Jahr im Durchschnitt nur ein Tier als Opfer des Strassenverkehrs erfasst. Im Jahr 2001 allerdings wurden sieben Tiere gefangen oder erlegt. Ein erstes Zeichen dafür, dass diese eingewanderte Tierart bei uns nicht nur Fuss gefasst hat, sondern sogar auf dem Vormarsch ist? "Nein", meint Simon Capt vom Centre Suisse de Cartographie de la Faune (CSCF) in Neuenburg, der alle gesichteten und gemeldeten Schweizer Waschbären in einer Datenbank erfasst hat (siehe Abb. 2). Gemäss Capt gibt es nicht einmal gesicherte Informationen darüber, dass sich der Waschbär in der Schweiz fortpflanze.
Auf der Verbreitungskarte des CSCF vom 10.01.2022 ist deutlich zu erkennen, dass der Waschbär vor allem entlang der Flüsse und Seen im Schweizer Mittelland, im Jura und in den Voralpen beobachtet wurde. Vor allem in der Nähe des Genfer- und Bodensees sowie entlang der Aare und der Limmat wurden in den vergangenen Jahren neue Funde gemeldet. Er tritt aber auch entlang von Flüssen in den Kantonen Freiburg, Bern, Luzern, Solothurn, Basel-Land und Zürich gelegentlich auf. Laut Capt gebe es aber keine Anzeichen für eine Einwanderung von Waschbären aus Frankreich oder Baden-Württemberg, da dort keine eigentlichen Populationen beständen. Die meisten der in den letzten Jahren beobachteten Tiere können also nur aus Gehegen entwichen sein.
Textfassung vom 15.11.2016
Abb. 2 - Verbreitung des Waschbären (Procyon lotor) in der Schweiz. Copyright CSCF Neuchâtel.