Dieser Beitrag basiert auf dem Artikel "Saproxylische Arten in der Schweiz". Es empfiehlt sich, zuerst jenen Beitrag zu lesen.
Abb. 2 - Anzahl Totholzkäferarten als Funktion des Totholzvolumens (nach MARTIKAINEN et al. 2000).
Abb. 3 - Die Stürme Vivian und Lothar und deren Spätfolgen brachten zahlreiche Bäume zum Absterben. Wenn Sturmflächen nicht vollständig aufgeräumt werden, lässt sich der Totholzanteil schnell erhöhen. Allerdings bestehen phytosanitäre Risiken (Borkenkäfer, u.a.).
Foto: Thomas Reich (WSL)
Abb. 4 - Ein optimaler "Biotopbaum"
Foto: Ulrich Wasem (WSL)
Abb. 5 - Durch die Information der Bevölkerung wie hier am Rand einer belassenen Lothar-Sturmfläche gewinnt Totholz im Wald an Akzeptanz.
Foto: Thomas Reich (WSL)
Alt- und Totholzarten, auch saproxylische Arten genannt, gehören zu den am meisten gefährdeten Organismen Mitteleuropas. Der Hauptgrund für die zunehmende Gefährdung ist die jahrhundertelange, zum Teil intensive Bewirtschaftung der meisten Wälder Mitteleuropas. Dies führte zu Wäldern, die arm an stehendem und liegendem Totholz sind.
Im schweizerischen Mittelland nehmen 160-jährige oder noch ältere Bestände nur noch 1 % der Waldfläche ein. In den Schweizer Alpengebieten bedecken solche Bestände jedoch beachtliche 20 % der Waldfläche. Alt- und Totholzspezialisten sind also im Mittelland besonders stark bedroht. Gleichzeitig zeigte eine Studie, dass Förderungspotenziale für saproxylische Arten im Mittelland sowie im Jura sehr gross sind. Alt- und Totholzarten sind dort noch inselartig vorhanden, könnten aber durch geeignete Massnahmen durchaus wieder häufiger werden.
Abbildung 2 zeigt, dass die Artenzahl schon mit einer geringen Zunahme der Totholzmenge rasch ansteigen kann, wenn die verbleibenden Restvolumen niedrig sind. Förderungsmassnahmen wirken sich also besonders auch in Regionen mit sehr geringen Totholzvolumen positiv aus.
A) Direkte Massnahmen
- Alt- und Totholzanreicherung durch "weniger machen"
Natürlich entstandenes Totholz (z. B. aus Windwurf, Insektenbefall usw.) nicht entfernen
- Waldreservate ausscheiden
Waldreservat-Konzepte liegen bereits in fast allen Kantonen vor. Die Einrichtung der Reservate schreitet voran, und ihre Fläche lag 2006 bei 2,5 Prozent der Schweizer Waldfläche (314 km2). Die Waldpolitik hat sich zum Ziel gesetzt, bis spätestens 2030 auf zehn Prozent der Waldfläche Reservate (Sonder- und Totalwaldreservate) einzurichten.
Diese Massnahme ist bestens geeignet für die Erhöhung der Alt- und Totholzanteile im Schweizer Wald. Allerdings ist sie alleine keineswegs ausreichend. Die Reservate decken nur eine geringe Fläche des Schweizer Waldes und liegen oft viel zu weit auseinander, um Migrationen und den Austausch von Arten zu ermöglichen.
- Altholzinseln schaffen
Schwieriger als eine genügende Totholzmenge zu erreichen, ist es, ausreichende Anteile von Altholz sicherzustellen. Denn dies ist ein viel längerer Prozess, da es Jahrzehnte dauern kann, bis ein Baum Altersmerkmale aufweist. In Mitteleuropa werden Altholzinseln folgendermassen definiert:
Altholzinseln sind in der Regel ein bis fünf Hektar grosse, reife Altholzbestände heimischer Baumarten, die temporär, d.h. bis zum Zeitpunkt ihres natürlichen Zerfalls, nutzungsfrei bleiben.
- Biotopbäume (Biotopholz, Habitatbäume) erhalten
Ein "Biotopbaum" ist ein Baum, der aufgrund seiner Beschaffenheit für die (tot-)holzbewohnenden Lebewesen geeignete ökologische Nischen zur Verfügung stellt. Biotopbäume umfassen:- Bäume mit grösseren Stammverletzungen, Blitzrinnen, Rissen, Spalten, aufgesplitterten Stämmen
- Bäume mit Kronenbruch, Zwieselabbruch, Ersatzkrone, viel Kronentotholz
- Bäume mit Stammfäule, Pilzbefall (z. B. Buchen mit Zunderschwamm)
- Bäume mit Natur- und Spechthöhlen ("Höhlenbäume"), ausgehöhlten Stämmen, mit Mulmhöhlen, Rindentaschen
- Bäume mit Krebsbildungen, Schürfstellen, Wurzelteller
- Bäume mit Horsten baumbrütender Vogelarten ("Horstbäume")
- Uralte Bäume (sogenannte "Methusalems")
- Totholz (stehend und liegend)
- Vernetzung
Unter Berücksichtigung der geringen Mobilität vieler gefährdeter, von Alt- und Totholz abhängiger Arten ist ein System von Waldschutzgebieten (Reservate, Altholzinseln usw.) allein nicht ausreichend. Eine zu starke Verinselung der Reliktpopulationen würde die Reservatsmassnahmen wirkungslos machen. Um den Erhalt aller Arten zu sichern, sollten die Alt- und Totholzstrukturen möglichst flächendeckend vorkommen.
- Technische Eingriffe
Das künstliche Herstellen von Totholz und Biotopbäumen mittels technischer Eingriffe, die lebende Bäume zum vorzeitigen Absterben bringen (z.B. Ringeln) oder typische Merkmale von Altholz schaffen (Schlitze, Höhlen).
B) Verbesserung der Rahmenbedingungen
Nebst den direkten, im Wald auszuführenden Massnahmen gibt es auch eine ganze Reihe von Vorkehrungen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen, die indirekt zur Förderung von Alt- und Totholzspezialisten beitragen. Folgende Bereiche können die Akzeptanz von Totholz beeinflussen:
- Aus- und Weiterbildung von Waldverantwortlichen: den Themen Alt- und Totholz vermehrte Aufmerksamkeit schenken
- Information der Bevölkerung: Informationsdefizite beheben
- Sicherheit und Haftbarkeit bei Unfällen: Ausmerzen des Widerspruchs zwischen der Rechtslage (in gewissen Fällen Haftbarkeit des Forstdienstes oder des Waldeigentümers bei Unfällen) und der staatlichen Forderung nach mehr Alt- und Totholz (vom Bund subventioniert)
- Monitoring (Erfolgskontrolle)
C) Zielkonflikte und mögliche Lösungsansätze
Die multifunktionale Waldbewirtschaftung muss definitionsgemäss vielen Zielen gerecht werden, um die Erfüllung aller ökologischen, ökonomischen und sozialen Funktionen zu gewährleisten. Gewisse Zielkonflikte und Bedenken sind zuweilen der Grund, warum eine Anreicherung von Alt- und Totholz in manchen Situationen unerwünscht ist. Tabelle 1 gibt einen Überblick über mögliche Bedenken sowie Lösungsansätze zur Bewältigung von Konfliktsituationen.
Tab. 1 - Zielkonflikte und Bedenken, die einer Anhäufung von Alt- und Totholz gegenüberstehen, sowie mögliche Lösungsansätze zur Bewältigung von Konfliktsituationen. | |
Zielkonflikt, Bedenken | Mögliche Lösungen |
Phytosanitäre Risiken, Angst vor Borkenkäfern |
|
Gefährdung durch herabfallendes Totholz |
|
Brandgefahr |
|
Rutschgefahr |
|
Verklausung, Überschwemmungsgefahr |
|
Holzernteverlust |
|
Erschwerung von Folgeeingriffen |
|
Unordnung, Verschwendung |
|