Zürich ist nicht nur ein Dorado für Sonntagsausflügler, sondern auch Reiseziel für Freunde der seltenen Eibe. 1997 fand deshalb sogar die internationale Eiben-Tagung in Zürich statt. Das natürliche Eibenvorkommen im Gebiet Uetliberg-Albis ist eines der bekanntesten und grössten Europas. Schon vor 100 Jahren rätselten Wissenschafter darüber, warum hier so viele der geheimnisvollen Druidenbäume wuchsen. Heute sind es über 80'000 Eiben, wie 1995 eine Stichprobenerhebung der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) bestätigte.

Zauber- und Mythenbaum

Die Eibe ist mit ihrem knorrigen, wandelbaren Aussehen etwas ganz Besonderes. Seit dem Altertum gilt sie als Baum des Todes und ist deshalb oft auf Friedhöfen zu finden. Auch Zauberkräfte sagte man ihr nach, sie wurde als Schutz vor Hexen und bösen Geistern ums Haus herum gepflanzt. Bei den Kelten war sie der Baum der Druiden, und neuerdings wird aus ihren Nadeln ein Elixier hergestellt, das in der Krebstherapie Anwendung findet.

Biologisch ist die Eibe eine Mischform zwischen Laubhölzern und immergrünen Nadelhölzern. Sie altert extrem langsam, ihr Holz ist langlebig, widerstandsfähig und gleichzeitig biegsam. Deswegen stellten schon die Alemannen und Wikinger Bogenwaffen aus Eibenholz her. Die Eibe gehört aber auch zu den Taxus-Arten. Der lateinische Begriff Taxus ist vom griechischen toxon (= Bogen) übernommen worden, und Toxikum (griech. toxikon) heisst Gift. Same, Rinde und Nadelwerk der Eibe sind ausserordentlich giftig.

Die Eibenväter vom Uetliberg

Wie kommt es zum grossen Bestand der Eibe auf dem Uetliberg, wo doch das edle Gehölz europaweit gefährdet ist? Als Förster Willi Federer 1964 das Waldrevier Uetliberg übernahm, lag ihm am Herzen, die Uetliberg-Raritäten, zu denen die Eibe zählt, zu erhalten und zu fördern. "Sie, die geniale Anpasserin, die zähe Durchhalterin, die unscheinbare Lückenfüllerin, wählte den Albiskamm und den Uetliberg zu einem ihrer letzten Refugien", meint der heute längst pensionierte Federer. Ihm war es eine Ehre, der sagenumwobenen, gefährdeten Eibe den gebührenden Platz zu verschaffen. Auch Willy Spörri, der vor 14 Jahren als Revierförster Federers Erbe antrat, setzt alles daran, den Eibenbestand am Uetliberg langfristig zu sichern. Dies erfordert in erster Linie eine stetige Verjüngung des Baumbestandes, um das ungehinderte Aufwachsen der kleinen Pflanzen zu fördern.

Rehe haben Eiben zum Fressen gern

Schon früh fiel Willi Federer auf, dass bei allem Überfluss an grossen Eiben keine Jungbäume in der Grösse von 50 Zentimetern bis 2 Metern zu finden waren, obwohl es Sämlinge zu Tausenden gab. Der Grund dafür waren die stark gestiegenen Wildbestände, denn fatalerweise ist die langsam wachsende Eibe ein bevorzugtes Futter von Rehen. Diese äsen junge Pflanzen laufend ab, ohne am Eibengift Schaden zu nehmen - für Wiederkäuer ist der Verzehr von Eibensprossen ungefährlich. 20 bis 30 Jahre muss eine Eibe ausharren, bis sie dem Zahn des Wildes entwachsen ist. Willi Federer liess deshalb unterschiedlich beschaffene Flächen grosszügig einzäunen und bepflanzte sie mit sechs- bis achtjährigen Wildlingen (Eibentriebe aus natürlichen Verjüngungen) zur Nachzucht.

Eibentriebe im Forstgarten

Als nicht mehr genügend Wildlinge aufzuspüren waren, wurde mit der Nachzucht von Eibenpflanzen im Forstgarten begonnen. Hier können die jungen Eiben ungestört bis auf 1.20 m Höhe aufwachsen, erst dann kommen sie ins Freie, wo man sie nur noch während drei bis fünf Jahren mit einem Drahtgeflecht vor den Rehen schützen muss. Bei der Samenernte und der Aufzucht von Wildlingen im Wald, die sehr aufwändig ist, helfen Erwerbslose mit. Die meisten Wildlinge findet man übrigens unter den Fichten, weil Vögel und andere Kleintiere, die die roten Beeren fressen, unter dem dunklen Nadelholz Schutz suchen, wo sie den Samen unverdaut wieder ausscheiden.

Ebenfalls um die Eiben verdient gemacht hat sich Roland Bosshard, Leiter des Forstgartens seit den siebziger Jahren. Ihm stellte sich das Problem, dass im Forstgarten zwar keine Rehe mehr hinter den jungen Eiben her sind, dafür aber Rüsselkäfer und Schnecken. Er entwickelte im Laufe der Jahre für die erfolgreiche Nachzucht von Eiben ein spezielles Containersystem, in dem die Sämlinge geschützt aufwachsen können.

Ausnahmesituation am Uetliberg

Dass die geheimnisvollen, edlen Bäume am Uetliberg immer noch so zahlreich sind, verdanken sie zu einem guten Teil dem persönlichen Engagement der Förster vom Revier Uetliberg. Aber "dass die Eibe überhaupt hier ist", meint Willy Spörri, "kommt von früher her." Als nach der französischen Revolution im Kanton Zürich jeder jagen durfte, so viel er wollte, war das Rehwild bereits 1860 beinahe ausgerottet. Damals hatte die Eibe ihre grosse Zeit. Durch die zunehmende Reglementierung der Jagd nahm der Wildbestand zwar allerorts wieder zu – nicht aber im Gebiet Albis-Uetliberg. 1898 wurde nämlich im Albisgüetli der Schiessplatz der Stadt Zürich in Betrieb genommen, und die Ballerei führte damals dazu, dass das Wild vertrieben und im Uetlibergwald aus Sicherheitsgründen nicht geholzt wurde.

Im Sihlwald dagegen kommen kaum Eiben vor, obwohl die biologischen Voraussetzungen ebenso gut wären. Aber als "Heizung von Zürich" wurde er intensiv genutzt. Gehölz, das schnell nachwächst, wie Esche, Ahorn oder Buche wurde gefördert, die langsam wachsende Eibe hatte keine Chance. Und: Das Holz wurde mit Pferden aus dem Wald abtransportiert – ein weiterer Grund für das Fehlen von Eiben. Denn Pferde naschen – wie Rehe – gerne Eibensprossen, für sie ist das Gift aber höchst gefährlich: Ein Pfund Eibennadeln wirkt innert einer Stunde tödlich, deshalb wurden die Eiben gefällt.

Eibenholz vom Uetliberg

Wie früher werden auch heute noch Bogen und Armbrust aus Eibenholz hergestellt. Ein guter Kunde des Forstreviers Uetliberg ist der bekannte deutsche Bogenbauer Ulli Stehli. Er kommt ein- bis zweimal im Jahr vorbei und sucht das Eibenholz für seine traditionellen englischen Langbogen persönlich aus. Das harte, fäulnisresistente Holz eignet sich auch gut für Alltägliches wie Pfähle, Spielplatzgeräte oder für den Bau einer Pergola. Willy Spörri und Roland Bosshard pflegen die Eiben mit Herzblut. Das Resultat ist eine reiche Ernte des edlen Holzes und ein vielfältiges Waldbild am Zürcher Hausberg, dem die Eibe einen besonderen Zauber verleiht.

 

(TR)