Dürsrüti ist ein Beispiel für eine Extremvariante eines Plenterwaldes, der sich durch sehr hohe Vorräte über einen längeren Zeitraum auszeichnet. Es ist auch ein Stück Waldgeschichte der Schweiz: Die Anzeichnung der berühmten dicken Tannen, von denen heute (Stand: 2003) nur noch zwei leben, war höchsten Stellen der Bundesverwaltung und der Forschung vorbehalten.
Dürsrüti ist seit 1914 auch eine Versuchsfläche der waldwachstumskundlichen Forschung. Dürsrüti war in den letzten Jahrzehnten geprägt durch dramatische Veränderungen, die im starken Vorratsabbau zum Ausdruck kommen. Die meisten der ehemaligen Baumriesen mussten infolge Blitzschlag gefällt werden.
Lage und Standort
Der Dürsrütiwald liegt auf der Krete eines Hügelzuges nordwestlich von Langnau im Emmental auf Gebiet der Gemeinde Lauperswil/BE. Die nach Norden ausgerichtete Fläche ist rund 3,6 ha gross und erstreckt sich auf einer Höhe von 860 bis 920 m ü.M.. In ihrem oberen Teil ist sie relativ eben, während der untere nordwestliche Teil, bedingt durch die Muldenform, stärker geneigt ist.
Der geologische Untergrund ist Nagelfluh der unteren Süsswassermolasse, ein ton- und silikatreiches Muttergestein. Darüber hat sich ein Boden gebildet, der als "tonig, mit einem ziemlich grossen Gesteinsanteil, tiefgründig, frisch, …reich an Humus" beschrieben wird. Die Niederschläge betragen etwa 1500 mm pro Jahr und die Jahresmitteltemperatur liegt bei rund 7° C. Pflanzensoziologisch ist die Fläche dem Tannen-Buchenwald mit Waldhirse (Nr. 18, KELLER et al. 1998) und dem Peitschenmoos- Fichten-Tannenwald (Nr. 46, KELLER et al. 1998) zuzuordnen. Aufgrund der gemessenen Oberhöhen kann eine Tannenbonität zwischen 20 und 22 angenommen werden.
Geschichte des Waldes und des Reservates
Der Dürsrütiwald und die prächtigen Tannen waren in der Region schon lange ein Begriff. 1907 lieferte Oberförster Zürcher erstmals eine ausführliche Beschreibung, die er mit folgenden Worten einleitete: "Wer im Emmental den Namen Dürsrüti hört, denkt unwillkürlich an die grossen Tannen, die dort oben stehen und als mächtigste weit und breit gelten." Er veröffentlichte die Resultate einer ersten Bestandesaufnahme mit einem Vorrat um 800 Tfm/ha. Sein Artikel endete in einem Lob der hohen Waldgesinnung der Emmentaler.
Zu dieser Zeit laufen auch auf Initiative des Schweizerischen Forstvereins Bestrebungen, verschiedene (Ur-)Waldreservate zu schaffen. Dabei wird auch Dürsrüti, zwar nicht als Beispiel eines Urwaldes, wohl aber als schützenswerter Bestand, immer wieder erwähnt. Doch erst einige Jahre später scheint wirklich Bewegung in die Sache zu kommen. In einem Brief von Ende 1911 weist die Forstdirektion des Kantons Bern die Eidgenössischen Forstorgane darauf hin, dass der Dürsrütiwald Gefahr laufe, parzellenweise versteigert zu werden, weil der Gutsbesitzer ohne Hinterlassung direkter Erben gestorben sei.
Augenscheine vor Ort und Gutachten bescheinigten, dass eine Unterschutzstellung wünschenswert wäre. Der Bundesrat ging im März 1912 auf ein entsprechendes Subventionsgesuch ein, und rund zwei Monate später hat der Grosse Rat des Kantons Bern den Kaufvertrag genehmigt. An den Kaufpreis von Fr. 65'000.– zahlte der Bund Fr. 12'500.–, der Staat Bern Fr. 22'500.–, die kantonale Forstverwaltung Fr. 25'000.–, "wofür die Nutzung des Waldes ihr zufällt" und die Gemeinde Langnau Fr. 5000.–. Die Gefahr der spekulativen Versteigerung der Dürsrütitannen war somit gebannt. Später wurde das Gebiet sogar noch unter stärkeren Schutz gestellt. Der Regierungsrat des Kantons Bern erklärte 1947 den Dürsrütiwald zum Naturschutzgebiet und die grossen Tannen zu Naturdenkmälern.
Abb. 2 - Die stärksten Tannen um 1914. Zwischen den Stämmen steht ein Mann. Foto: Hermann Knuchel
Die Versuchsflächen der WSL im Dürsrütiwald
Der Bund knüpfte seine Subvention 1912 an die Bedingung, "dass der Dürsrütiwald als ein Versuchsfeld in das Programm der Eidg. Forstlichen Versuchsanstalt" (heute Forschungsanstalt WSL) aufgenommen werde und dass die zehn stärksten und schönsten Stämme möglichst lange zu erhalten seien. Die Aufsichtskommission war damit einverstanden und hielt in einem Schreiben vom Juli 1912 an das Eidgenössische Departement des Innern unter anderem fest:
"… im Dürsrütiwald (soll) nur eine sog. bedingte Naturschutzreservation geschaffen werden, d.h. die Bäume sollen nicht unbenutzt im Walde vermodern, wie dies im Urwalde der Fall ist, sondern sie sind zur Nutzung zu ziehen, wenn ihre Lebenskraft nachlässt oder wenn infolge äusserer Einflüsse ihre Gesundheit und ihr Leben bedroht sind. Es handelt sich also um eine konservative Art der Waldbenutzung. Man lässt das Holz allerdings nicht zugrunde gehen, aber es verfallen doch nur jene Bäume der Axt, deren Wachstum infolge hohen Alters auf ein Minimum gesunken ist, oder die durch die anorganische oder organische Natur Schädigungen erlitten haben, oder die endlich im Interesse der Gesunderhaltung und der Verjüngung des Bestandes notwendig entfernt werden müssen." "Da nach unserer Ansicht der Zweck der Dürsrüti-Waldreservation hauptsächlich darin besteht, dem Waldbesucher die Schönheit und die ursprüngliche Produktionskraft des schonend, naturgemäss behandelten Waldes vor Augen zu führen, so kommt es vor allem darauf an, den ganzen Bestand in seiner heutigen Verfassung zu erhalten, wozu allerdings auch die beständige Erhaltung einer Anzahl von Baumriesen, wie sie der Dürsrütiwald heute aufweist, notwendig gehört."
Die Parzelle wurde in drei Teilflächen unterteilt. Die erste, in Kretennähe gelegen, bezeichnete man als eigentliches Reservat, weil dort die grösste Anhäufung von Baumriesen stand. Teilfläche 2, in der Mitte des Abhanges gelegen, wurde als "Plenterwaldversuchsfläche" bezeichnet. Der unterste und steilste Teil, der aus einer Pflanzung hervorgegangen war, konzipierten die Forstleute als "gleichaltrige Vergleichsfläche", welche Vergleichsdaten für den Alterklassen-Hochwald liefern sollte. Nach einem moderaten Säuberungshieb wurden die Bäume nummeriert und im Abstand von sechs bis elf Jahren Vollaufnahmen durchgeführt. Seit 1914 fanden insgesamt elf Aufnahmen statt.
Die Baumriesen in Dürsrüti
Gemäss Bundesratsbeschluss vom 19. März 1912 "sind 10 der stärksten und schönsten Bäume zu bezeichnen, welche möglichst lange überzuhalten sind. Bei späteren Nutzungen einzelner Stämme sind dieselben durch wüchsige Stämme immer wieder auf die Zahl von 10 zu ersetzen." BADOUX (1933b) listete die bei der Aufnahme von 1932 ermittelten zehn stärksten Stämme auf. Sie hatten damals einen Umfang in Brusthöhe von 469 cm bis 348 cm, was Durchmessern von 149 cm bis 111 cm entspricht. Diese Bäume wiesen in den acht Jahren von 1924 bis 1932 einen Umfangzuwachs von 0 bis 23 cm auf, was einer maximalen Jahrringbreite von 4,6 mm entspricht. Von diesen zehn Bäumen stehen heute noch zwei: die Tanne 165 (bei Badoux 25) in Teilfläche 1, die 1932 an dritter Stelle stand, und eine Tanne aus Teilfläche 2. Die Tabelle 1 beschreibt die zehn stärksten Bäume im Jahr 1997.
Es fällt auf, dass sie zwar immer noch beachtliche Dimensionen aufweisen, aber doch etwas kleiner sind als die damaligen "Riesen". Der mittlere Durchmesser der "Riesen" betrug 1932 125,4 cm (±12,3, minimal 109,6, maximal 149,4); heute liegt er bei 121,8 cm (±15,3, 104,6 bzw. 155,4). Allerdings sind die Bäume heute auf der ganzen Fläche verteilt und bieten nicht mehr das Bild der Konzentration im "Reservat". Als weitere Besonderheit fällt auf, dass 1997 erstmals eine Fichte zu den 10 dicksten Bäumen gehört, das allerdings nur deswegen, weil zwischen 1990 und 1997 insgesamt 15 Tannen, die dicker waren als die Fichte, ausfielen (die meisten infolge Blitzschlag) und weil eine dickere Tanne angezeichnet wurde.
Die zehn stärksten Bäume sind nicht auch die zehn höchsten. 1932 wurde kein Baum mit einer Höhe über 50 m gemessen. 1947 erreichte Baum Nr. 165 eine Höhe von 51,6 m. 1974 waren 14 Bäume höher als 50 m, 1997 waren es noch sieben. Die zehn höchsten Bäume von 1997 sind in Tabelle 2 zusammengestellt. Zwei der drei Fichten gehören nicht zu den zehn stärksten Bäumen.
Eine genaue Vermessung der Tanne 165 und der Fichte 3610 ergab Baumhöhen von 55,1 bzw. 55,4 m (die Unterschiede liegen in der Messtechnik oder in einem leichten Schiefstand der Bäume). Allerdings hat die Tanne 165 beim Sturm Lothar im Dezember 1999 ein Gipfelstück von rund zehn Metern verloren. Die Gründe, weshalb acht der zehn dicksten Bäume von 1932 verschwunden sind, sind in Tabelle 3 zusammengestellt. Auffallend ist mit fast 40% der hohe Anteil an Blitzschlägen. Nur zwei der acht Tannen können als ordentliche Anzeichnung bezeichnet werden.
Wenn einer dieser grossen Bäume gefällt werden musste, waren das anfänglich grosse öffentliche Anlässe. Am 19. Dezember 1947 wurde die "höchste und formschönste Tanne" sogar in Anwesenheit von Bundespräsident Dr. Philipp Etter gefällt. Der Baum litt offenbar unter den Bodenverdichtungen durch die vielen Besucher, die Krone begann licht zu werden und 1927 war sie durch eine vom Sturm gefällte Nachbartanne verletzt worden. Die "grosse Tanne" hatte ein Alter von 320 Jahren erreicht, der d1,3 mass 143 cm, die Höhe betrug 53 m und das Derbholzvolumen 32 m3.
Am 12. Dezember 1974 erfolgte die Fällung der damals mächtigsten Tanne im Rahmen einer Pressefahrt. Die im vorangehenden Frühsommer durch Blitzschlag schwer beschädigte Tanne wies bei einer Höhe von 57,35 m und einem d1,3 von 158 cm ein Derbholzvolumen von über 36,6 m3 auf. Sie wurde 377 Jahre alt.
Zusammenbruch oder Umbruch?
Die ungleichförmigen Bestände in Dürsrüti waren während vieler Jahrzehnte extrem vorratsreich. Generationen von Förstern griffen nicht eigentlich lenkend ein, sondern entfernten nur reagierend geschwächte oder absterbende Bäume. Welche Faktoren die hohen Zwangsnutzungen nach 1974 entscheidend beeinflusst haben, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht entschieden werden. Wichtig ist, dass der Wald in Dürsrüti seine Funktionen ohne Einschränkungen erfüllen konnte. Deshalb sollte man besser nicht von einem Zusammenbruch im Dürsrütiwald sprechen. Was geschehen ist, entspricht einem Umbruch als Auswirkung der natürlichen Walddynamik, der nun in einen gelenkten Umbau auf ein zu bestimmendes Ziel hin übergeleitet werden kann.
(TR)